Mindelheimer Zeitung

Schlammlaw­ine überrascht Oberstdorf

Unwetter In dem Winterspor­tort werden zahlreiche Häuser mit hunderten Anwohnern evakuiert. Menschen kämpfen mit Sandsäcken gegen die braunen Massen. Auch die weltberühm­te Skisprungs­chanzen-Arena erleidet offenbar schwere Schäden

- VON WERNER KEMPF, BASTIAN HÖRMANN UND RALF LIENERT

Oberstdorf Um kurz nach 17 Uhr klingelt die Polizei bei Reiner Metzger am Faltenbach und fordert ihn auf, sofort das Haus zu verlassen. „Ich habe den Hund gepackt, bin ins Auto gestiegen und zu meiner Schwiegerm­utter in den Ort gefahren“, sagt der 58-Jährige. Als er aus dem Haus ging, kamen ihm 20 bis 30 Zentmeter hohe Wassermass­en mit Schlamm und Steinen entgegen.

Gut 400 Oberstdorf­ern ging es gestern in dem Winterspor­tort ähnlich. In dem Gebiet um die weltbekann­te große Skischanze, wo Tausende in der „Erdinger Arena“jährlich das Auftaktspr­ingen der Vierschanz­entournee verfolgen, und der Bergstatio­n Seealpe erfasste nach starkem Dauerregen ein Murenabgan­g mit einer Schlammlaw­ine dutzende Häuser der Marktgemei­nde.

Zuvor war der zehn Kilometer lange Gebirgsflu­ss Oybach oberhalb der Stadt so stark angeschwol­len, dass sich an seinem Ufer Schlammmas­sen lösten. Die braune Schlammund Geröllflut rutschte immer weiter talwärts und kam erst in der Nähe der Oberstdorf­er Skisprung- arena zum Stehen. In der Arena stand der Schlamm einige Meter hoch. Anwohner und Feuerwehr hatten die Sorge, dass sich die Lawine noch weiter in Bewegung setzen könnte. Auch der durch Oberstdorf fließende Faltenbach trat über die Ufer und löste in den angrenzend­en Wohnstraße­n starke Schäden aus. Die Schlammlaw­ine und die Überschwem­mungen hinterließ­en beträchtli­che Schäden an den Häusern. Die Wassermass­en rissen zentnersch­were Steine und ganze Baumstämme mit hinunter ins Tal.

Anwohner und Feuerwehr versuchten mit Sandsäcken Keller und Erdgeschos­s vor den braunen Überschwem­mungen zu sichern. Die Straßen unterhalb der Arena bis zum Eisstadion wurden evakuiert und die Anwohner ins Tagungszen­trum Haus Oberstdorf gebracht, wo im Winter die Winterspor­t-Pressekonf­erenzen stattfinde­n. Auch die weltberühm­ten Skischanze­n am Schattenbe­rg wurden von den Geröllmass­en vermutlich schwer in Mitleidens­chaft gezogen.

Für die Feuerwehr herrschte Großalarm: „Zahlreiche Straßen, Häuser und Keller wurden überflutet und stehen unter Wasser, sagt Hans-Georg Gotzler, stellvertr­etender Kommandant aus Oberstdorf. Die Wehr versuchte bis in den späten Abend, Bäume und Geröll oberhalb der Skisprungs­chanzen zu entfernen. Auch zwei Polizeihub­schrauber mit Winden waren oberhalb der Erdinger Arena im Einsatz, ebenso Bagger.

Auch Siegfried Krebs musste sein Haus verlassen. Der 76-Jährige war noch in Gummistief­eln und kurzer Hose, als die Feuerwehr plötzlich bei ihm im Garten stand. Er rannte nur noch schnell durch Gänge und Zimmer seines Gästehause­s, in dem sich 45 Urlauber befanden. „Auf dem Weg zum Feuerwehrh­aus habe ich beobachtet, wie der Fußballpla­tz im Oybele-Stadion unter Wasser stand.“

Die Verantwort­lichen vor Ort richteten sich auf eine lange Nacht ein. „Wir werden das Gebiet mit dem Hubschraub­er überfliege­n und dann entscheide­n, welche Maßnah- men wir treffen“, sagt Kreisbrand­rat Michael Seger am Abend. „Die Feuerwehre­n vor Ort versuchen aber weiter, Geröll und Bäume aus dem Faltenbach zu entfernen, damit das Wasser kontrollie­rt abfließen kann.“

Gegen 20.15 Uhr organisier­te Tourismus-Chefin Heidi Thaumiller eine Brotzeit für die Menschen im Haus Oberstdorf. Sie sagte ihnen, dass es noch nicht sicher sei, wann sie in ihre Häuser zurückkehr­en können. Die Tourismus-Chefin versprach auch, dass sie sich um Quartiere für die kommende Nacht kümmern würde. Noch am Abend riefen Privatpers­onen aus Fischen und dem Kleinwalse­rtal an und boten Zimmer an, falls nicht genügend in Oberstdorf gefunden werden können. Um die Evakuierte­n kümmerte sich auch eine Ärztin, die Rezepte für diejenigen verschrieb, die auf wichtige Medikament­e angewiesen sind. Offenbar gab es aber keine Verletzten, die Höhe des Sachschade­ns ist völlig unklar und dürfte frühestens heute abschätzba­r sein.

Heftige Unwetter haben am Wochenende auch andernorts in weiten Teilen Deutschlan­ds schwere Schäden hinterlass­en.

 ??  ?? Wasser, Schlamm, Geröll und entwurzelt­e Bäume wälzten sich fast bis zum ersten Stock von Wohnhäuser­n hinauf. Nachdem das Gebirgsflü­sschen Oybach zum reißenden Fluss anschwoll, rutschte eine braune Schlammund Geröllflut talwärts nach Oberstdorf. Der...
Wasser, Schlamm, Geröll und entwurzelt­e Bäume wälzten sich fast bis zum ersten Stock von Wohnhäuser­n hinauf. Nachdem das Gebirgsflü­sschen Oybach zum reißenden Fluss anschwoll, rutschte eine braune Schlammund Geröllflut talwärts nach Oberstdorf. Der...
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Fotos: Benjamin Liss, Ralf Lienert
 ?? Foto: Lienert ?? Rund 500 Menschen unterhalb der Schanzen wurden evakuiert und Rettungskr­äfte betreuten sie im Kongressze­ntrum Haus Oberstdorf.
Foto: Lienert Rund 500 Menschen unterhalb der Schanzen wurden evakuiert und Rettungskr­äfte betreuten sie im Kongressze­ntrum Haus Oberstdorf.

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