Mecklenburger Schweiz (Teterow)
Kasan: Ein russisch-tatarisches Kleinod
KASAN – Kasan als Hauptstadt der Republik Tatarstan, die sich seit dem Ende der UdSSR als Nachfolger des Khanats Kasan sieht, hat sich seit meinem letzten Besuch dort im Jahr 2015 weiter zu einem Schmuckstück entwickelt – der industriellen Struktur und dem Rohstoffreichtum der Region Tatarstan sei Dank. Daneben haben Handel, Textilindustrie und Landwirtschaft die Region reich gemacht.
Wir nahmen Quartier in einem historischen Gasthof am „Großen Kaban See“(Kaban heißt auf Deutsch „Wildschwein“) und genossen gegen den Hunger dort erst einmal regionale Spezialitäten, wie zum Beispiel deftig zubereitetes Pferdefleisch. Auffällig war, dass das Restaurant in zwei Hälften geteilt war und wir zufällig die Seite ausgewählt hatten, in der nur Männer speisten. Die Frauen hatten im gegenüberliegenden Teil des Innenhofes ihren eigenen Bereich. Auf Nachfrage gab es dann die Erklärung, dass man sich noch in der Fastenzeit befinde und deshalb Männer und Frauen hier in der Öffentlichkeit getrennt speisen. Ansonsten haben wir den Eindruck gewonnen, dass sich die russische und tatarische Bevölkerung in den letzten 100 Jahren gut miteinander vermischt hat und die Gegend zu einer Art Vorzeigeregion für das Zusammenleben verschiedener Nationalitäten geworden ist.
Der Blick streifte von unserem Restaurant aus immer wieder über den Wildschweinsee, der seinen Namen aus einer Zeit hat, als die im Jahr 1005 gegründete Stadt noch übersichtliche Strukturen hatte. Und das ist schon lange her. Das wilde Getier wurde nach und nach von hier verdrängt und so befindet sich das sauber eingefriedete Gewässer heute im Zentrum der Stadt, eingebettet von Wohn- und Zweckbauten unterschiedlichster Baustile. Und der See birgt noch ein Geheimnis. In der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg fanden hier gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen von deutschen und sowjetischen Militärangehörigen statt, die aber mit Beginn des Zweiten Weltkriegs beendet wurden. Unter anderem haben sich in Kasan die späteren Wehrmachtsgeneräle Guderian und Manteufel weiterbilden lassen. Nach dem Abbruch der Zusammenarbeit wurde die bis dahin gemeinsam genutzte Militärtechnik für immer im See versenkt.
Besiedelt wurde dieses Gebiet ab dem 7. Jahrhundert, als sich ein Teil des slawischen Stammes der Bulgaren dort niederließ; aus dem anderen Teil, den es an die Donau verschlug, ging später Bulgarien hervor. Ab dem 13. Jahrhundert fielen dann die
Tataren, eine mongolische Stammesgemeinschaft, über das Gebiet her und nutzten die Stadt Bulgar lange Zeit als Hauptstadt des von ihnen hier errichteten Khanats Kasan. Aufgrund der Abgeschiedenheit sind an diesem Ort auch heute noch steinerne Zeugen dieser Epoche sichtund erlebbar. Der Besuch erfordert aber wegen der wenigen Brückenbauwerke über die Flüsse Wolga und Kama einen enormen Zeitaufwand für An- und Abfahrt.
1551 gelang es Zar Iwan IV., die Tataren zu unterwerfen. Als Zeichen des Sieges ließ er dann auf den Mauern der alten tatarischen Festung innerhalb von 7 Jahren einen Kreml errichten. Bald darauf war auch Zarin Katharina II. hier und von der Entwicklung der Stadt angetan. 1767 erlaubte die weltoffene Monarchin den Bau zweier Moscheen. Inzwischen gibt es in der Stadt mehr Moscheen als orthodoxe Kirchen und als Zeichen des gedeihlichen Zusammenlebens
zwischen Tataren und Russen wurden im Jahr 2005 die restaurierte Maria-Verkündigungskirche und der Neubau der 3000 Menschen Platz bietenden Kul-Scharia-Mosche gemeinsam geweiht.
In der prunkvollen Innenstadt findet man am See das Denkmal der tatarischen Loreley, aber auch das Gebäude der ehemaligen Nationalbank. Dort wurden bis 1920 die 148 Tonnen der zaristischen Goldreserven, die dann unter dem Kommando von Admiral Koltschak in Richtung Sibirien abtransportiert wurden, gelagert. Ein Teil wurde dann ab Wladiwostok nach Japan und Großbritannien verschifft. Der Rest ging für immer spurlos verloren.
Aber auch das Umfeld der Millionenstadt hat eine Menge zu bieten. Deshalb haben wir uns auf den Weg übers Land gemacht. Zu Beginn besuchten wir die Insel Svijazsk mit der Gemeinde Iwangorod am Zusammenfuß von Wolga und Svijage. Die Insel ist nur durch einen aufgeschütteten Damm erreichbar. Ursprünglich war hier einmal Land, bis 1957 das gesamte Gebiet zu einem riesigen Stausee gef lutet worden ist.
Als das noch anders war, ließ Zar Iwan IV. an diesem Ort mithilfe von 75.000 Mann in 24 Tage 1551 zur völligen Überraschung der Tataren eine Festung bauen und begann dann von hier aus die Belagerung sowie später die Eroberung der Stadt Kasan. In diesem Zusammenhang entstanden das Maria-Himmelfahrt-Kloster und die Nikolaikirche. Die Nutzung des Klosters wechselte während der sowjetischen Zeit zwischen Kinderheim, Kriegsgefangenenlager und psychiatrischer Klinik. Erst 2010 konnte mit der umfangreichen Wiederinstandsetzung des Komplexes des heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden Areals begonnen werden. Aktuell zieht die Insel täglich hunderte, zumeist inländische, Touristen an.
Fast in Sichtweite entsteht ein Stück Russlands Zukunft. Auf dem Gemeindegebiet des 400 Einwohner zählenden Dorfes Morkwaschi entsteht auf der Grundlage eines Masterplans unter dem Namen Innopolis seit 10 Jahren eine Stadt der Zukunft. Hier sollen einmal 150.000 Menschen leben, darunter 60.000 IT-Spezialisten mit ihren Familien. Derzeit gibt es bereits eine Universität, ein Krankenhaus sowie Kinder- und Versorgungseinrichtungen.
An der gebührenpflichtigen Elite-Uni studieren momentan gerade einmal 800 junge Menschen, darunter auch einige aus dem westlichen Ausland.
Die Planungen sind großzügig angelegt und die Infrastruktur hinterlässt einen sehr modernen Eindruck. Das wird bei ausgeklügelten, hochmodernen Systemen für das Parken von Autos und die Müllentsorgung sichtbar und setzt sich bei der Nutzung von Robotern zur Zustellung von Post oder Lebensmitteln für die geschätzten 30.000 Einwohner fort. Auf den weitläufigen Außenanlagen spielen lautstark und unbeschwert Kinder. Bei Andreas und mir rief das sogleich Erinnerungen an eine heimatliche Normalität vergangener Tage hervor.
Inzwischen waren wir in Selenodolsk eingetroffen; einst ein kleines Städtchen an der Wolga vor den Toren Kasans – heute eine moderne 100.000-Einwohner-Stadt mit viel Industrie. Neben Kühlschränken werden hier seit 150 Jahren Schiffe gebaut. In der sowjetischen Zeit erhielt die Werft den Ehrennamen „Maxim-Gorki-Werft“. Die Fahrt hierher sollte auch eine Überraschung für meinen Begleiter Andreas, den früheren Offizier der Volksmarine, werden, denn auf dieser Werft wurden auch Schiffe für die Volksmarine der NVA gebaut. So auch sein letztes Schiff, auf dem er fuhr, das Küstenschutzschiff (Fregatte) „Berlin – Hauptstadt der DDR“. Es gehörte neben der „Halle“und „Rostock“mit 100 Metern Länge und 120 Mann Besatzung zu den größten Schiffen der Volksmarine.
Ich hatte mich vorab gut informiert und wusste, dass es hier auch ein Museum gab. Das wollten wir besuchen und steuerten zielsicher auf das Werksgelände zu. Leider kamen wir nicht weit, denn schon auf dem Parkplatz wurde unser mit St. Petersburger Kennzeichen und hier offensichtlich nicht willkommene PKW abgedrängt. Meinen Freund Igor machte das sehr nervös und verbot uns, auszusteigen und zu fotografieren. Immerhin hat er erlaubt, dass sich unser Kraftfahrer Iwan am Werkseingang nach dem Museum erkundigen durfte. Mit der Antwort, dass es hier derzeit kein Museum gibt und mit dem Hinweis weiterzufahren, wurde er brüsk abgewiesen. Das Gelände konnten wir dann immerhin ungehindert verlassen. Inzwischen sind die Eintragungen mit dem Hinweise auf das Museum im Internet verschwunden. Man wird wissen warum, denn Schiffe aller Art werden hier immer noch auf Kiel gelegt...