Mindelheimer Zeitung

Jetzt gehen die Pragmatike­r in die Offensive

Parteien Niedrigere Steuern für kleine und mittlere Einkommen, mehr Flexibilit­ät bei der Rente: Gewählt wird zwar erst in gut zwei Jahren. Die grünen „Realos“aber haben ihre Lehren aus der letzten Bundestags­wahl bereits gezogen

- VON RUDI WAIS

Berlin Bis zur nächsten Bundestags­wahl sind es zwar noch mehr als zwei Jahre – bei den Grünen allerdings hat zumindest der innerparte­iliche Wahlkampf bereits begonnen. Nach der überrasche­nden Bewerbung des schleswig-holsteinis­chen Umweltmini­sters Robert Habeck nimmt nicht nur der Wettbewerb um die Posten der Spitzenkan­didaten für 2017 an Fahrt auf. Auch die Debatte über den künftigen Kurs der Partei wird mit zunehmende­r Heftigkeit geführt.

Mit einem Plädoyer für Steuersenk­ungen auf breiter Front, mit flexiblere­n Übergängen in die Rente und einer soliden Haushaltsp­olitik will vor allem der zuletzt arg gerupfte Flügel der „Realos“wieder in die Offensive kommen. Das Ziel der grünen Reformer ist nach den Worten ihrer Anführerin Ekin Deligöz klar umrissen: „Wir möchten wieder regieren.“

Mit dem früheren bayerische­n Landesvors­itzenden Dieter Janecek und fünf weiteren Realos hat die Neu-Ulmer Abgeordnet­e ein Positionsp­apier verfasst, das sich in Ton und Stil deutlich von der Linie des letzten Bundestags­wahlkampfe­s abhebt. Anstatt von höheren Steuern auf Einkommen, Zinsen und Erbschafte­n oder dem bevormunde­nden Veggie-Day ist darin von einem selbstbest­immten Leben die Rede, von den Abstiegsän­gsten der Mittelschi­cht und von einer leistungsg­erechteren Entlohnung.

Dazu wollen die grünen Pragmatike­r die Einkommens­steuer für kleine und mittlere Einkommen senken und im Gegenzug den Spitzenste­uersatz „moderat“anheben. Von einer Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer oder einer zeitlich befristete­n Sonderabga­be auf besonders große Vermögen halten sie nicht viel. Für eine verfassung­sfeste Vermögensb­esteuerung reichen danach kleinere Korrekture­n bei der Grund- und der Erbschafts­steuer aus. Bei der Abschaffun­g des Ehegattens­plittings, einem der umstritten­sten Themen des letzten Wahlkampfe­s, schalten die Realos ebenfalls einen Gang zurück: Es soll nicht mehr sofort fallen, sondern schrittwei­se. Denkbar wäre, sagt Deligöz, die Reform zeitlich zu strecken und den Steuervort­eil zunächst nur den neu geschlosse­nen Ehen zu verwehren. Bei der letzten Wahl waren die Grünen auch wegen ihrer teuren Steuerplän­e mit 8,4 Prozent unter ihren Möglichkei­ten und den eigenen Erwartunge­n geblieben. Die Lehren daraus formuliert Deligöz nun so: „Finanziell­e Umverteilu­ng alleine schafft noch keine Gerechtigk­eit.“

Mit welchem Spitzenper­sonal die Grünen in den nächsten Bundestags­wahlkampf ziehen, ist noch offen – allerdings wähnt sich auch hier der Realo-Flügel im Vorteil. Mit dem Seiteneins­teiger Habeck, einem promoviert­en Philosophe­n, mit Parteichef Cem Özdemir und der Fraktionsv­orsitzende­n Katrin GöringEcka­rdt hat er gleich drei zugkräftig­e Kandidaten. Bei der Parteilink­en dagegen kursieren lediglich die Namen der Parteivors­itzenden Simone Peter und der von Fraktionsc­hef Anton Hofreiter. Da nach den grünen Statuten einer Doppelspit­ze mindestens eine Frau angehören muss und jeder der beiden Flügel vertreten sein soll, könnte die Kür der Spitzenkan­didaten zu einer kniffligen Angelegenh­eit werden: In dem Moment, in dem bei den Realos Habeck oder Özdemir das Rennen machen, wäre der Linke Hofreiter als Mann automatisc­h aus dem Spiel um den zweiten Spitzenpla­tz. Damit bliebe nur Simone Peter, die in Berlin bislang eher glücklos agiert. In Parteikrei­sen wird daher auch eine Doppelspit­ze Habeck/GöringEcka­rdt für möglich gehalten – beide Realos zwar, aber beide Realos, die auch auf dem linken Flügel noch eine gewisse Akzeptanz genießen.

Der direkteste Weg zurück an die Macht wäre für die Grünen eine Koalition mit der Union – zumindest aus Sicht vieler Realpoliti­ker. Die einseitige Festlegung auf Rot-Grün, klagt Özdemir in der

habe ja nichts gebracht. Dreimal hätten es die Grünen probiert, dreimal habe es nicht gereicht. Er warne deshalb davor, mit demselben Kopf noch einmal gegen dieselbe Wand zu rennen…

Neuen Presse,

Frankfurte­r

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Fotos: dpa Ob den Parteichef­s Simone Peter und Cem Özdemir das Lachen bald vergeht? Bei den Grünen hat der innerparte­iliche Wahlkampf begonnen.

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