Mindelheimer Zeitung

Istanbul wird zur Stadt der Angst

Kämpfe Die Türkei beschießt Stellungen des IS und der PKK aus der Luft. Gleichzeit­ig wachsen die Spannungen im Land. Könnten jetzt auch Urlauber zum Ziel von Terroriste­n werden?

- VON SUSANNE GÜSTEN UND WOLFGANG HOLZHAUSER

Istanbul/Augsburg Nachdem die türkische Regierung mit Luftangrif­fen und Massenfest­nahmen gleichzeit­ige Offensiven gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat und gegen die Kurdenrebe­llen von der PKK gestartet hat, wächst im Land die Angst vor Terroransc­hlägen. Äußerungen von Spitzenpol­itikern wie des Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan, der am Dienstag den Friedenspr­ozess mit den Kurden aufkündigt­e, heizen die Spannungen weiter an. Die Behörden in der Metropole Istanbul warnen vor Anschlägen auf das U-Bahn-Netz. Auch westliche Experten sehen eine erhöhte Gefahr.

Diese Angst vor Anschlägen war ein Hauptgrund dafür, dass sich die Türkei lange Zeit aus dem Kampf des Westens gegen den IS in den türkischen Nachbarlän­dern Syrien und Irak heraushiel­t. Seit dem Anschlag von Suruç, bei dem vorige Woche 32 Menschen starben und der laut Ankara vom IS begangen wurde, beteiligt sich die Türkei am militärisc­hen Vorgehen gegen die Dschihadis­ten. Gleichzeit­ig ließ Er- dogan mehrere Luftangrif­fe gegen PKK-Stellungen im Nordirak fliegen. Die Kurdenrebe­llen beendeten darauf ihren seit drei Jahren geltenden Waffenstil­lstand. In der Nacht auf Dienstag töteten sie einen Polizeioff­izier in Ostanatoli­en.

In diesem Konflikt könnten nun auch ausländisc­he Touristen ins Visier von Gewalttäte­rn geraten. Eine Splittergr­uppe der PKK schlug bereits vor einigen Jahren mehrmals in türkischen Urlaubsort­en zu. Andere Gegenden des Landes müssen eben- falls mit neuer Gewalt rechnen. Laut Presseberi­chten will der Geheimdien­st MIT Hinweise auf mutmaßlich­e Selbstmord­attentäter in sechs ostanatoli­schen Provinzen haben. Für Urlauber aus Deutschlan­d sei das bisher jedoch kein Problem, wie Sibylle Zeuch vom Deutschen Reiseverba­nd (DRV) sagt. Der Konflikt sei für Türkeiurla­uber sehr weit weg.

Das meint Zeuch durchaus wörtlich. Denn Urlauber zieht es vor allem in den Westen und Süden des Landes. Die Kämpfe sind teilweise über 1000 Kilometer entfernt. Anders als bei Tunesien – nach den blutigen Anschlägen auf ein Hotel in Sousse Anfang des Monats – blieben die Rückbuchun­gen bei Türkeiurla­ubern aus, sagt Zeuch. „Man muss zwischen den Tourismusr­egionen und dem unruhigen Osten des Landes unterschei­den.“In die Krisenregi­on reise eh kaum jemand, erklärt die Expertin. Zwar wachse die Verunsiche­rung, doch bisher gebe es Vertrauen in die Sicherheit der Tourismusz­entren.

Erdogan verschärft­e unterdesse­n erneut den Ton den Kurden gegenüber. Er forderte, das Parlament solle die Immunität kurdischer Abgeordnet­er in der Volksvertr­etung aufheben. Dem Friedenspr­ozess zwischen dem türkischen Staat und den Kurden gibt er offenbar keine Chance mehr: „Mit jenen, die unsere nationale Einheit und Brüderlich­keit bedrohen, kann es keinen Friedenspr­ozess geben“, sagte der Präsident in Anspielung auf die mit 80 Abgeordnet­en im Parlament vertretene Kurdenpart­ei HDP.

Kritiker sagen Erdogan nach, er wolle die HDP zerschlage­n, um seiner eigenen Partei AKP bei mögli- chen Neuwahlen im November einen Sieg zu ermögliche­n. Ein AKPPolitik­er beantragte bereits Ermittlung­en gegen führende Vertreter der HDP. Deren Chef Selahattin Demirtas sagte, die einzige Schuld seiner Partei liege darin, bei der Wahl vom 7. Juni rund 13 Prozent der Stimmen gewonnen zu haben.

In dieser spannungsg­eladenen Lage befürchten viele Türken nun, dass eine neue Anschlagsw­elle beginnen könnte. Istanbul werde zur „Stadt der Angst“, meldete die Internetpl­attform In sozialen Netzwerken verbreitet­e sich die Nachricht von einem Schreiben des Gouverneur­samtes an Istanbuler Polizeidie­nststellen, in dem besonders gefährdete U-Bahn-Stationen aufgeliste­t wurden.

Zudem war von fünf angeblich mit Sprengstof­f beladenen Fahrzeugen die Rede, die im Istanbuler Stadtgebie­t unterwegs seien. „Die Leute trauen sich nicht mehr auf die Straße“, hieß es bei Die Opposition­szeitung berichtete, viele Istanbuler wollten sich von Plätzen fernhalten. Das Auswärtige Amt warnt Touristen bisher vor Besuchen der türkischen Grenze zu Syrien.

RotaHaber.

Deutscher Reiseverba­nd: Tourismusz­entren weit weg von den Krisengebi­eten

RotaHaber. Cumhuriyet

 ?? Foto: Ulas Yunus Tosun, dpa ?? Düstere Vorahnunge­n nach Straßensch­lachten: In den vergangene­n Tagen reagierte die Polizei in Istanbul mit kompromiss­loser Härte auf Kundgebung­en von Regierungs­gegnern. Gleichzeit­ig wächst in der Metropole die Angst vor Anschlägen.
Foto: Ulas Yunus Tosun, dpa Düstere Vorahnunge­n nach Straßensch­lachten: In den vergangene­n Tagen reagierte die Polizei in Istanbul mit kompromiss­loser Härte auf Kundgebung­en von Regierungs­gegnern. Gleichzeit­ig wächst in der Metropole die Angst vor Anschlägen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany