In der Welt ein Komponist, daheim ein Volksheld
Mikis Theodorakis Der große Grieche forderte mit seinen Liedern die Diktatur heraus. Seine Landsleute sangen die Stücke, auch wenn ihnen dafür das Gefängnis drohte. Heute wird der Musiker und Politiker 90 Jahre alt
Augsburg Den Tanz kennt fast jeder. Die Arme über die Schultern der Nachbarn gelegt, die Füße schwingen abwechselnd nach außen, während die Bouzouki Fahrt aufnimmt. Vor allem mit diesem Stück, das Mikis Theodorakis für den Film „Alexis Sorbas“schrieb, wurde er in aller Welt bekannt. Der Komponist eroberte mit seinem Sirtaki auch nachhaltig die deutschen Bierzelte. Heute wird Theodorakis 90 Jahre alt.
Hierzulande ist er vor allem als Musiker bekannt, in Griechenland hingegen wird der charismatische, urgriechische Koloss nicht nur als großer Künstler wahrgenommen, sondern als Vorbild verehrt – ein Held des Widerstands gegen die griechische Diktatur und davor und danach auch engagierter Politiker. Sein Wort hat bis heute Gewicht. So hatte es der frisch gewählte griechische Premierminister Tsipras im Februar dieses Jahres mitten in den Turbulenzen der Verhandlungen mit der EU eilig, Theodorakis einen Besuch in seiner Athener Wohnung abzustatten, um für seine Unterstützung zu werben.
Werk und Biografie des Mikis Theodorakis sind nicht auseinanderzuhalten, zumal sie entscheidend von der Geschichte seines Heimatlands beeinflusst wurden. Zu seinen Leitmotiven gehören von Anbeginn die Abscheu vor Chaos und Unterdrückung, das Streben nach Harmonie und Freiheit sowie die Liebe zu Griechenland. Viele seiner Lieder wurden Hits. Schlager oder Popmusik indes wollte der klassisch ausgebildete Komponist, der unter anderem bei Olivier Messiaen studiert hatte, nie schreiben, wohl aber stets nah am Volk sein mit seiner Musik ebenso wie mit seinem politischen Engagement. Er führte deshalb bis dahin verpönte, dem Proletariat zugeschriebene Instrumente wie die Bouzouki in die gehobene Musik ein. Das kam einer Kulturrevolution gleich und begründete einen heute als typisch griechisch empfundenen Musikstil. Zusammen mit vertrauten Elementen byzantinischer und griechischer Volksmusik verschiedener Epochen brachte er dadurch die griechische Volksseele zum Schwingen und machte sie empfänglich nicht nur für schlichte Weisen, sondern auch für komplexe Musik und anspruchsvolle Texte.
Oft ist Theodorakis’ Musik ein von politischen Ereignissen inspiriertes Plädoyer gegen Unterdrückung, Hass und Gewalt. So vertonte er Pablo Nerudas Canto General, Iakovos Kambanellis MauthausenBallade und den der blutigen Niederschlagung eines Arbeiterstreiks gewidmeten Gedichtzyklus „Epitaphios“von Ioannis Ritsos. Mit selbst getexteten Liedern sang er gegen die griechische Militärdiktatur von 1967 bis 1974 an. Damit schuf er trotz Verbots seiner Musik ein Ventil für die unterjochten Griechen, die seine Lieder im Untergrund sangen – immer mit der Gefahr, dafür eingesperrt zu werden.
Sein Leben lang war Theodorakis politisch aktiv. Als Widerstandskämpfer – erst gegen die Besatzer im Zweiten Weltkrieg, dann gegen die Militärjunta in Griechenland – wurde er wiederholt inhaftiert, auch schwer gefoltert – letztlich musste er ins Exil. Seine Rückkehr nach der Diktatur glich einem Triumphzug; ein Volksheld kam heim. Sein erster Auftritt 1974 in Athen war nicht nur ein Konzert, sondern eine Feier der wiedergewonnenen Demokratie.
Gern mischte sich Theodorakis unters Volk und demonstrierte mit Gesinnungsgenossen, ohne sich zu schonen, etwa 1970 in Rom bei einer Kundgebung der Linken gegen den Nato-Gipfel, bei der er trotz Blinddarmentzündung als Redner auftreten wollte, bis er einen Blinddarmdurchbruch erlitt; oder 2012 bei einer Demonstration gegen die Austeritätspolitik auf dem Athener Syntagmaplatz, bei der den damals 86-Jährigen eine volle Ladung Tränengas traf und seine angeschlagenen Bronchien schwer schädigte.
In den frühen 1960er und in den 1980er Jahren hatte Theodorakis Mandate im griechischen Parlament inne – ein Aushängeschild der Linken. 1990 wurde er als Minister ohne Geschäftsbereich in die Regierung des liberal-konservativen Konstantinos Mitsotakis berufen. In dieser Funktion setzte er sich für verbesserte Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei ein – ein Versöhnungsbestreben, das er auch durch musikalische Projekte zu verwirklichen trachtete.
Schließlich erklärte Theodorakis im Herbst 2013 im Alter von 88 Jahren nach 70-jährigem Engagement seinen Rückzug aus der Tagespolitik. Aber er kann es nicht lassen, ab und zu das aktuelle Geschehen zu kommentieren. „Als freier Grieche empfinde ich vor allem gegenüber jenen, die ihr Leben für unsere Freiheit geopfert haben, Betroffenheit und Scham, wenn das neue Parlament Memoranden toleriert, die uns beschämen und international erniedrigen“, schrieb er in einer Grußbotschaft an eine Kundgebung der griechischen Kommunisten auf dem Athener Syntagmaplatz am 27. Februar 2015. Allmählich beginnen Zuversicht und Hoffnung, die ihn ein Leben lang trugen, angesichts der heutigen Lage in Griechenland zu schwinden. „Wir dürfen dem Chaos nicht erlauben, sich bei uns einzunisten. Ich selbst aber will so schnell wie möglich sterben, meine Eltern und Brüder sind schon gegangen, sie warten“, sagte er vor Wochen in einem Interview in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Theodorakis’ Leistung ist enorm. Er hat ein gewaltiges OEuvre geschaffen, zu dem weltliche Oratorien, Opern, Sinfonien, Film- und Ballettmusiken und über tausend Lieder zählen. Er hat dafür gesorgt, dass die Griechen die Verse ihrer Literaturnobelpreisträger Odysseas Elytis und Giorgos Seferis und weiterer großer Poeten auf den Straßen und in den Tavernen singen. Was für ein Mensch, was für ein Leben.