Der Schmerz ist geblieben…
Vincent van Gogh Des Malers letzter bekannter Brief an seinen Bruder
Wie bei kaum einem anderen bildenden Künstler verschwistern sich Größe und Tragik in Vincent van Gogh, der heute vor 125 Jahren an einer Revolverkugel starb, die er sich selbst am 27. Juli 1890 in den Leib geschossen hatte. Eine Ahnung von seiner deprimierten Stimmung in den Tagen zuvor gibt der letzte heute zugängliche Brief Vincents an seinen Bruder Theo in Paris. Bedrückt zeigt sich Vincent über erlebte familiäre Auseinandersetzungen („Unwetter“), Schmerzen bereitete ihm die Unmöglichkeit einer Liebesverbindung mit der 21-jährigen Marguerite Gachet, Tochter des Arztes Paul Gachet. Wir drucken den Brief hier in Auszügen ab:
„Lieber Bruder und liebe Schwester, ... Es ist nichts Geringes, wenn wir alle unser tägliches Brot gefährdet fühlen, nichts Geringes, wenn wir auch noch aus anderen Gründen die Unsicherheit unserer Existenz spüren.
Nach meiner Rückkehr hierher bin ich noch sehr traurig gewesen und habe auch auf mir das Unwetter lasten gefühlt, das Euch bedroht. Was tun – seht Ihr, meistens versuche ich ja, meine gute Laune zu erhalten, aber auch mein Leben ist an der Wurzel angegriffen, auch mein Schritt ist unfest und schwankend. Ich habe gefürchtet – nicht ganz und gar, aber doch ein wenig –, daß ich Euch beängstige, weil ich Euch zur Last bin, ...
Sobald ich hier war, habe ich mich wieder an die Arbeit gemacht – der Pinsel ist mir freilich fast aus der Hand gefallen; aber da ich genau wußte, was ich wollte, habe ich trotzdem seither drei große Bilder gemalt. Es sind endlos weite Kornfelder unter trüben Himmeln, und ich habe den Versuch nicht gescheut, Traurigkeit und äußerste Einsamkeit auszudrücken. Ihr werdet sie hoffentlich bald sehen – denn ich möchte sie Euch so bald wie möglich nach Paris bringen; ich glaube fast, diese Bilder werden Euch sagen, was ich in Worten nicht sagen kann, nämlich was ich Gesundes und Kraftgebendes im Landleben erblicke. ...
... ich glaube bestimmt, es ist besser, Kinder großzuziehen, als seine ganze Nervenkraft dranzusetzen, Bilder zu malen; aber was soll man machen, jetzt bin ich – oder fühle mich wenigstens – zu alt, um umzukehren oder zu etwas anderem Lust zu haben. Diese Lust ist mir vergangen, aber der seelische Schmerz ist geblieben ...“