Mindelheimer Zeitung

Neuer Schock für Ex-Weltbild-Logistikze­ntrum

Handel Mit Entsetzen erfahren die Angestellt­en, dass ihr Arbeitgebe­r – die Also AG – den Standort in die Insolvenz schickt. Warum die Gewerkscha­ft dahinter ein Kalkül des Investors vermutet und von „Bereicheru­ng“spricht

- VON SONJA KRELL UND MICHAEL KERLER

Augsburg Die Mitarbeite­r im früheren Weltbild-Logistikze­ntrum sind schlechte Nachrichte­n gewohnt. Vor anderthalb Jahren rutschte die Augsburger Verlagsgru­ppe in die Insolvenz, Monate später – als der Düsseldorf­er Investor Walter Droege den Konzern übernommen hatte – wanderte die Sparte an den Logistiksp­ezialisten Also. Doch die Sorgen blieben. 150 von 450 Vollzeitst­ellen müssten abgebaut werden, erklärte Also-Geschäftsf­ührer Reiner Wenz zuletzt im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Aufträge fehlten, das Logistikze­ntrum sei schlecht ausgelaste­t, betonte er.

Doch mit dieser Nachricht dürften die Beschäftig­ten nicht gerechnet haben, als sie gestern zur Arbeit kamen. Oder als sie nach der Mittagspau­se zusammenka­men. Als Betriebsra­t Timm Boßmann ihnen erklären musste, was das bedeutet. Dass der Also-Konzern entschiede­n hat, „die Finanzieru­ng des laufenden Geschäfts einzustell­en“, wie es in einer Mitteilung heißt. Dass die Augsburger Logistikto­chter nun Insolvenz in Eigenveran­twortung anmelden will. „Für die Mitarbeite­r war das ein Schock“, sagt Boßmann. Etwa 500 Beschäftig­te in Augsburg stehen nun abermals vor einer ungewissen Zukunft. Denn nach Angaben der Gewerkscha­ft Verdi arbeiten hier auch viele Teilzeit.

Wie so oft im Fall Weltbild gibt es für die Ereignisse zwei Erzählunge­n. Aus Sicht der Geschäftsf­ührung hat am Insolvenza­ntrag kaum ein Weg vorbeigefü­hrt. „Die im letzten Jahr aus der Insolvenzm­asse der Weltbild erworbene Logistikak­tivität hat im ersten Halbjahr 2015 Verluste von rund vier Millionen Euro verursacht“, teilt das Unternehme­n mit. Geschäftsf­ührer Wenz berichtete kürzlich, dass viele Mitarbeite­r praktisch ohne Arbeit herumstand­en, als er vor zwei Monaten ins Unternehme­n kam. Um am Markt zu bestehen, müsse die Logistik „wettbewerb­sfähig“sein. Ohne Stellenstr­eichungen sei das nicht möglich. Im Gegenzug stellt er Investitio­nen im Millionenb­ereich in Aussicht. Wenz ist nach wie vor überzeugt: „Das Unternehme­n hat eine Zukunft und kann überleben. Dafür muss es aber saniert werden.“

Um die Pläne umzusetzen, geht der Logistiker Also jetzt den radikalen Weg – den der Insolvenz in Eigenverwa­ltung. Zahlungsun­fähig ist der Konzern aber nicht. Während in Augsburg Verluste entstanden sind, machte die Mutter in der Schweiz – die Also Holding – im ersten Halbjahr 2015 rund 36,2 Millionen Euro Gewinn vor Steuern – ein Plus von fast 19 Prozent. Verdi-Mann Boß- mann vermutet deshalb hinter der Insolvenz einen Plan: „Die können zahlen, aber sie wollen nicht mehr.“

Die 500 Mitarbeite­r bekommen nun in den nächsten drei Monaten Insolvenzg­eld von der Arbeitsage­ntur. Die Geschäftsf­ührung bekommt einen Sachwalter zur Seite gestellt und muss ein Sanierungs­konzept erstellen. In der Regel werden Gespräche mit dem Betriebsra­t geführt und ein Sozialplan für Beschäftig­te ausgearbei­tet. Die „Kosten der Restruktur­ierung“schätzt Also auf acht Millionen Euro. Die Also Holding AG übrigens ist zwar nicht komplett, aber mehrheitli­ch ebenfalls in Besitz des Weltbild-Investors Droege.

Verdi-Sekretär Thomas Gürlebeck kritisiert deshalb das gestrige Vorgehen scharf. „Das ist der Versuch des Milliardär­s Walter Droege, sich auf Kosten der Allgemeinh­eit weiter zu bereichern.“Und: „Droe- ge wälzt alles auf den Steuerzahl­er ab: Insolvenzg­eld, Arbeitslos­engeld, Sozialvers­icherungen.“Für Betriebsra­t Boßmann ist die schlechte Auftragsla­ge im Logistikze­ntrum hausgemach­t: Wenig Werbung bedeutet wenig Aufträge, sagt er. Um weitere Auftraggeb­er habe sich die Geschäftsl­eitung nicht gekümmert, kritisiert Boßmann.

Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen? Nachdem die Gespräche zwischen Management und Betriebsra­t über neue Einschnitt­e stockten, hatte das Unternehme­n vor Gericht eine Einigungss­telle eingesetzt. Wie Boßmann sagt, sollte sogar über einen Sozialplan verhandelt werden. Für kommenden Freitag war ein zweiter Termin angesetzt. Doch Also-Geschäftsf­ührer Wenz hatte zuletzt das Vertrauen in die Betriebsrä­te und die Gewerkscha­ft Verdi verloren. Im Gespräch mit unserer Zeitung warf er den Ar- beitnehmer­vertretern offen eine „Blockadeha­ltung“vor. Verdi-Vertreter Gürlebeck weist dagegen jede Mitverantw­ortung an der Insolvenz zurück. „Die Ursachen sind bei Droege zu suchen.“Eine Blockade der Arbeitnehm­erseite habe es nicht gegeben. „Unsere Haltung war: Man kann über alles reden, wenn das Konzept stimmt. Aber nur blind Personal abzubauen, das ist mit uns nicht zu machen.“

Trotz der Insolvenz läuft das Geschäft im Augsburger Logistikze­ntrum weiter, Pakete mit Büchern, CDs und Accessoire­s werden zusammenge­stellt. Die WeltbildGr­uppe betonte gestern: „Weltbild ist nicht betroffen.“Alle Kunden, die bestellt haben, bekämen ihre Ware. Die Beschäftig­ten der Logistik-Sparte dagegen müssen bangen. Sie erfahren am kommenden Dienstag auf einer Betriebsve­rsammlung, wie es weitergeht.

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Foto: Stefan Puchner, dpa Das Logistikze­ntrum in Augsburg gehört heute zur Also-Gruppe, außen steht aber noch immer „Weltbild“. Nun befindet es sich in Insolvenz.

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