Braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz?
Leitartikel Die SPD erhöht den Druck auf die Union, doch Angela Merkel will davon nichts wissen. Dennoch gibt es gute Gründe, Kriterien und Obergrenzen festzulegen
Innenminister Thomas de Maizière hat sich festgelegt. 800 000 Flüchtlinge pro Jahr seien „auf Dauer zu viel“. Wie viele genau richtig sind, sagt er allerdings nicht. Null? 250 000? Oder eine halbe Million? Und woran bemisst sich das, was „auf Dauer zu viel“ist? Wer legt dies fest – und nach welchen Kriterien?
Für die SPD ist aus diesem Grund die Sache klar. Deutschland braucht dringend ein eigenes Einwanderungsgesetz, um die Zuwanderung steuern zu können, werden SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Thomas Oppermann nicht müde zu fordern. Nach der Methode „Steter Tropfen höhlt den Stein“setzen sie Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Koalitionspartner CDU/CSU unter Druck. Erst am Montag bekräftigte die Kanzlerin, sie sehe derzeit keine Notwendigkeit für ein derartiges Gesetz. Es wird ungemütlicher in der Koalition.
Dabei wissen Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann nur allzu gut, dass ein Einwanderungsgesetz keine Antwort zur Eindämmung des Flüchtlingsstromes darstellt und an der gegenwärtigen Situation nichts, aber auch überhaupt nichts ändern würde. Denn das in Artikel 16 des Grundgesetzes verankerte Grundrecht auf Asyl ist ein Individualrecht. Es kann nur in einem äußerst begrenzten Rahmen eingeschränkt werden, etwa durch die Festlegung von sicheren Herkunftsstaaten. Eine Ausweitung auf Albanien, Serbien und das Kosovo ist überfällig und könnte helfen, die stark angestiegene Flucht aus diesen Ländern zu stoppen.
Grundsätzlich aber hat jeder Flüchtling, der den Boden der Bundesrepublik erreicht, das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen, der in jedem Einzelfall geprüft und beschieden werden muss. Die Festlegung einer Obergrenze steht nicht zur Debatte. Eine gewisse Steuerung ist nur auf europäischer Ebene möglich – das gescheiterte Dublin-Abkommen war ein Versuch, von dem Deutschland lange profitiert hat, weil es in der Mitte Europas lag. Nun kehrt sich die Belastung um, weil die Grenzländer dem Problem nicht mehr Herr werden.
Unabhängig davon gibt es gute Gründe für die Verabschiedung eines eigenen Einwanderungsgeset- zes. Denn es würde das Asylrecht mit der politisch gewollten und mit Blick auf die drohende Überalterung der Gesellschaft dringend notwendigen Zuwanderung in den Arbeitsmarkt verknüpfen. Bislang sind beide Systeme strikt voneinander getrennt. Mit der paradoxen Folge, dass ein abgelehnter Asylbewerber, der in Deutschland einen Arbeitsplatz hat, Steuern und Sozialversicherungen zahlt und seinen Lebensunterhalt alleine bestreitet, das Land verlassen muss und sich von seinem Heimatland aus erneut um einen Job bewerben muss.
Der Einwand von CDU und CSU, ein Einwanderungsgesetz öffne alle Schleusen, spielt mit falschen Ängsten. Das Gegenteil ist richtig. Es gibt der Politik ein Instrument in die Hand, klare Kriterien und Obergrenzen für eine geregelte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt festzulegen, die sich an der Qualifikation der Bewerber, ihren Sprachkenntnissen und an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientieren. Und es nimmt den Druck vom Asylrecht, da Flüchtlingen, die nicht politisch verfolgt werden, aber eine Perspektive für sich und ihre Familien suchen, ein legaler Weg offensteht. Womit sich auch das Stammtisch-Gerede vom „Asylmissbrauch“erledigt.
Die Politik muss der Realität ins Auge sehen. Deutschland ist ein Einwanderungsland und wird dies auf Dauer bleiben. Nun gilt es, die Einwanderung in geordnete Bahnen zu lenken. Damit das Recht auf Asyl jenen gewährt werden kann, die es dringend benötigen.
Eine gesetzliche Regelung entlastet das Asylrecht