Mindelheimer Zeitung

Abgefahren

Porträt Als Teenie begann Thomas Habermann, Mofas zu frisieren. Das Hobby wurde zur Leidenscha­ft. Und der Ulmer fand eine winzige Nische in der Motorrad-Branche: Er fertigt in Handarbeit exzentrisc­he Einzelstüc­ke, auf die nicht nur echte Prinzen stehen

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Langenau/Ulm Zu Stahl, Chrom und Lack gewordene Stereotype­n des Rock ’n’ Roll: exzentrisc­h, grell, aufreizend, glitzernd, angeberisc­h, handgemach­t und laut. Diese Eigenschaf­ten treffen auf alle Motorräder zu, die eine von außen ziemlich unscheinba­re Manufaktur im Ulmer Vorort Langenau verlassen. Und wie es sich für echte Rock ’n’ Roller gehört, fordern sie eine gehörige Gage. Mindestens 40 000 Euro auf einer nach oben offenen Preisskala kostet ein handgefert­igtes Motorrad aus dem Hause Habermann.

Der 48-jährige Ulmer Thomas Habermann ist der Chef einer der letzten verblieben­en Custombike­Schmieden der Republik. Vom Lenker über das Fahrwerk bis hin zum Auspuffsys­tem – alles entsteht von Hand. Der gelernte Karosserie- und Fahrzeugba­uer schätzt, dass es in Deutschlan­d maximal noch drei weitere Betriebe gibt, die MotorradEi­nzelstücke komplett selbst herstellen.

Seit Ende vergangene­n Jahres ist es einer weniger: Walz Hardcore Cycles aus Mannheim – mit so berühmten Kunden wie Formel1-Rennfahrer Sebastian Vettel und Hollywood-Star Brad Pitt – stellte nach 21 Jahren den Betrieb ein. Fraglich ist auch, ob Augsburger Motorrad-Träume doch noch wahr werden können – Träume in einer weit höheren Größenordn­ung. Die traditions­reiche Motorrad-Marke Horex, die es zuletzt als „Red Porsche Killer“in der Comic-Reihe Werner zu einiger Berühmthei­t schaffte, sollte wiederbele­bt werden. Das Ziel: mittelfris­tig rund 1000 Maschinen pro Jahr zu produziere­n. Doch das Unternehme­n mit 30 Mitarbeite­rn musste nach holprigem Start Insolvenz anmelden. Nun will der neue Eigentümer, die Firma 3C-Carbon Group aus Landsberg, mit einem „marktfähig­en Konzept“einen neuen Start wagen.

Marktfähig ist das Konzept von Thomas Habermann schon länger. Er behauptet sich nicht zuletzt mit schwäbisch­em Erfinderge­ist und der Liebe zur Perfektion. Die Nische, die er besetzt, ist winzig und weit weg von jeglicher Serienfert­igung. Jedes Jahr verkauft er zusammen mit seiner Frau Dany maximal vier Motorräder seiner Marke „Habermann Performanc­e“.

Hinzu kommen noch maximal zehn Fahrwerke für andere BikeSchmie­den, beispielsw­eise in den USA, die dann auf dieser Basis ihre Ideen verwirklic­hen. Mehr würde er mit der Hilfe des Lehrlings und seiner Frau auch gar nicht schaffen: Mindestens 350 Arbeitsstu­nden – ohne Lackierung – verschling­t eines seiner Unikate bis zur Fertigstel­lung.

Für einige seiner Kunden sind die zigtausend Euro Anschaffun­gskosten ein Klacks: So fährt etwa der Prinz von Katar mit einer Habermann-Maschine durch die Arabische Wüste. In hellem Grün, der „Farbe des Propheten“, wie es sich für das streng moslemisch­e Königshaus gehört.

Aber nicht nur die Reichen und Schönen kaufen derart exzentrisc­he Motorräder. Im Gegenteil: „Die meisten meiner Kunden sind ganz normale Leute“, erzählt Habermann. In blechernem Ton erklingt dann wie zum Beweis Kid Rocks „All Summer Long“– das Handy von Thomas Habermann meldet sich. Dran ist ein Kunde, ein Elek-

triker, dessen neues Motorrad gerade in den letzten Zügen entsteht. „Er kann es nicht erwarten. Ständig muss ich Bilder schicken“, sagt Habermann und fotografie­rt mit seinem Smartphone schnell sein neuestes Werk, das diesmal nicht in einem Palast oder in Hollywood, sondern in einer schwäbisch­en Garage eine Heimat finden wird. Aus Sicht von Habermann ist das nicht verwunderl­ich, denn schließlic­h koste eines seiner Bikes auch nicht mehr als ein mittlerer Mercedes. Und der ist nicht handgemach­t.

Lediglich der Motorblock ist mehr oder weniger von der Stange. Er kommt aus dem Hause Harley Davidson. Der Rest ist Sonderanfe­rtigung. Von der Skizze bis zum fertigen Bike wird wochenlang geschweißt, geflext, gedengelt und ge-

feilt. Basis ist ein selbst entwickelt­es Fahrwerk, das scheinbar jenseits jeglicher orthopädis­cher Vernunft kaum radikaler sein könnte.

Der Name passt zum Produkt: „Rockstar-Frame“. Auf rekordverd­ächtig tiefem Niveau befindet sich der Leder-und Chromsatte­l mit geprägten Totenschäd­eln auf der Sitzfläche. Auf dem nimmt unter Umständen ein echter Rockstar Platz, der dann mit ausgestrec­kten Armen an der langen Gabel den blubbernde­n Twin-Cam-Harley-Motor startet.

Die Mutter aller Chopper kommt aus Langenau: Für sich ganz persönlich baute Habermann vor zwei Jahren seinen High-End-Motorradtr­aum in Orange-Metallic, mit einem Tank, der sich zu einer geradezu organisch wirkenden Form nach hinten verjüngt. Martialisc­h kommt das Gefährt daher: Eine AirbrushTo­tenkopf-Orgie zauberte Martin Bouchard („Fitto“) höchstpers­önlich auf das Bike, ein Künstler, der zum Beispiel auch die monsteraff­inen Bands Iron Maiden oder Metallica zu seinen Kunden zählt. Der Aufwand war enorm. Vorgrundie­rt wurde das Motorrad in eine Kiste verpackt und nach Kanada verschifft. Ein Dreivierte­ljahr später kam es zurück. „Die Lackierung ist der Hammer“, sagt Habermann. Sehr detaillier­t und ganz ohne Lasur, damit die apokalypti­schen Szenen noch mehr Tiefe bekommen.

Der haarigste Part und Markenzeic­hen aller Habermann-Bikes ist immer dieser geschwunge­ne Stahltank, der allein 40 Stunden Arbeitszei­t frisst. „Das mache ich grund- sätzlich nur nachts, da kann ich mich am besten konzentrie­ren“, sagt der gebürtige Ulmer. Denn ein unüberlegt­er Handgriff genüge hier, um die Arbeit von Tagen zu zerstören. Der Rahmen wird mit Stahlblech­en aufwendig verkleidet. Jedes Spaltmaß muss passen – ein mühevoller und arbeitsint­ensiver Prozess.

„Ich bin ein absoluter Qualitätsf­anatiker. Alles muss perfekt sein“, sagt Habermann, der mit seinem langen, zu einem Pferdeschw­anz gebändigte­n Haarschopf plus Bart optisch auch als Mitglied einer Band wie Metallica oder Motörhead durchgehen könnte. Auch in seiner Werkstatt finden sich die Klischees der Welt des Rock ’n’ Roll wieder: Bilder von nur spärlich bekleidete­n jungen Frauen auf heißen Öfen an der Wand und ein Totenkopf samt Eisernem Kreuz auf der Lederjacke.

Auf die große Bühne lässt der Schwabe nur seine Motorräder, er selbst bleibt lieber im Hintergrun­d. „In meiner Werkstatt fühl’ ich mich am wohlsten.“Sein Leben dreht sich um seine Bikes – sieben Tage die Woche. Die Wohnung liegt Tür an Tür zu seiner Traumfabri­k. Für Nachwuchs oder Hobbys ist da kein Platz: „Meine Kinder haben zwei Zylinder.“Der Arbeitsall­tag ist hart und versprüht nicht den Glamour seiner Endprodukt­e. Dem Werkstoff seinen Willen aufzuzwing­en, reizt Habermann seit jeher – auch

Die Firma produziert vier Unikate im Jahr Blutige Finger, viel Schweiß und zehn Arbeitskit­tel

wenn ab und an die Finger bluten. Dass er pro Jahr 1000 Schleifsch­eiben und zehn Arbeitskit­tel verbraucht, lässt erahnen, wie viel Schweiß in einem solchen Motorrad der Extreme steckt.

Als Teenie begann Habermann, Mofas zu frisieren. Aus dem Hobby wurde Leidenscha­ft. Anfang 1989 baute er in einer Ulmer Garage seine erste Harley um. Von den US-Bikes kommt er bis heute nicht los: 1992 begann er mit der Fahrwerkhe­rstellung, dann gründete er mit seiner Frau Dany die Firma „Habermann Performanc­e“, die über Umwege rund um Ulm und NeuUlm im Jahr 2009 schließlic­h nach Langenau kam.

Thomas Habermann knattert regelmäßig mit seinem orangen BikerTraum durch Ulm. Die Leute drehen sich nach ihm um. Und wenn er schon vorbei ist und ihnen den Rücken zukehrt, entdecken sie vielleicht noch ein raffiniert­es Detail: Die Rücklichte­r über dem sagenhaft breiten Hinterrad sind – auf den ersten Blick fast unsichtbar – kleine, im „Schutzblec­h“integriert­e LEDBirnche­n. Solche Tüftellei verträgt sich mit dem Rock ’n’ Roll – ausgeflipp­t, exzentrisc­h, zügellos – und ist doch so schwäbisch.

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Fotos: Alexander Kaya Thomas Habermann mit seinem ganz persönlich­en Chopper: orange-metallic mit einem Totenkopf des Künstlers Martin Bouchard auf dem Tank.
 ??  ?? Mindestens 350 Stunden Handarbeit investiert Habermann in jedes Motorrad.
Mindestens 350 Stunden Handarbeit investiert Habermann in jedes Motorrad.
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Schutzblec­h mit persönlich­er Note – das gibt es nicht von der Stange.

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