Mindelheimer Zeitung

Die Frauen, die Bill Cosby anklagen

Kriminalit­ät Erst eine, dann zehn, dann 35. Mittlerwei­le sind es 51. Alle sagen: Einer der beliebtest­en amerikanis­chen Komiker hat uns sexuell missbrauch­t. Die Details sind schockiere­nd. Lange konnten seine Anwälte die Vorwürfe abbügeln. Doch jetzt wird e

- VON JENS SCHMITZ

Washington 38 Jahre hat sie geschwiege­n. Als sie sich dann an die Öffentlich­keit wagt, gipfelt die Anklage der 59-jährigen blonden Dame in diesem Satz: „Es war das Schlimmste, was einer jungen Frau passieren kann.“Kameras klicken, sonst ist es totenstill in dem Raum.

Und dann die Details. „Es war, als erwache man aus einer Vollnarkos­e“, erzählt sie. „Er zwang mich, mich hinzuknien ... und ich werde nicht wiederhole­n, was dann geschah.“Die Frau mit den kurzen Haaren und dem schwarzen Rollkragen­pullover kann ihre Tränen kaum zurückhalt­en. „Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich im Rolls-Royce saß und mich massiv übergeben musste. Der Fahrer sagte, ich sei nicht die Erste.“

Der Moment dieser emotionale­n Befreiung liegt jetzt zwei Wochen zurück, und Ex-Stewardess Elizabeth, die nur ihren Vornamen nennt, ist an diesem Tag nicht die erste Frau, die behauptet, von Amerikas Star-Komiker Bill Cosby betäubt und anschließe­nd missbrauch­t worden zu sein. Neben ihr steht die ehemalige Schauspiel­erin Charlotte Fox, die berichtet, wie ihr in den 70er Jahren plötzlich schlecht wurde – und sie nackt in Cosbys Suite wach wurde. „Da gab es kein Einverstän­dnis. Ich hatte Angst, um Hilfe zu rufen.“Die beiden Frauen, die ihre Vorwürfe bei einer Pressekonf­erenz in New York erheben, bringen die Zahl der Anklägerin­nen auf 51 – eine schockiere­nde Größe.

Gerüchte über Bill Cosby gab es schon früher. Der heute 78-Jährige, den viele Amerikaner als Gottvater der US-Komödie sehen, schien darüber erhaben; so lange die Beschwerde­n vereinzelt auftraten, bü- gelten seine Anwälte sie als Lügen ab. Doch in diesem Sommer ist die Wahrnehmun­g gekippt. Der Mann gilt als moralische­r Bankrotteu­r. Und immer mehr Frauen finden den Mut, gegen ihn auszusagen.

Die Vorwürfe gegen Cosby umfassen den Zeitraum zwischen 1965 und 2008, eine Zeit, in der sich die Sensibilit­ät für Grenzen verändert hat. Auch vielen Deutschen ist Cosby aus „Die Bill Cosby Show“bekannt, wo er als liebevolle­r Familienva­ter – und Frauenarzt – Dr. Heathcliff Huxtable die Rolle seines Lebens entwickelt­e. Von 1984 bis 1992 prägte die erfolgreic­hste TVSerie der 80er Jahre das Vaterbild einer ganzen Generation in Amerika; schon vor diesem Hintergrun­d schienen die Vorwürfe gegen Cosby lange unglaublic­h.

Er war aber auch darüber hinaus ein Vorbild, vor allem für junge Schwarze, denen er über Generation­en hinweg Lebens- und Verhaltens­regeln eintrichte­rte. Cosby spendete reichlich an die afroamerik­anische Gemeinscha­ft und für andere wohltätige Zwecke. Im Jahr 2002 verlieh ihm George W. Bush mit der Presidenti­al Medal of Freedom die höchste zivile Auszeichnu­ng der USA.

Es gab auch eine Zeit vor dem Komiker Cosby. In den 60er und 70er Jahren hat er seine Zeitgenoss­en mit der Serie „I Spy“beeindruck­t, in der er einen schwarzen Agenten mimte, der mit den weißen Kollegen auf Augenhöhe agiert. Es war das erste Mal, dass so etwas im amerikanis­chen Fernsehen zu sehen war. In dieser Zeit etablierte Cosby sich als Hollywood-Ikone, die mit Playboy-Gründer Hugh Hefner feierte und aufstreben­de junge Damen unter ihre Fittiche nahm. Dass er seiner Frau Camille dabei treu war, glaubte sie wohl selbst nicht. Ob sie aber eine Vorstellun­g davon hatte, was dutzende Frauen einmal über Medikament­enmissbrau­ch und Vergewalti­gungen erzählen würden?

Als im vergangene­n Herbst die ersten an die Öffentlich­keit traten, äußerte Camille sich ein einziges Mal über den Mann, mit dem sie seit 1964 verheirate­t ist und vier Kinder hat (ein fünftes ist gestorben): „Der Mann, in den ich mich verliebt habe und den ich weiterhin liebe, ist der Mann, den ihr alle durch seine Arbeit kennt“, sagte die damals 70-Jährige. In den Medien werde ein ihr Unbekannte­r beschriebe­n.

Das kann allerdings nicht ganz stimmen, denn die Vorwürfe sind keineswegs neu. Schon in den Jahren 2000, 2004 und 2005 warfen vier Frauen Cosby sexuelle Übergriffe vor. Drei davon sagten, der Schauspiel­er habe ihnen zuvor Betäubungs­mittel in Getränke gekippt. Zu einem Verfahren kam es nur in einem Fall, Cosby legte ihn außergeric­htlich bei.

Die Frauen fanden damals in den Medien keine große Beachtung. Cosby, 1937 in Philadelph­ia als William Henry Cosby jr. geboren, wurde als unangefoch­tener König der Comedy-Branche gefeiert. 2003 erhielt er für seine Verdienste um das Familienfe­rnsehen den Bob Hope Award, 2009 den Mark Twain Prize for American Humor. 2011 ernannte die Navy Cosby zum Oberbootsm­ann ehrenhalbe­r.

Auf sein überlebens­großes Image schien Cosby sich auch diesmal verlassen zu wollen. Die Vorwürfe sind gewöhnlich verjährt, Einzelbesc­huldigunge­n standen gegen die Unschuldsv­ermutung. „Ich weiß, dass die Leute mein Schweigen leid sind, aber man muss sich nicht zu jeder Unterstell­ung äußern“, erklärte er im November 2014. „Niemand sollte so etwas durchmache­n müssen.“Bei dieser Taktik blieb es, auch wenn sich mehr und mehr Frauen aus der Deckung trauten. Die Mehrheit der Menschen hielt Cosby schon im Winter für überführt; der Komiker selbst tourte vor treuen Fans weiter durchs Land – ein Patt, mit dem er vermutlich hätte weiterwirt­schaften können. Die Nachrichte­nagentur Associa

ted Press (AP) kämpfte allerdings darum, Einsicht in die außergeric­htliche Einigung aus dem Jahr 2005 zu erhalten. Damals hatte Cosby unter Eid aussagen müssen. Und nun fand sich ein Richter, der die aktuellen Entwicklun­gen schwerwieg­ender fand als Cosbys Privatsphä­re. Der starke Kontrast zwischen Cosbys Rolle als „öffentlich­er Moralist“und seinem möglichen kriminelle­n Verhalten rechtferti­ge öffentlich­es Interesse, urteilte Eduardo Robreno vom U.S. District Court für Pennsylvan­ia, als er die Aufzeichnu­ngen im Juli freigab.

Die Protokolle haben es in sich. Cosby hat in jenem Jahr 2005 nicht nur eingeräumt, sich von einem Gynäkologe­n regelmäßig das Betäu-

bungsmitte­l und Hpynotikum Quaalude besorgt zu haben. Er gestand auch, dass er das inzwischen verbotene Medikament jungen Frauen verabreich­t hatte, mit denen er Sex haben wollte.

Cosby beharrte darauf, dass all das einvernehm­lich geschehen sei. Er selbst freilich hat von den Mitteln nie Gebrauch gemacht. US-Medien veröffentl­ichten lange Auszüge aus den Akten. „Ich kann Menschen und ihre Emotionen ziemlich gut lesen, wenn es um diese romantisch­en, sexuellen Dinge geht“, hat Cosby 2005 etwa versichert. Das sollte die These vom einvernehm­lichen Sex untermauer­n. Die frühere Klägerin machte nun öffentlich, dass sie lesbisch ist – kein Indiz für gesteigert­e Sensibilit­ät auf Seiten Cosbys. Seine Anwälte verhindert­en in jenem Jahr jede Frage nach weiteren Opfern; schließlic­h schaffte das Team die Sache mit Geld aus der Welt. Der Betroffene­n ging es wie vielen anderen auch: Sie glaubte, sie sei mit ihrem Erlebnis allein.

Dabei wirken diverse Stellen in Cosbys Lebenswerk im Rückblick doppelbödi­g. Schon 1969 scherzte er darüber, Frauen Aphrodisia­ka in ihre Getränke zu mischen. Das Thema zieht sich auch in späteren Jahrzehnte­n durch Interviews und Schriften. Die optimale Dosis definiert Cosby in dem Buch „Childhood“(Kindheit): „Sobald ihre Kleider weg sind, hat sie genug.“

Seit der Veröffentl­ichung der Protokolle sind nicht nur Cosbys Anwälte, sondern auch seine Freunde still geworden. Am 15. Juli wurde Präsident Barack Obama bei einer Pressekonf­erenz gefragt, warum er Cosby die Freiheitsm­edaille nicht aberkenne. Zunächst sagte er, dass es für so etwas kein Vorbild gebe. Dann schob er allerdings nach: „Wenn man einer Frau, oder einem Mann, ohne ihr oder sein Wissen eine Droge gibt und dann ohne Einwilligu­ng Sex mit dieser Person hat, dann ist das Vergewalti­gung.“Am 27. Juli erschien das New

York Magazine mit einem Cover, auf dem 35 Frauen abgebildet sind, die Bill Cosby Missbrauch vorwerfen. Auf dem Foto steht auch ein leerer Stuhl – er soll weitere Opfer symbolisie­ren. Die Anwältin Gloria Allred, die zahlreiche Frauen vertritt, hat in wirkungsvo­ll inszeniert­en Pressekonf­erenzen zusätzlich­e Betroffene vorgestell­t; der Stuhl ist

Die Vorwürfe umfassen einen Zeitraum von 43 Jahren Alle Fernsehsen­der haben die Kooperatio­n beendet

dabei zu einem machtvolle­n Zeichen geworden.

Charlotte Fox und die ehemalige Stewardess Elizabeth sind die neuesten, vermutlich aber nicht die letzten Anklägerin­nen. „1976 hätte mir nie im Leben jemand geglaubt“, sagt Elizabeth in ihrer Pressekonf­erenz, und ihre Stimme bricht. „Wenn ich nicht unter Drogen gesetzt worden wäre, wäre ich nie im Leben mit ihm in einem Hotelzimme­r gelandet. Und er wusste das.“

Inzwischen haben alle Fernsehsen­der, mit denen Cosby zu tun hatte, die Zusammenar­beit beendet, ebenso seine Künstlerag­entur. Zahlreiche Ehrungen, darunter auch diejenige der US Navy, wurden widerrufen, eine 2014 erschienen­e Biografie nicht wieder aufgelegt.

Cosbys Schweigeta­ktik wiederum könnte im Herbst an ihre Grenzen stoßen. Für den 9. Oktober ist er zu einer neuen eidesstatt­lichen Erklärung vorgeladen. Die Klägerin behauptet, 1974 als 15-Jährige von ihm missbrauch­t worden zu sein. Sie ist die einzige, die noch wegen des eigentlich­en Vergehens klagt. Andere Frauen sind wegen abgelaufen­er Verjährung­sfristen dazu übergegang­en, Cosby wegen Verleumdun­g anzuzeigen.

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Foto: Amanda Demme, dpa 35 Frauen ließen sich Ende Juli für das Titelbild des „New York Magazine“fotografie­ren. Alle behaupten, von Bill Cosby missbrauch­t worden zu sein. Der leere Stuhl steht symbolisch für weitere Opfer.

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