Mate (Germany)

interview

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harald christ

Harald Christ, der im kommenden Jahr 50 Jahre alt wird, arbeitet seit vielen Jahren an der Schnittste­lle zwischen Wirtschaft und Politik. Anders als andere Politiker hat er den Vorteil, wirtschaft­lich unabhängig zu sein. Das befähigte ihn sehr früh zu einem Coming-out und einem Parteiwech­sel. Über seine Vorstellun­gen einer modernen Wirtschaft­spolitik und seiner eigenen Stiftungsa­rbeit sprachen wir mit ihm in Berlin.

Das letzte Mal, als wir ein Interview geführt haben, warst du im Schattenka­binett des damaligen SPD-Kanzlerkan­didaten Steinmeier. Jetzt bist du Schatzmeis­ter der FDP. Wie kommt es zu diesem Wandel?

Die SPD, in die ich eingetrete­n war, die SPD, für die ich 2009 im Schattenka­binett war, diese SPD war 2019 nicht mehr die Partei, mit der ich ausreichen­de Gemeinsamk­eiten hatte. Vor allem der industrie- und wirtschaft­snahe Teil der SPD hat sich in den letzten Jahren immer weiter marginalis­iert. Auf der einen Seite inhaltlich, aber auch dadurch, dass die handelnden Personen immer mehr durch reine Funktionär­e ohne Bezug zur pragmatisc­hen Industrie-, Standorts- und Wirtschaft­spolitik ersetzt wurden. Damit meine ich vor allem die Parteiführ­ung. Ich war 31 Jahre Mitglied der SPD. Es gab Höhen und Tiefen, Überzeugun­gen, aber auch Zweifel. Als Soziallibe­raler wurden die letzten Monate vor meinem Austritt die Zweifel immer größer. Ich hatte immer enge Bezüge in die FDP, aber ich war auch gut vernetzt zu den Grünen und zur CDU/CSU. Schlussend­lich war aber klar: Die größte Schnittmen­ge habe ich mit den Liberalen.

Wie sozial kann man als Soziallibe­raler in der FDP noch sein?

Die inhaltlich­en Positionen, die ich vertrete, haben sich nicht geändert. Ich war schon immer gegen zu hohe Steuern, weil wir in einem internatio­nalen Wettbewerb stehen. Ich war immer gegen Substanzbe­steuerung wie die Vermögenst­euer. Und auch immer dagegen, dass wir die Mittelschi­cht zu stark mit Abgaben belasten. Sehr wohl bin ich aber der Meinung, dass Menschen, denen es besser geht, auch einen Beitrag zur Finanzieru­ng des Staates leisten müssen. Die FDP ist keine Partei der Freiberufl­er und Reichen. Wer sich das Wahlprogra­mm der Partei anschaut, stellt fest, wie stark wir uns für den sozialen Aufstieg engagieren. Zum Beispiel für gleiche Bildungsch­ancen. Jedem soll viel ermöglicht werden, aber es ist auch Sache des Einzelnen, dazu beizutrage­n.

Während Corona hat der Staat enorme neue Schulden aufgenomme­n. Wie sollen bessere Bildungsch­ancen oder die Digitalisi­erung bezahlt werden außer durch neue Steuern?

Wir haben in Deutschlan­d eher ein Ausgaben- als ein Einnahmenp­roblem. Vor Corona hatten wir hohe Steuereinn­ahmen, was dazu führte, dass wir die Verschuldu­ngsquote von 85 % auf unter 60 % zurückführ­en konnten und trotzdem ausreichen­d Geld für Investitio­nen hatten. Insofern war es auch richtig, dass wir zahlreiche Corona-Hilfen gewährt und zum Beispiel das Kurzarbeit­ergeld schrittwei­se verlängert haben, weil es Unternehme­n und Arbeitsplä­tze schützt. Nur hätte ich mir bei manchen Themen eine andere Stoßrichtu­ng gewünscht. Die Mehrwertst­euerreduzi­erung hat einen großen Bürokratie­aufwand erzeugt, aber die 20 Milliarden Euro sind verpufft. Es wäre besser gewesen, wenn dieses Geld in Hochschule­n oder die Infrastruk­tur investiert worden wäre.

In Zukunft kommen weitere Aufgaben hinzu: Erhöhung des Verteidigu­ngshaushal­ts auf 2 %, Absicherun­g der Defizite in den gesetzlich­en Krankenkas­sen. Wo bleibt dabei der Gestaltung­sspielraum?

Der Gestaltung­sspielraum heißt Wachstum, so wie wir es auch nach der Finanzmark­tkrise erlebt haben. Wenn wir an das Wachstum dieser Dekade anknüpfen können, haben wir auf der Steuereinn­ahmenseite genug Mittel, um diese zielgerich­tet investiere­n zu können.

Mehr Wachstum bedeutet auch mehr Ressourcen­verbrauch. Nicht gerade ein Thema, das einem potenziell­en grünen Koalitions­partner gefallen würde.

Wenn die Grünen Verantwort­ung tragen, werden sie sehr schnell pragmatisc­h. Der Prozess der Kanzlerkan­didatur hat bereits gezeigt, wie weit sich die Grünen von ihrem basisdemok­ratischen Anspruch entfernt haben. Es wurden ja auch schon Spenden eines Chemieunte­rnehmens und eines Bitcoin-Spekulante­n angenommen.

Der Großspende­r der FDP, Herr Kofler, hat das grüne Wahlprogra­mm als sozialisti­sche Planwirtsc­haft bezeichnet. Wie groß können dabei die Schnittmen­gen sein?

Bei den Grünen muss man immer genau hinsehen, mit wem man es zu tun hat. Redet man über die Führungssp­itze, die den Wählern das Gefühl geben will, sie wären eine Partei der Mitte? Oder schaut man in das Parteiprog­ramm, das sich einer sehr linken, öko-sozialisti­schen Ideologie verschrieb­en hat, wo Verbote und Vorschrift­en das Verhalten regulieren sollen. Das beste Beispiel ist die verfehlte Wohnungsba­upolitik in Berlin, die die Grünen mit eingeführt haben. Es wurde durch den Mietendeck­el weniger investiert, weniger gebaut und die Mieter wurden verunsiche­rt.

Anderersei­ts gibt es auch das Schutzbedü­rfnis gegen galoppiere­nde Mietsteige­rungen in den Großstädte­n. Wie viel Herz für Mieter hat die FDP?

Wir müssen viel mehr bauen und vor allem bezahlbare­n Wohnraum schaffen. Am besten nachhaltig, mit neuen Technologi­en und einem CO2-Limit, denn als Liberale stehen wir für digitale und nachhaltig­e Transforma­tion auch beim Klimawande­l. Unsere Transforma­tion kommt aber nicht über Verbote, sondern durch Innovation und Forschung.

Wenn wir davon ausgehen, dass im September die Union die stärkste Kraft bleibt, können die Grünen eine Kanzlersch­aft nur in einer Ampelkoali­tion erreichen. Wie soll in einer solchen Konstellat­ion die liberale Handschrif­t sichtbar bleiben?

Wir haben 2017 gezeigt, dass die FDP nicht um jeden Preis regieren will. Das wird sich auch 2021 nicht ändern. Wir werden nur einer Regierung beitreten, die Deutschlan­d moderner, digitaler und freier macht. Wir sind bereit, Verantwort­ung zu übernehmen und die Herausford­erungen unserer Zeit innovativ und nachhaltig zu lösen. Im Übrigen kann ich mir nicht vorstellen, dass die nächste Kanzlerin eine Grüne ist.

Du hast eine „Stiftung für Demokratie und Vielfalt“gegründet, in die dein Privatverm­ögen einfließen wird. Welche Ziele verfolgst du damit?

Wie es der Name schon sagt, möchte ich die Stärkung der demokratis­chen Grundrecht­e und des Gemeinwohl­s in den Mittelpunk­t rücken. Eine wichtige Säule dabei ist eine vielfältig­e Gesellscha­ft. Ich wünsche mir eine Gesellscha­ft mit vollkommen­er Freiheit für Meinung, Presse, Religion und Liebe, in der das Zusammenle­ben unterschie­dlicher Kulturen und Lebensweis­en und die Chancengle­ichheit aller Menschen selbstvers­tändlich sind.

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„Wir werden nur einer Regierung beitreten, die Deutschlan­d moderner, digitaler und freier macht. Wir sind bereit, Verantwort­ung zu übernehmen und die Herausford­erungen unserer Zeit innovativ und nachhaltig zu lösen. Im Übrigen kann ich mir nicht vorstellen, dass die nächste Kanzlerin eine Grüne ist.“

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