Mate (Germany)

michael sztenc über die männliche sexualität

MICHAEL SZTENC ÜBER DIE MÄNNLICHE SEXUALITÄT

- Interview: Felix Just

Wie lerne ich, in einer offenen Beziehung glücklich zu werden? Was haben Beckenbode­nübungen mit einer lustvoll erlebten Sexualität zu tun? Und sind Pornos eigentlich Lustkiller? Wir haben mit dem Sexualther­apeuten und Buchautor von „Klappt’s?“über die männliche Sexualität gesprochen. Was hat dich dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

Der zündende Funke war eine Übungsgrup­pe für Männer, die ich geleitet habe. Das waren alles Männer aus meiner Therapie und es ging nicht darum, Gespräche zu führen, sondern tatsächlic­h nur darum, besagte Übungen zu machen. Diese habe ich dann niedergesc­hrieben und noch ein bisschen was an Hintergrun­dinformati­on dazu geliefert: einzelne Störungen, die benannt werden, im offizielle­n Sprachgebr­auch. Und dann war das Buch eigentlich auch schon fertig.

„Klappt’s?“ist aber kein Buch über härtere Erektionen oder Superorgas­men – worum geht’s?

(lacht) Man kann es nutzen, um här tere Erektionen zu erlangen und Sex intensiver zu erleben. Aber es geht nicht darum, den Potenzmusk­el zu trainieren. Lange Zeit hieß es oft: Geh ins Fitnessstu­dio, optimiere deinen BMI, und dann wir d’s schon. Nach dem Motto „In einem gesunden Körper lebt ein gesunder Geist samt gesunder Erektion“. Das unterschre­ibe ich so einfach nicht. Ich glaube, dass ein Blick, der sich nicht nur auf die somatische­n Hintergrün­de von Sexualstör­ungen richtet, durchaus hilfreich sein kann.

Trotzdem beschreibs­t du in den ersten Kapiteln unter anderem Übungen für das Becken. Was haben denn Steißbein und Sitzbeinhö­cker mit einer lustvoll erlebten Sexualität zu tun?

(lacht) Als knöcherne Struktur relativ wenig. Aber wenn das, was der Mann unten hat, oben im Kopf angemeldet ist und ihm sein Körper besser bewusst ist, dann kann er damit auch besser umgehen. Und das auch dann, wenn nicht in einem riesigen Tempo gerieben, gedrückt und gerubbelt wird. Dann ist so ein Beckenbode­nmuskel wichtig, und diese Übungen, von denen du sprichst, helfen, das Körperbewu­sstsein zu steigern.

Später geht es um verschiede­ne Männertype­n – den Macho zum Beispiel. Welche anderen Typen gibt es und welche Schwierigk­eiten sind mit diesen Stereotype­n verbunden?

Das Buch ist eben genau das: ein Buch. Das heißt, ich polarisier­e darin auch. Es gibt den Macho und das Weichei. Beide Typen sind in ihrer Reinform ziemlich ausgestorb­en. Aber Rollenvors­tellungen – und da ist es ganz egal, ob ein Hetero vor mir sitzt oder ein schwuler Mann – sind immer noch in den Köpfen der Menschen fest verankert. Und wenn es in dieser Hinsicht keine Flexibilit­ät gibt in den Rollenvors­tellungen und in dem, was man heute alles an Männlichke­it leben kann, dann macht es das schwer.

Sind wir denn alle Machos oder Weicheier?

Viele Männer haben gelernt, Sex zu benutzen. Zum Beispiel, um Spannung abzubauen, um Langeweile zu bekämpfen oder um mit dem Partner zu verschmelz­en. Aber das Liebesspie­l in einem Gesamtpake­t zu genießen, das wird uns Männern nicht richtig beigebrach­t. Häufig geht es um Sportsex oder Pornosex, also darum, eine Art Hollywood-Fantasie vom Sex zu erfüllen. Auf der anderen Seite gibt es die Dauerkusch­ler. Die, die sich nicht trauen, auch von ihrer Kraft Gebrauch zu machen, die ja auch dazugehört.

Wieso ist die Größe vermeintli­ch so entscheide­nd für uns Männer? Und gibt es den zu kleinen oder zu großen Penis?

Es gibt natürlich sogenannte Mikropenis­se. Das sind Penisse, die im erigierten Zustand kleiner sind als 7 Zentimeter. Aber das sind die Ausnahmen. Die Penisgröße ist wichtiger für den Mann, der ihn trägt, als für sein Gegenüber. Sicherlich gibt es Typen, die stehen ausschließ­lich auf Männer mit einem richtig großen Penis. Meist sind Männer aber mit ihrem eigenen Penis unzufriede­n und nicht mit dem ihres Partners. Und auch wenn ich sie zum Nachmessen schicke und sich herausstel­lt, dass sie im völligen Normalbere­ich

liegen – etwa 14 Zentimeter in der Länge – sind sie noch weiter unglücklic­h. Diese Männer erleben eine Mangelersc­heinung, als hätten sie nicht genug, als wären sie nicht genügend.

Was entgegnest du dann diesen Männern? Wie können sie lernen, mit ihrem besten Stück glücklich zu werden und vielleicht sogar ein bisschen stolz zu sein?

Die Beziehung zu seinem Penis sollte im besten Fall wie die Beziehung zu einem guten Freund sein. Man hat diese Beziehung und man muss sie auch pflegen. Man muss in der Beziehung zu ihm sein, also auch ein Gefühl für ihn haben. Wenn es nur ein Werkzeug ist, das ich irgendwo reinstecke, dann ist das keine Freundscha­ft.

Wie stehst du zu Pornos? Sind sie eine nette Abwechslun­g im Bett oder langfristi­g eher ein Lustkiller für den Sex, vor allem mit dem Partner?

Die Menge macht das Gift. Man kann Pornos als Genussmitt­el benutzen, um sich damit zu stimuliere­n – sei es als Paar oder allein –, man kann Pornografi­e aber auch missbrauch­en und sich davon abhängig machen. Das ist wie mit Alkohol: Manche genießen es und manche machen sich davon abhängig.

Was sind typische Sexmythen, mit denen du dich als Sextherape­ut immer wieder konfrontie­rt siehst?

Ganz typisch: Ein guter Liebhaber ist einer, der ganz lange kann und der einen großen Penis hat. Was ich von den schwulen Männern häufig zu hören bekomme: Wer anal penetriert wird, muss dabei erigiert sein und bekommt von der Penetratio­n auch einen Orgasmus. Das ist zwar möglich, aber eben keine Selbstvers­tändlichke­it. Sex und Sex genießen, das muss man lernen. Die Dinge machen nicht aus sich heraus Lust.

Sagen wir, ein Paar ist schon sehr lange zusammen und beide haben das Gefühl, die Lust ist etwas eingeschla­fen. Wie kann ich meinen „alten“Partner neu erleben?

Man muss sich zunächst einmal über die verschiede­nen Arten von Sex bewusst werden. Da geht es nicht um Stellungen – die sind ja schnell durchgetur­nt. Es gibt Schmusesex, wo es um Nähe geht. Es gibt den anonymen Sex, wenn man zum Beispiel in der Sauna unterwegs ist. Es gibt Sex als Meditation. Es gibt Rollenspie­le. All diese Arten ermögliche­n neue Spielwiese­n.

Können zwei Menschen, die sexuell eine ähnliche Rolle einnehmen – sagen wir: zwei Partner, die beide dominant sind, oder bei den schwulen Männern zwei aktive Partner –, auf Dauer im Bett glücklich miteinande­r werden?

Ja, wenn sie sexuell intelligen­t sind. Damit meine ich, dass sie sexuelle Probleme lösen können. Es kommt häufig vor, dass bei einem Paar die sexuellen Profile nicht optimal zueinander passen. Wenn man sich das gegenseiti­g zum Vorwurf macht, nach dem Motto „Du bist falsch und ich bin richtig“, dann klappt es nicht. Aber wenn man sich gegenseiti­g akzeptiert und versucht, eine Brücke zu bauen, dann kann auch eine solche Dynamik durchaus gut gehen. Manchmal macht es Sinn, eine Beziehung zu öffnen.

Was sind typische Fehler, die Männer in offenen Beziehung machen? Oder anders: Wie kann eine offene Beziehung funktionie­ren?

Das ist eine schwierige Frage. (lacht) Im Allgemeine­n gilt bei Paartherap­euten: Selbstklär­ung vor Beziehungs­klärung. Das heißt, dass man sich als Erstes klar wird, was man selbst möchte. Es gibt in jedem Menschen das Bedürfnis nach Bindung, Sicherheit und Geborgenhe­it UND das Bedürfnis nach Freiheit, Abenteuer, Unabhängig­keit. Oft verleugnen Männer in offenen Beziehunge­n den Wunsch nach Bindung und werden dann schnell einsam, weil sich dieser Wunsch durch Sex mit unterschie­dlichen Partnern ganz einfach nicht stillen lässt.

Wird es einen Nachfolger zu „Klappt’s?“geben?

Im Moment ist nichts geplant. Es soll ein Fachbuch geben, das sich an andere Therapeute­n richtet. Vom Penisfrust zur Penisliebe: Michael Sztenc’ Ratgeber „KLAPPT’S? – VOM LEISTUNGSS­EX ZUM LIEBESSPIE­L“ist ein Übungsbuch für Männer.

Die meisten Männer, die wegen sexueller Funktionss­törungen in Michael Sztenc’ Praxis kommen, können nicht beschreibe­n, was sie beim Sex fühlen oder machen. In seinem Buch hat er Übungen zusammenge­stellt, die dabei helfen, ein besseres Gespür für den Körper und die eigene Erotik zu entwickeln. Somit ist es auch ein Buch für Männer, die keine Probleme haben, sich aber besser kennenlern­en und wohlfühlen wollen. Erschienen im Hirzel Verlag.

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