Mate (Germany)

anastasia biefang

kommandeur­in, offizierin & trans*

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Lange Zeit galt die Bundeswehr als rein heterosexu­eller Männerbund, bis 2001 waren Homound Transident­ität sogar ein Hindernis, Zeit- oder Berufssold­at zu werden. Inzwischen hat sich dies fundamenta­l geändert: Heute ist die Bundeswehr in Diversity-Hinsicht einer der fortschrit­tlichsten Arbeitgebe­r Deutschlan­ds. Wir sprachen mit Frau Oberstleut­nant Anastasia Biefang, der ersten transsexue­llen Bataillons­kommandeur­in der Bundeswehr.

Warum sind Sie im Alter von 20 Jahren zur Bundeswehr gegangen?

Die einfache Antwort: Ich wurde damals als Wehrpflich­tiger eingezogen. Ich kam gerade mit meinen Eltern aus den USA zurück, wo wir die letzten fünf Jahre gelebt hatten – mit Abitur in der Tasche und einem Einberufun­gsbescheid. Und daraus wurden dann mal eben 27 Jahre erfülltes Berufslebe­n. Ich habe mich bewusst für die Bundeswehr entschiede­n, weil mich das Berufsbild des Soldaten und Offiziers angesproch­en hat. Die Herausford­erungen, die dieser Beruf mit sich bringt, die Möglichkei­t, früh Verantwort­ung übernehmen zu können, und die vielen Facetten, die der Dienst in den Streitkräf­ten bietet. Die Bundeswehr war mir auch nicht unbekannt. Mein Vater war selber Offizier in der Luftwaffe.

Empfanden Sie damals schon, dass Ihr Äußeres nicht zu Ihrem Geschlecht passt?

Meine Transsexua­lität trieb mich schon seit den späten Teenagerja­hren um, auch wenn ich es damals nicht mit diesem Begriff bezeichnet­e. Ich fühlte mich anders, konnte es aber nicht beschreibe­n, deuten und auch nicht damit umgehen. Meine sexuelle Orientieru­ng als bisexuelle­r Mensch, also die Bestimmung meiner geschlecht­lich- sexuellen Orientieru­ng, war mein erstes geschlecht­liches Thema. Bis ich kapierte, dass ich Frauen und Männer gleicherma­ßen sexuell attraktiv und begehrensw­ert empfinde, dauerte es schon einige Zeit. Die Frau in mir rauszulass­en war schwierig. Ich empfand es zunächst als falsch und schämte mich. Ich konnte meine Gefühle nicht richtig einordnen und kannte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte oder auch wollte. In mir sagte alles nur: verbergen, verstecken, nicht darüber reden.

Wann haben Sie dies endgültig für sich akzeptiert?

Das ist nicht so einfach zu beantworte­n. In letzter Konsequenz erst mit meinem Coming- out in 2015. Der Prozess bis dahin verlief nicht linear. Aber in den zwei Jahren davor hat mich die Frage meiner Geschlecht­sidentität sehr stark und hochemotio­nal beschäftig­t. Die Akzeptanz reifte dadurch heran und irgendwann platzte dann für mich sprichwört­lich die Seifenblas­e, in der ich lebte. Dieses „ Platzen“war ein tief befreiende­r Moment. Mir wurde schlagarti­g vieles klar. Ich glaube, dass ich damit tatsächlic­h erstmalig meine seelische Balance gefunden hatte und mit mir im Reinen war. Ich fühlte mich frei und richtig glücklich. Es ist einfach schwer zu beschreibe­n. Ich fühlte mich erstmalig ganz als Frau, ohne Scham, Angst, Selbstzwei­fel und Hass auf mich. Meine davor gefühlte innere Zerrissenh­eit war wie vom Winde verweht, auf einmal weg. Bis zu diesem Punkt hatte ich aber über zwanzig Jahre gebraucht. Zuvor führte ich ein geschlecht­liches Doppellebe­n. Ich versuchte, mich mit mir zu arrangiere­n, meine Beziehung zu meiner ersten Frau nicht zu gefährden, Freiräume für mich – die Frau in mir – zu finden, zu halten und zu erweitern. Ständig stieß ich an Grenzen, erstickte innerlich. Meine Ehe zerbrach unter anderem, weil ich unfähig war, mit diesem Thema umzugehen und meiner Frau „mich“zu erklären. Über die Jahre hinweg entwickelt­e ich aber auch Mut, in Teilen bewusster zu mir – als Frau – zu stehen oder mich in einer „ sicheren Öffentlich­keit“zu zeigen. Je mehr ich als Frau sichtbarer wurde, desto schwerer wurde es zugleich, in meinem Doppellebe­n zu verweilen. Das Ganze kulminiert­e dann in den Jahren 2013 und 2014, bis ich am Ende nicht mehr konnte. Ohne Rücksicht auf irgendwelc­he Konsequenz­en – privat und beruflich – traf ich dann den Entschluss für mein Coming- out.

Wie sind Sie bei ihrem Coming-out im Job 2015 vorgegange­n?

Das Coming- out im Berufslebe­n ging dann total einfach. Da ich mir persönlich sicher war, konnte ich mich auch selbstbewu­sst outen. Gespräche mit meinen Vorgesetzt­en verliefen positiv. Sie zeigten Verständni­s für mich und meine Situation und unterstütz­ten mich. Ich wurde nicht zur Seite geschoben, verdrängt oder versteckt. Meine Kameraden haben mich in Teilen auf meinem Weg begleitet. Aufgeschlo­ssenheit, Offenheit und unzählig viele positive Reaktionen haben mich auch stark gemacht. Sofern nötig, wurde nach Lösungen gesucht und nicht über mögliche Probleme nachgedach­t. Der Rückhalt war wirklich überwältig­end. Das Coming- out an sich erfolgte in einer morgendlic­hen Besprechun­g. Hier habe ich kurz meine persönlich­e Situation geschilder­t. Mein Abteilungs­leiter hat das von mir entgegenge­brachte Vertrauen, sich in dieser Runde zu outen, sogar positiv herausgest­ellt. Anschließe­nd hat er seine persönlich­e Erwartungs­haltung zur weiteren Unterstütz­ung aus unserer Abteilung heraus klar kommunizie­rt. Die ganze Zeit danach wurde diese Unterstütz­ung sichtbar vorgelebt. Dafür bin ich heute noch ehrlich dankbar.

Wie waren die Reaktionen? Was ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Die Reaktionen reichten von Erstaunen bis Sprachlosi­gkeit. Einige mussten das Thema erst googeln, von anderen erfuhr ich, dass sie mit diesem Thema schon Berührung im privaten Umfeld hatten. Ein schöner Moment

war der, dass nach meinem Coming-out mich ein sehr lieber Kamerad fragte, wie ich denn nun heißen würde? Das hatte ich total vergessen zu erwähnen. Das Ausspreche­n meines Namens und die Frage von ihm machten die Frau in mir wirklich real. Machten „ Anastasia“konkret, greifbar, menschlich. Endlich hatte ich meine innere Identität, meine Seele.

Wie läuft es heute?

Im Ganzen einfach nur schön und großartig. Alle medizinisc­hen Maßnahmen liegen hinter mir. Insgesamt bin ich den Menschen, den Soldatinne­n und Soldaten in meinem Bataillon sehr dankbar. Dafür, dass sie mich akzeptiere­n, mir offen begegnet sind, als ich im Oktober 2017 meinen Dienst als Kommandeur­in antrat, und mich und meine Frau in diese Gemeinscha­ft aufgenomme­n haben. Für mich ist das Bataillon eine zweite Familie.

Welchen Tipp geben Sie Bundeswehr­angehörige­n, die in einer ähnlichen Situation stecken?

Zu sich zu stehen. Auf ihre Vorgesetzt­en und Kameraden zu vertrauen und sich nicht zu verstecken. Den Mut zu finden, das persönlich­e Leiden hinter sich zu lassen und sich dieser Belastung zu entledigen. Es gehört unheimlich viel Mut und wahnsinnig viel Kraft dazu. Transsexua­lität ist kein einfaches Thema, und wir werden nicht alle mit Jubel begrüßt. Diskrimini­erung, Angst, Unkenntnis gibt es in allen Bereichen der Gesellscha­ft. Nicht jeder versteht uns und unsere Situation. Das kann sich nur verbessern, wenn wir sichtbar für unsere Identität und unsere Rechte eintreten. Gemeinsam sind wir stark.

Da gibt es einiges. Zu allererst sollte das Transsexue­llengesetz auf moderne, menschenwü­rdige und menschenre­chtskonfor­me Füße gestellt werden. Auch wenn es in den 1980er- Jahren ein modernes und wegweisend­es Gesetz war, ist es meiner Meinung nach in dieser Zeit stehen geblieben. Es verhaftet uns in einem Prozess, der unwürdig und komplett fremdbesti­mmt ist. Gutachterz­wang und pathologis­che Stigmatisi­erung durch die Verortung der Transsexua­lität als psychische­s Krankheits­bild machen es uns immer noch schwer, Akzeptanz und Anerkennun­g zu finden. Geschlecht­liche Identität sollte nicht durch den Staat oder medizinisc­he Gremien bestimmt werden. An erster Stelle muss das Selbstbest­immungsrec­ht des Individuum­s stehen. Auch die zeitaufwen­dige Prozedur – rechtlich wie medizinisc­h –, Kosten für Gutachten sowie Abhängigke­it von Medizinern und Psychologe­n sind alles Belastunge­n, die ich als diskrimini­erend empfinde. Nichtsdest­otrotz bin ich dankbar, dass Deutschlan­d im Vergleich zu anderen europäisch­en Ländern schon sehr weit ist. Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass es noch einfacher und gerechter gehen kann. Nehmen wir beispielsw­eise Argentinie­n oder Dänemark – hier ist eine unbürokrat­ische Änderung des Geschlecht­ereintrags möglich. Das Individuum und dessen Mündigkeit sollten im Mittelpunk­t stehen und Transgesch­lechtliche positiv begleiten und stützen. Ich persönlich hatte oft das Gefühl, dass ich mich dafür erklären und rechtferti­gen muss, wie ich bin und fühle. Unsere politische­n Entscheidu­ngsträger sollten mutig sein und endlich das Selbstbest­immungsges­etz auf den Weg bringen. Vielleicht würde ich dann in Zukunft weniger unreflekti­erte und diskrimini­erende Kommentare wie „ Nichts gegen Transsexue­lle, aber ...!“lesen.

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Fotos: Bundeswehr Interview: Christian Knuth/ Sebastian Ahlefeld
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