Es Coc
Von Asado bis zur Avantgarde
Ein sonniger Märzmittag, überall in Santanyí sind die Straßenrestaurants besetzt von Deutschen, die in Santanyí leben oder Urlaub machen. Und hier drinnen, im schön umgebauten Stadthaus seiner Großmutter, kocht Marc Vidal gerade für seine Landsleute – das Restaurant ist mit Einheimischen bevölkert, und auch die junge Bedienung spricht allenfalls ein paar wenige Brocken Deutsch oder Englisch. Kein Problem, die Speisekarte ist dreisprachig. In den Nebensaisons speist man im unteren Gastraum zwischen sehenswerter moderner Malerei auf rohem, warmtonig gelben Sandstein. Im Sommer werden dann auch die Tische im ersten Stock und im kleinen zauberhaften Patio bespielt. Vidal kocht einen typisch modernen mallorquinischen Stil, zuweilen mit asiatischen Aromen, Anleihen an die nordspanische Avantgarde und argentinischer Asado-Kultur. Von letzterer ist heute Mittag zwar nichts zu merken, die Grills werden erst vor Ostern für den Abendservice angeworfen, aber das stört uns nicht weiter, denn wir hätten ohnehin keine Lust auf große Fleischteile. Wir vermissen sie erst recht nicht, als wir Vidals Tagesmenü lesen, ein Superdeal: drei Gänge für nur 16,50 Euro – und das von einem der interessantesten einheimischen Köche der Stadt. Wir können wählen zwischen drei Vorund Hauptspeisen sowie zwei Desserts. Und das sind nicht Scheinalternativen wie früher „Chicken or Pasta“im Flugzeug. Im Gegenteil, es ist für jeden etwas dabei, sogar für Pesco-Vegetarier: gemischter Salat mit orientalischer Vinaigrette, Schweineterrine mit Obst-Chutney und Karottencremesuppe mit Sobrasada gibt es als Starter, als Hauptgerichte Makkaroni mit Oliven-Anchovis-Pesto, Kalb mit Kapern, Spinat und Mandeln sowie Fisch des Tages mit Gemüse, Rosinen und Pinienkernen. Und hinterher hat man die Wahl zwischen „Zitrone 100%“oder ein Baba mit Rum und Kokos. Das alles, es sei nochmals gesagt, für 16,50 Euro inklusive Brot und einer Halbliterflasche Wasser. Gut, dass wir zu zweit testen, so können wir von den acht Gerichten immerhin sechs probieren – einzig die Schweinepastete und die Nudeln bleiben unberührt. Mein Gegenüber lässt sich für ein blutdrucksteigerndes Gläschen eine Flasche Bio-Cava-Rosado der FestlandsMarke „Privat“(Glas sechs, Flasche 25 Euro) öffnen. Die Mühe lohnt sich, denn das Blubberwasser erinnert in seiner Johannisbeerigkeit an fünf Mal so teure französische Champagner. Und selbst der ist hier mit 40 Euro für die Flasche Heidsieck Monopole ungewöhnlich preiswert. Mein Blutdruck bedarf keines Boosters, ich bestelle ein Glas von dem mir unbekannten Vi D’Aube Picot Blanc aus der nahen D.O. Pla i Llevant (5,90 Euro) und freue mich an dieser gelungenen Mischung aus Prensal blanc und Chardonnay. Der wäre als Flasche (28 Euro, nur eine attraktive Position auf der erstklassig bestückten Weinkarte) auch ein toller abendlicher Begleiter zu den mediterranen Fischen, die Vidal auf dem Grill zubereitet. Während wir das frische knusprige Weißbrot in die klassische, also mit Ei aufgeschlagene Aioli (1,50 Euro) tunken und die kleinen, mit etwas Knoblauch und viel Thymian genial parfümierten Oliven knabbern (1,75 Euro), kommen schon die Vorspeisen: Meine Karottensuppe ist auch ohne viel Sahne schön cremig und natursüß, die eingebröselte Paprikastreichwurst Sobrasada sorgt für einen spannenden Kon-trast. Der Salat meiner Co-Testerin ist ein wahrer Berg knackiger Blätter von Rucola, Radicchio und Romana, angereichert mit ein wenig deplatziert wirkendem Dosenthunfisch und mariniert mit einem fast gelungenem Asia-Dressing (sie ist nicht, wie angekündigt, orientalisch aromatisiert) aus Ponzu, Sojasauce, Sesamöl, Pimentón de la Vera (rauchiges Paprikapulver) und leider einem Spritzer zu viel Fischsauce. Als Menü-Start für diesen Preis aber ist er aber unschlagbar. Im PREISLEISTUNGS-VERHÄLTNIS erst recht unschlagbar sind die Hauptgerichte: ein dickes, auf der Haut gebratenes Mittelfilet vom heute gefangenen Seehecht, angenehm saftig angesichts der zur Trockenheit neigenden Merluza, auf ausgesprochen grün schmeckendem frischen Erbsenpüree mit ein paar originellen Mini-Gnocchi, Mangold und den inseltypischen Rosinen, die in der mallorquinischen Küche häufig in Fischgerichten zu finden sind. Ehrlich gesagt, haben wir anderswo für ähnlich hochklassige Speisen allein schon weit über 20 Euro bezahlt. Mein „Kalb mit Kapern“überrascht als fast rohes, allenfalls rare gebratenes und in Scheiben vorgeschnittenes Onglet (Nierenzapfen, erkennbar an der starken Mittelsehne und den langen, losen Fleischfasern) – ein Teilstück, das vom Rind meist als Siedfleisch gegart wird und minimal nach Innerei schmeckt, bei Kalb aber in dieser Zubereitung für jeden Fleischesser eine wahre Offenbarung sein kann. Vidal liebt süße Tupfer auf herzhaften Tellern, hier ist es etwas Honig, mit dem er den Sesam auf dem leider zu kalt servierten Fleisch karamellisiert hat. Dazu gibt es kurz sautierten Babyspinat mit Pinienkernen, feine geröstete
Mandelsplitter und einen etwas zu mehligen Kartoffelsalat mit haufenweise Kapernfrüchten. Auch hier wieder ein echter 20-Euo-Teller, einfach mal so zum Menu-del-dia-Preis rausgehauen. Nicht minder hochwertig die Desserts: Ein mehlarmer Mandelkuchen als rumgetränkte Baba-Variante mit erfrischender Himbeersäure, oben drauf eine Schicht mit bäuerlich selbstgemacht schmeckendem Hüttenkäse und ein paar gerösteten Kokosflocken. Ein ähnlicher Frischkäse, hier aber mit kräftigem Aroma vom Schaf (nicht von der Ziege), findet sich auf dem zweiten Teller mit der 100-prozentigen Zitrone, traut vereint mit Zitrus-Gelee, einer leichten gelben Zitronensauce und einer süß-sauer abgeschmeckten Mandelmilch als Basis – plus Späne von weißer Schokolade obendrauf. Wow! Die Mallorquiner um uns herum sind längst gegangen, was wir vor lauter Hingabe an dieses großartige Mittagsmenü gar nicht mitbekommen haben.Hier müssen wir unbedingt auch mal abends hingehen. pesi