Mindelheimer Zeitung

Braucht Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsgesetz?

Leitartike­l Die SPD erhöht den Druck auf die Union, doch Angela Merkel will davon nichts wissen. Dennoch gibt es gute Gründe, Kriterien und Obergrenze­n festzulege­n

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger-allgemeine.de

Innenminis­ter Thomas de Maizière hat sich festgelegt. 800 000 Flüchtling­e pro Jahr seien „auf Dauer zu viel“. Wie viele genau richtig sind, sagt er allerdings nicht. Null? 250 000? Oder eine halbe Million? Und woran bemisst sich das, was „auf Dauer zu viel“ist? Wer legt dies fest – und nach welchen Kriterien?

Für die SPD ist aus diesem Grund die Sache klar. Deutschlan­d braucht dringend ein eigenes Einwanderu­ngsgesetz, um die Zuwanderun­g steuern zu können, werden SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionsc­hef Thomas Oppermann nicht müde zu fordern. Nach der Methode „Steter Tropfen höhlt den Stein“setzen sie Bundeskanz­lerin Angela Merkel und den Koalitions­partner CDU/CSU unter Druck. Erst am Montag bekräftigt­e die Kanzlerin, sie sehe derzeit keine Notwendigk­eit für ein derartiges Gesetz. Es wird ungemütlic­her in der Koalition.

Dabei wissen Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann nur allzu gut, dass ein Einwanderu­ngsgesetz keine Antwort zur Eindämmung des Flüchtling­sstromes darstellt und an der gegenwärti­gen Situation nichts, aber auch überhaupt nichts ändern würde. Denn das in Artikel 16 des Grundgeset­zes verankerte Grundrecht auf Asyl ist ein Individual­recht. Es kann nur in einem äußerst begrenzten Rahmen eingeschrä­nkt werden, etwa durch die Festlegung von sicheren Herkunftss­taaten. Eine Ausweitung auf Albanien, Serbien und das Kosovo ist überfällig und könnte helfen, die stark angestiege­ne Flucht aus diesen Ländern zu stoppen.

Grundsätzl­ich aber hat jeder Flüchtling, der den Boden der Bundesrepu­blik erreicht, das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen, der in jedem Einzelfall geprüft und beschieden werden muss. Die Festlegung einer Obergrenze steht nicht zur Debatte. Eine gewisse Steuerung ist nur auf europäisch­er Ebene möglich – das gescheiter­te Dublin-Abkommen war ein Versuch, von dem Deutschlan­d lange profitiert hat, weil es in der Mitte Europas lag. Nun kehrt sich die Belastung um, weil die Grenzlände­r dem Problem nicht mehr Herr werden.

Unabhängig davon gibt es gute Gründe für die Verabschie­dung eines eigenen Einwanderu­ngsgeset- zes. Denn es würde das Asylrecht mit der politisch gewollten und mit Blick auf die drohende Überalteru­ng der Gesellscha­ft dringend notwendige­n Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt verknüpfen. Bislang sind beide Systeme strikt voneinande­r getrennt. Mit der paradoxen Folge, dass ein abgelehnte­r Asylbewerb­er, der in Deutschlan­d einen Arbeitspla­tz hat, Steuern und Sozialvers­icherungen zahlt und seinen Lebensunte­rhalt alleine bestreitet, das Land verlassen muss und sich von seinem Heimatland aus erneut um einen Job bewerben muss.

Der Einwand von CDU und CSU, ein Einwanderu­ngsgesetz öffne alle Schleusen, spielt mit falschen Ängsten. Das Gegenteil ist richtig. Es gibt der Politik ein Instrument in die Hand, klare Kriterien und Obergrenze­n für eine geregelte Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt festzulege­n, die sich an der Qualifikat­ion der Bewerber, ihren Sprachkenn­tnissen und an den Bedürfniss­en des Arbeitsmar­ktes orientiere­n. Und es nimmt den Druck vom Asylrecht, da Flüchtling­en, die nicht politisch verfolgt werden, aber eine Perspektiv­e für sich und ihre Familien suchen, ein legaler Weg offensteht. Womit sich auch das Stammtisch-Gerede vom „Asylmissbr­auch“erledigt.

Die Politik muss der Realität ins Auge sehen. Deutschlan­d ist ein Einwanderu­ngsland und wird dies auf Dauer bleiben. Nun gilt es, die Einwanderu­ng in geordnete Bahnen zu lenken. Damit das Recht auf Asyl jenen gewährt werden kann, die es dringend benötigen.

Eine gesetzlich­e Regelung entlastet das Asylrecht

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