„Danke schön, Germany“
Flüchtlinge Drei Männer entschließen sich – zermürbt von Krieg, Gewalt und Hoffnungslosigkeit – zur Flucht aus Syrien. Ihr Plan: Sich nach Deutschland durchzuschlagen, um dort eine neue Perspektive für ihre Familien zu schaffen. Sie erreichen ihr Ziel. Do
Augsburg Jetzt sitzen sie hier: drei syrische Männer in dem kleinen Hinterzimmer einer Gaststätte im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Ein Buchalter, ein studierter Betriebswirt, der in seiner Heimat eine Küken-Aufzuchtstation betrieben hat, und ein Chefarzt. Kaum einmal lassen sie ihre Smartphones aus den Augen. Kein Wunder: Die Geräte auf dem Tisch waren über Monate unersetzliche Fluchthelfer. Heute verheißen sie ersehnte Kontakte zu den Angehörigen in der Heimat.
Eine Heimat, die seit viereinhalb Jahren in einem blutigen Krieg, der bis zu 250 000 Tote gefordert hat, versinkt. Rund elf Millionen Menschen sind auf der Flucht, über vier Millionen davon haben das Land verlassen. So wie die christlichen Assyrer Munjed Danhach, Mufid Owis und Dr. Fareed Yazagie.
Drei Männer, drei Geschichten. Völlig unterschiedlich, aber auch mit vielen Gemeinsamkeiten. „Uns wurde klar, dass es bei uns keine Zukunft für unsere Familien und vor allem die Kinder mehr geben kann“, sagt der 47-jährige Danhach und alle am Tisch nicken. „Bei uns“, das war für das Trio einmal die Kleinstadt Sadad, 60 Kilometer von der Christen-Hochburg Homs entfernt.
Fareed Yazagie lebt bereits seit drei Jahren in Augsburg. Der heute 53-jährige Internist und Onkologe wohnte in Homs und arbeitete als Chefarzt am Zentralklinikum der syrischen Hauptstadt Damaskus. Vor Kriegsbeginn ein hoch angesehener Posten, danach eine lebensgefährliche, weil exponierte Stellung.
Die Gefechte toben zu dieser Zeit noch ausschließlich zwischen den regulären Truppen von Machthaber Baschar al-Assad und syrischen Rebellen. Zunehmend regieren Chaos und Gewalt. Yazagie sucht in Damaskus Zuflucht: „Kollegen von mir wurden von Kriminellen entführt, die Geld erpressen wollten.“Als die Kugel eines Scharfschützen ihn nur knapp verfehlt, entschließt er sich, das Land zu verlassen. „Ich schätze, dass bereits 60 Prozent der Ärzte geflohen sind.“
Für ihn war von vorneherein klar: „Das Ziel ist Deutschland.“Und tatsächlich, der Plan geht auf. Heute arbeitet Yazagie als Arzt in Augsburg. Seine Familie, die er zunächst zurücklassen musste, ist nachgekommen. Fareed Yazagie ist hier eine wichtige Anlaufstelle für Menschen aus seiner Heimatstadt Sadad.
Als der sprach- und weltgewandte Mediziner schon längst in Augsburg angekommen ist, hoffen Munjed Danhach und Mufid Owis noch auf eine Zukunft in Syrien. Allerdings nur bis zum 21. Oktober 2013. Dann kommen sie: Kämpfer, der Al-Nusra-Front, die dem Terror- netzwerk Al-Kaida nahesteht, erobern den Ort. Sie bleiben eine Woche. Sieben Tage genügen, um Tod und Verwüstung über weite Teile der Stadt zu bringen. Auch danach wird es nicht besser. So wird der Gedanke an Flucht mit jedem Angriff, jeder Bombe auf die Wohngebiete übermächtiger. „Wir mussten da raus. Egal, wie groß das Risiko ist“, erinnert sich Danhach.
Am 7. August bricht der Buchhalter zusammen mit fünf Männern auf ins Ungewisse, um für die Familie in Deutschland eine neue Lebensgrundlage zu schaffen. Bis in die Türkei verläuft die Flucht relativ reibungslos. In Istanbul beginnt die aufreibende Suche nach Schleusern. Dort ist längst ein regelrechter Markt für Schlepperbanden entstanden. Die Smartphones spucken Angebote aus. „3000, 4000 ja 5000 Euro sollte die Bootspassage kosten. Doch wem vertrauen?“Unzählige Gerüchte und Tipps kursieren unter den Syrern, die in dem Moloch Istanbul auf einen Transfer in den Westen warten. Dann geht es los.
Ein Lastwagen fährt die Gruppe in die westtürkische Hafenstadt Bodrum. Von da, so versprechen die Schlepper, die 3500 Euro pro Person kassieren, würde ein sicheres und geräumiges Schiff insgesamt 13 Menschen auf die griechische Insel Patmos bringen. Eine glatte Lüge. Das Boot ist viel zu klein und in katastrophalem Zustand. 45 statt 13 Flüchtlinge sollen an Bord. „Wir haben protestiert. Doch die Schlepper schlugen einige Männer und bedrohten uns mit einer Waffe.“Nur gut, dass die See ruhig ist. „Gott hat uns gerettet“, denkt Danhach, als die Nussschale auf Patmos anlegt. Auf der Insel werden sie freundlich behandelt und versorgt – sie sind die einzigen Flüchtlinge dort.
Nach fünf Tagen in der Ost-Ägäis geht es weiter in die Hauptstadt. Ein Freund in Athen hat eine Wohnung organisiert. Doch alle Versuche, von Athen direkt nach Deutschland zu fliegen, scheitern. Immerhin: „Wir kamen zwar nicht durch die Kontrolle am Flughafen, wurden aber auch nicht von der griechischen Polizei verhaftet.“
Also weiter per Auto, Lastwagen und zu Fuß mit einem neuen Schleuser-Team, das diesmal 3000 Euro verlangt. Es geht auf der Balkan-Route über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn. Die Erinnerung an die letzte Station macht Danhach noch immer zu schaffen: „Sie haben uns sehr schlecht behandelt. Nach unserer Verhaftung wurden viele Menschen in einen winzigen Raum gepfercht. Ich habe kaum Luft bekommen. Wir wurden von den Wärtern gedemütigt, mussten uns völlig ausziehen und auf dem Boden schlafen.“
Doch als Danhach der Verzweiflung nahe ist, wendet sich das Blatt. Ungarn will die Syrer plötzlich schnell loswerden. Er erhält seinen Pass zurück und wird in den Fernzug Budapest – München gesetzt. „Auf der Fahrt wurde nur das Ticket kontrolliert“, sagt Danhach und lacht. Zuerst kommt er in Gießen unter, stellt dort seinen Asylantrag. Dann besorgt der Pate seiner Kinder eine Wohnung in Augsburg: der Mann heißt Fareed Yazagie. Munjed Danhach hat Glück: Auch der Antrag auf Familiennachzug hat Erfolg. Das Ehepaar und die zwei Kinder sind wieder vereint.
Genau davon träumt Mufid Owis, wenn er trotz der Angst um seine Frau und die drei Kinder, die nach wie vor in der Ruinenstadt Sadad ausharren, überhaupt einschlafen kann. Owis gelangt mithilfe von Schleppern über die griechische Insel Rhodos und Athen auf der Balkan-Route nach Deutschland. Er hat ein Zugticket nach Frankfurt in der Tasche, doch in Regensburg nimmt ihn die Polizei fest. Nur wenige Tage vor Heiligabend 2014 kommt er in eine Unterkunft für Asylbewerber. „Wir sind dort sehr freundlich empfangen worden. Alles war gut organisiert“, sagt Owis. Einen Monat später zieht er in eine Wohnung für Asylbewerber ins oberpfälzische Weiden. Dort lebt er
Ein Scharfschütze verfehlt den Arzt nur knapp Wenn nur die ständige Angst um die Familie nicht wäre
noch heute. Wenn nur nicht die ständige Angst um seine Familie in Syrien wäre. Immerhin kann er sich in Bayern frei bewegen, also auch seinen Bruder in Augsburg besuchen.
Die drei Männer haben es also geschafft. Sie sind am Ende ihrer Odyssee – in ihrem Traumland Deutschland. Und sie sind nicht enttäuscht worden, sie haben Anteilnahme und Hilfe erhalten. Hinzu kommt, dass es Landsleute wie Issa Hanna gibt, der in der Gaststätte in Oberhausen mit am Tisch sitzt. Der stellvertretende Vorsitzende der Assyrischen Demokratischen Organisation arbeitet seit 1987 in Augsburg als Übersetzer und Sprachlehrer. Er hält Kontakte nach Syrien und hilft Neuankömmlingen aus seiner Heimat.
Alle vier hoffen noch immer auf Frieden in Syrien. Doch der Glaube, dass er in absehbarer Zeit kommt, ist ihnen abhandengekommen. Danhach, Owis und Yazagie wollen in Deutschland bleiben. Yazagie hat Arbeit und Freunde – er ist angekommen. Die anderen beiden sind entschlossen, es ihm gleichzutun.
„Dankeschön, Germany“, sagt Danhach spontan. Er und Owis lassen keinen Zweifel daran, dass sie hier hart arbeiten und sich integrieren wollen. Sie wollen etwas zurückgeben.