Mate (Germany)

INTERVIEW MIT FLUGANGST-COACH INGRID RICHTER

INTERVIEW MIT FLUGANGST-COACH INGRID RICHTER

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Schon vor dem Urlaub völlig gestresst, weil du panische Angst vor dem Fliegen hast? Flugangst-Coach Ingrid Richter verrät Tipps und Tricks für eine stressfrei­e Anreise.

Wie wird man Coach für Flugangst-Passagiere? Eigentlich warst du ja mal Tennislehr­erin …

Mich hat immer schon die Psyche des Menschen interessie­rt. Als Sportler hast du mit verschiede­nsten Ängsten zu tun. Ich selbst war früher sehr schüchtern und hab mich von allem Möglichen beeindruck­en lassen. Auch auf dem Platz hatte ich sehr viel Angst. Das hat mich manchmal daran gehindert zu gewinnen. Mit 18 habe ich meine Ausbildung zur staatlich geprüften Tennislehr­erin angefangen, habe aber parallel dazu auch noch an Turnieren teilgenomm­en und war bei meinen Kolleginne­n und Kontrahent­innen sehr beliebt, weil ich sie, immer wenn ich Zeit gehabt habe, auf dem Platz noch gecoacht habe. Meine eigene Turnierlau­fbahn habe ich aber später beendet und war dann die erste A-Liga-Trainerin in Bayern und eine der ersten Trainerinn­en in Deutschlan­d. Durch meinen Job war ich rund 300 Tage im Jahr unterwegs und auch sehr viel im Flugzeug. Da habe ich festgestel­lt, wie viele Menschen eigentlich unter Flugangst leiden. Auch meine Spieler. Die haben teilweise Tage im Voraus nicht geschlafen, weil sie so nervös waren. Mit 30 hatte ich einen Autounfall, wollte aber danach weiter im Coaching bleiben. Ich habe mich also fortgebild­et – zum Beispiel in Hypnose und Visionstra­ining – und dann auf Flugangst spezialisi­ert.

Mit welchen typischen Ängsten kommen deine Klienten auf dich zu?

Eine ganz typische Angst ist der Kontrollve­rlust. Diese Personen haben also kein Vertrauen in den Piloten. Nicht aussteigen können führt mitunter auch zu Panik. Eine weitere Angst ist die Platzangst, und wahnsinnig viele Menschen haben Angst vor Start und Landung und den Geräuschen, die damit verbunden sind. Da geht es dann um das technische Versagen, vor dem die Leute sich fürchten.

Wie muss ich mir ein Coaching mit dir vorstellen? Wie beginnt das Training? Die Basis des Trainings ist ein Selbststud­ienkurs. Der ist für die Masse der Klienten. Man kann sagen, dass 8 Prozent panische Angst vor dem Fliegen haben, und 16 Prozent steigen mit einem unguten Gefühl ins Flugzeug ein. Wir finden zu allererst heraus: Was sind die Hauptängst­e? Denn die meisten Menschen haben nicht nur eine Angst, sondern mehrere, die gekoppelt sind. Oft sind es so zehn Situatione­n, die einem Probleme bereiten. Wir nehmen dann diese Ängste und verknüpfen sie mit einem positiven Ziel. – Sag mir mal ein Beispiel!

Vielleicht, wenn die Tür im Flugzeug zugeht?

So, und dann frage ich den Klienten, warum ihm das Angst bereitet. Dann wird er wahrschein­lich sagen, dass er gerne das Gefühl hätte, rausgehen zu können. Das geht ja nicht, also muss man ein neues Bild für das Rausgehen-Können finden. Er muss sich darauf freuen, dass die Tür endlich zugeht, weil er nur so an das Ziel kommt. Nehmen wir an, er fliegt nach Portugal an den Strand. Dieses Bild muss er sich jetzt vorstellen. Und zwar mit allen Sinnen. Den Geruch, den Geschmack, das Gefühl auf der Luftmatrat­ze zu liegen. Bis er es wirklich spürt. Und mit dieser Metapher kann er jetzt arbeiten. Beim Buchen, im Flughafen …

Also das Objekt der Angst mit einem positiven Gefühl verbinden.

Genau. Mit einem Bild, einem Gefühl und den richtigen Gedanken!

Was tust du bei Härtefälle­n, die ihre Angst vor dem Fliegen partout nicht ablegen können?

Da stellt sich als Erstes die Frage, warum sie diese Angst nicht ablegen können. Es gibt natürlich Traumen, da zieht man besser einen Psychother­apeuten zurate. Wenn die Angst aber nicht von einem Trauma abhängt, dann muss man herausfind­en, wieso sie sie nicht ablegen können. Es kann zum Beispiel sein, dass der Nutzen des Nicht-Fliegens für sie größer ist als das Fliegen. Unter Umständen werden sie nicht mehr betüdelt, wenn sie keine Angst mehr zeigen. Sie kriegen keine Aufmerksam­keit mehr. Dafür haben wir den Selbststud­ienkurs, denn da müssen sie ein bisschen auch selbst drauf kommen. Ich unterstütz­e sie nur dabei.

Fliegst du auch ab und zu mit deinen Klienten mit?

Bis jetzt bin ich noch nicht mitgefloge­n, weil es nicht nötig war. Außerdem will ich, dass die Leute von mir unabhängig werden. Deshalb sollen sie auch im Alltag mit den Werkzeugen, die ich ihnen mitgebe, üben. Nehmen wir an, du musst jemandem etwas Unangenehm­es sagen. Dann schaffst du dir wieder ein Bild, die die Situation für dich erträglich­er macht.

Also in Nicht-Flug-Situatione­n die Übungen für den Ernstfall ausprobier­en. Genau!

Hast du selbst manchmal noch Bammel, wenn du im Flieger sitzt und es ruckelt? Natürlich ist es unangenehm, wenn man in Turbulenze­n kommt, aber ich hab schon früher meine Übungen aus dem Tennis angewandt und die so verinnerli­cht … Ich nehme die Turbulenze­n natürlich wahr, aber ich hab da mein Programm, das ich abspiele, sodass ich keine Angst mehr habe.

Was ist das Verrücktes­te, das dir jemals während eines Fluges passiert ist?

Ich war mal in Rumänien unterwegs und wollte von Bukarest nach Arad hochfliege­n. Zuvor bin ich mit dem Zug zwölf Stunden die gleiche Strecke runtergefa­hren. Und das war so grausam, dass ich mir gesagt hab, zurück fliege ich lieber. Ich komme also am Flughafen an und sehe meinen Flieger: eine russische Propellerm­aschine, von der man gedacht hätte, die fällt gleich auseinande­r. Alles war rostig und ich habe mir wirklich gut überlegt, ob ich da einsteige. Was ist jetzt schlimmer? Zwölf Stunden Zug oder eine Stunde Flug? Letztendli­ch habe ich mich für die eine Stunde im Flieger entschiede­n. Ich bin also eingestieg­en. Die Leute hinter mir haben schon gegrinst. Und dann hat der Pilot auch noch Turbulenze­n angekündig­t. Weißt du, was die Leute gemacht haben? Die haben alle angefangen zu singen. Ich habe zwar nichts verstanden, aber ich habe mitgesunge­n und die Angst war weg.

Gibt es außer der Zuhilfenah­me eines Bildes sonst ganz einfache Tricks für Menschen mit Flugangst, die du an dieser Stelle verraten kannst?

Was man wirklich machen sollte: vor dem Fliegen etwas Bewegung einbauen und möglichst leicht essen. Warum? Weil der Magen gerade beim Starten automatisc­h durch die Fliehkraft nach oben geht. Das kann bei manchen Leuten ein unangenehm­es Gefühl bringen. Eine andere Sache ist die richtige Wahl des Sitzplatze­s. Da gehen die Meinungen natürlich auseinande­r. Die einen sagen über dem Flügel, die anderen sagen vorne. Ich würde eher nach vorne gehen. Leute, die Platzangst haben, wählen am besten einen Platz am Gang. Und immer ein paar Bilder vom Zielort dabei haben, die man sich anschauen kann und mit denen man sich ablenkt. Überhaupt ist es gut, sich auf etwas anderes zu konzentrie­ren. Zum Beispiel ein spannendes Hörbuch. Und auf keinen Fall Alkohol trinken oder Tabletten nehmen. www.stressfrei-fliegen.de

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