Tomeu Lassio
Sechs Gänge, die es in sich haben
Die Gäste am Nebentisch waren irritiert. Nur ein einziges Menü? Keine Auswahl aus dem, was der
Chef gerade heruntergerasselt hatte? Nein, entgegnete der, aber man könne ja erst mal starten und dann irgendwann stoppen, wenn es zu viel sei. Man hörte sie schlucken, die überraschten Erstbesucher, und sie hatten ja nicht ganz unrecht. Niemand kann von außen erkennen, was drinnen geboten wird, eine Speisekarte hing bei unserer Visite nicht aus. Also bissen die Gäste in den sauren Apfel und bestellten sich durch, hörten auch nicht auf, bevor die offizielle Reise zu Ende gegangen war; nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, war die gemachte Erfahrung dann aber gar nicht sauer, sondern schmeckte ausgezeichnet. Tatsächlich fällt es schwer, sich beim neben Santi Taura und Joan Abrines Rámon dritten neumallorquinisch kochenden Restaurantbetreiber des Ortes nicht wohlzufühlen. Das gemütlich eingerichtete Lokal verursacht keine Schwellenängste, wirkt weniger durchgestylt als andere Lokale der Inselmitte. Nett, aber fast zurückhaltend, schien der Service, versäumte es leider, uns ein zweites Glas Cava oder stillen Wein schmackhaft zu machen. Hätte er gefragt, hätten wir Ja gesagt. Und wenn wir schon bei der Kritik sind: Die Weinkarte ist nicht der Knaller. Wenige Seiten, teilweise mit Jahrgängen ausgezeichnet, teilweise ohne, auch sonstige Angaben waren rudimentär; die offen ausgeschenkten gaben eh keinen Anlass zum Jubel.
Zum Glück besitzt die Küche mehr Klasse als die Getränkeauswahl – erheblich mehr sogar. Mit den gut gewürzten Oliven ließ sich die Zeit bis zum Brötchen gut vertreiben, auch Öl und Salz wurden zur Verfügung gestellt, Knoblauchcreme oder Ähnliches aber nicht. Egal, denn es ging auf großartige Weise los. Der erste Gang hatte es in sich: eine Fischmousse, locker, schön gewürzt, ein frischer, animierender Auftakt.
Auch die fleischgefüllte Artischocke machte riesigen Spaß, war sie doch von einer lockeren, herrlich knusprigen Panade umhüllt und ganz kurz ausgebacken, wurde von einer pikanten Sauce begleitet. Mit Superlativen soll man ja vorsichtig sein, aber das war alles ziemlich auf den Punkt, anders, aber keineswegs schlechter als beim Kollegen Santi Taura, wenn wir mal unseren letzten Besuch dort als Maßstab nehmen. Das Reisgericht mit Sobrasada geriet dann, dank sparsam eingesetzter Fleischprodukte und viel Gemüse, viel leichter, als man bei der Annoncierung dieses Zwischenganges hätte denken können. Spätestens beim Fischgang dachten wir erneut über Wein nach, aber da niemand fragte und auch keiner deutlich machte, dass offene Sorten überhaupt verfügbar seien, ließen wir es beim Wasser bewenden. Der Fisch, Kabeljau, um genau zu sein, war übrigens in ein Kohlblatt gehüllt und mit einem Ragout aus Pinienkernen, Rosinen, Oliven und weiteren Zutaten auf Vordermann gebracht worden. Schön gedacht, ausgezeichnet gemacht. Ebenso wie die kraftvolle, aber nicht übertrieben sättigende Fleischroulade vom Huhn, die freilich von einer etwas spannenderen, vielleicht sogar leicht säuerlichen Sauce noch mehr aufgewertet worden wäre. Aber wir argumentieren auf hohem Niveau – und waren vom Dessert hin und weg. Erfrischendes Zitronensorbet und eine Art Kuchenschnitte von Crema catalana mit knuspriger Karamellkruste zeigten, dass Tomeu Lassio die Grundprinzipien feiner Küche verstanden hat: Hier stimmte die Balance. Die 32 Euro, die alles zusammen kostete, lassen weitere Besuche äußerst ratsam erscheinen. Bei nächster Gelegenheit werden wir dann auch fragen, ob wir eine Flasche guten Weines mitbringen dürfen, natürlich nicht, ohne ein vernünftiges Korkgeld zu zahlen. wf