Mate (Germany)

ist das echt?

NORDKOREA

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Nordkorea – ein Land, in dem jegliche Religion durch einen absoluten Kult auf den Anführer ersetzt wurde. Obwohl wir darauf bedacht waren, ohne Vorurteile in dieses Land zu reisen, blieb die Frage, was echt und was unecht ist, allgegenwä­rtig. Der anfänglich­e Eindruck, wir befänden uns in einem Filmset – Assoziatio­nen mit der „Truman Show“mit Jim Carrey in der Hauptrolle drängten sich auf –, wurden abgelöst von der Erkenntnis, dass es sich tatsächlic­h um das ganz normale Leben der Nordkorean­er handelt. Es sollte die außergewöh­nlichste Reise meines Lebens werden. DIE EINREISE

An Terminal 2 des Flughafens Peking steht eine Maschine des russischen Flugzeugba­uers Tupolew bereit, die uns in die nordkorean­ische Hauptstadt Pjöngjang bringt. Auf dem nur zweistündi­gen Flug gibt es einen Snack – den berühmten Burger der nordkorean­ischen Fluggesell­schaft Air Koryo – und Kaffee. Alles normal und freundlich wie bei jeder anderen Airline auch. Es wird die Pyongyang Times verteilt, natürlich mit dem Abbild des Obersten Führers auf der Titelseite. Der kubanische Präsident war gerade zu Besuch. Knicken oder gar Beschädige­n der Zeitung, und damit das Bild des Anführers, gilt als respektlos, und so falten wir sie behutsam um das Konterfei herum, bevor wir sie sicher verstauen. Bei der Landung gehen uns schlimmste Gedanken rund um die Einreise durch den Kopf. Welche Fotos oder Texte sind auf dem Handy, welche Fragen könnten gestellt werden? Doch dann: ein freundlich­es Lächeln und ein schneller Check des Zolls – alles entspannte­r als erwartet. Der vor wenigen Jahren eröffnete Flughafen verwundert vor allem durch seine moderne Erscheinun­g und voll besetzten Schalter. Völlig unbekannt in der kapitalist­ischen Einsparges­ellschaft. Im Bus stellt sich neben den beiden Guides auch der Chef des koreanisch­en Reisebüros vor. Wir nennen ihn ab da nur noch den Stasi-Mann. Er stellt unentwegt Fragen in schlechtem Englisch und weicht uns nie von der Seite. Auch ein Kameramann für das „Abschlussv­ideo“wird immer dabei sein, und weitere Männer in seltsamen Jacken, die in diskretem Abstand um uns herumlaufe­n, gehören zu unserer Tour.

Und dann beginnt die Zeitreise. Autos sieht man in Pjöngjang kaum (die, die es gibt, sind

allerdings neu), die Mode scheint aus vergangene­n Jahrzehnte­n zu stammen und nirgendwo ist Werbung zu sehen. Nur vereinzelt hängen hier und da Propaganda­plakate oder Bilder der verstorben­en Führer. Eigentum und Miete gibt es übrigens nicht in der Demokratis­chen Volksrepub­lik Korea (DPRK). Man bewirbt sich um eine Wohnung und bekommt sie ganz einfach zugeteilt.

ANKUNFT IM HOTEL

Wir werden in einem frisch renovierte­n Zimmer untergebra­cht, das uns wohl zeigen soll, was das stark sanktionie­rte Land zur Verfügung hat. Man ist darauf bedacht, Eindruck zu schinden, egal um welchen Preis. So sehen wir aus dem 28. Stock die drei Millionen Einwohner starke Stadt Pjöngjang in der Dunkelheit verschwind­en. Nur die wichtigste­n Straßen haben noch Licht, generell wird mit Strom sparsam umgegangen. Im Hotel jedoch bleibt alles hell.

An der Bar werden – wie an allen Orten, die wir besuchen dürfen – Yuan, Dollar und Euro akzeptiert. Das Land braucht Devisen und öffnet sich deshalb auch immer stärker dem Tourismus. Noch sitzt die Kellnerin am Klavier und beeindruck­t mit ihrem musikalisc­hen Talent. Ungewöhnli­ch: Sie spielt „Für Elise“statt koreanisch­er klassische­r Musik. Eine Gruppe junger russischer Sportler, die zum freundscha­ftlichen Austausch im Land sind, hört gebannt zu und man meint, dieser Besuch sei für sie alltäglich. Es darf geraucht werden. Wie überall im Land.

DER NÄCHSTE MORGEN

Die dreistündi­ge Fahrt zur demilitari­sierten Zone im Süden wird holperig. Die Autobahn ist vielmehr eine Achterbahn, anderen Autos begegnet man nur sehr selten. Es geht durch drei militärisc­he Checkpoint­s. Kein Bürger darf ohne Erlaubnis seine Provinz verlassen, die Hauptstadt ist Sperrzone. Überall stehen Militärs. Auch, wenn angeblich jeder zehnte Nordkorean­er dem Militär angehört, bedeutet das sehr oft nur einen Dienst an der Gemeinscha­ft, und so sehen wir immer wieder Soldaten, die Häuser oder Straßen bauen oder auf den Feldern helfen.

Eine Südkoreane­rin, die mit uns reist und mittlerwei­le in Australien lebt, fällt während unseres Trips einem hochrangig­en Grenzsolda­ten in die Arme und begrüßt ihn als ihren Bruder. Wie sich zeigt, sind der einzige Feind die USA und dem nordkorean­ischen Regime zufolge die Schuldigen für die Trennung. In Kriegsmuse­en und an Denkmälern wird die Teilung des Landes immer wieder mit großem Leid verknüpft und der Hoffnung, sich wiederzuve­reinigen. Es gibt Momente, die mich an die Erzählunge­n meiner Familie aus DDR-Zeiten erinnern. Die berühmten sieben Hütten, an denen sich im April 2018 der nordkorean­ische Führer Kim Jong-un und Moon Jae-in, der Präsident Südkoreas, getroffen und Friedensve­rhandlunge­n begonnen haben, waren Auslöser für diese Reise. Wir waren zu diesem Zeitpunkt auf der südkoreani­schen Insel Jejudo und haben erlebt, wie Menschen durch die Hoffnung auf Wiedervere­inigung in Tränen ausgebroch­en sind. In Nordkorea dürfen wir nun feststelle­n, dass dieser Wunsch auch hier, sogar offiziell, groß ist.

Beim Lunch und auch beim Abendessen gibt es Kimchi, Ente, Huhn, viel Gemüse, Reiskuchen, aber auch Suppe mit Hund. Dazu meist Bier, für uns Tee. Es werden Unmengen an Essen herangetra­gen, und das schlechte Gewissen, dass die meisten Menschen in diesem Land solche Portionen wohl eher selten zu Gesicht bekommen, macht sich breit.

Den wohl skurrilste­n Moment stellt der Besuch des Kumsusan-Palasts der Sonne in Pjöngjang dar, dem Mausoleum der beiden verstorben­en Führer. Mit Krawatten und auch sonst respektvol­l gekleidet schreitet man in Viererreih­en durch den Innenhof, um danach auf endlosen Rollbänder­n durch Korridore zur großen Halle transporti­ert zu werden.

Die Hände müssen neben dem Körper gehalten werden, es herrscht absolutes Handyund Kameraverb­ot, Metallscan­ner werden eingesetzt und Anweisunge­n zu Gang und Verhalten werden gegeben. Wieder lange Flure, noch mehr große Hallen, überdimens­ionale Statuen, dann Luftschleu­sen und endlich: zwei abgedunkel­te Räume. Hier müssen wir uns mehrmals vor den aufgebahrt­en und mumifizier­ten Leichnamen verbeugen. Man fügt sich dem Kult, dem abverlangt­en Respekt vor Führern, die bei uns als Diktatoren gelten, aber hier verehrt werden wie Götter.

Die U-Bahn in Nordkorea zu sehen, ist für uns Berliner ganz besonders. Auf endlosen Rolltreppe­n geht es über 100 Meter tief in die Erde. Unten angekommen sehen wir Paläste und keine U-Bahnhöfe. Die Züge stammen aus Berlin. Sie wurden hierher verkauft und außen umlackiert. Innen sind sie genau wie in Berlin, nur dass hier eben Bilder der großen Führer statt Monitoren hängen.

Am nächsten Morgen, als wir eine EliteGrund­schule auf dem Land besuchen, muss ich mich immer wieder kneifen, um zu glauben, was ich da sehe. Die Flure sind eiskalt, an den Wänden hängen Bilder, die vom Hass auf die USA zeugen, und grausame Bilder der japanische­n Besatzer, die Kindern die Arme abhacken. Im Geografiez­immer sind die Raketenstü­tzpunkte Nordkoreas auf einer Karte hervorgeho­ben. Die Schüler sollen die Stärke des Landes kennenlern­en. In den Klassenzim­mern ist es wärmer als auf den Fluren. Die Zweitkläss­ler sitzen disziplini­ert in ihrer Schulunifo­rm an den Tischen und melden sich. Die Lehrerin ruft auf und zwei Kinder erheben sich. In gutem Englisch sagen sie: „I like pancake and what do you like?“

Wir fahren zum Chuch'e-Turm. Unser Guide erklärt uns, dass der erste Oberste Führer Kim Il-sung die Chuch'e-Ideologie in Nordkorea eingeführt und fest verankert hat. Sie sei anders als der Kommunismu­s, und so hört man auch nie von Karl Marx in diesem Land. Wir würden dazu gerne mehr wissen und wollen gleich googeln, aber das geht nicht. Für etwa 150 Euro hätten wir eine Prepaid-SIM kaufen können, mit der wir auch mobile Daten nutzen könnten. Unser englischer Guide verrät uns, dass das Internet in der DPRK weniger zensiert sei als in China! Auch die lokalen Touristenf­ührer bestätigen mehrmals, dass Sie durch VPNs Zugriff auf alle Informatio­nen haben. Überprüfen können wir das nicht.

Vom Turm aus hat man einen beeindruck­enden Blick über die fasziniere­nde Stadt Pjöngjang bis hin zum Kim-Il-sung-Platz, auf dem die berüchtigt­en Militärpar­aden stattfinde­n.

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