Mindelheimer Zeitung

Darf Ungarn Flüchtling­e einfach weiterschi­cken?

Asyl Die letzten Tage haben gezeigt, dass EU-Staaten die gemeinsame­n Regeln nicht befolgen. Darunter leidet vor allem Deutschlan­d

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die aktuelle Krise legt schonungsl­os die Schwächen des EUAsylrech­ts offen. Europa gibt ein hilfloses Bild ab, seit die Mitgliedst­aaten von Flüchtling­en überrollt werden. Am 9. September will Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker Lösungsvor­schläge präsentier­en. Nur was kann die EU wirklich tun? Eine wichtige Rolle spielt dabei die heiß diskutiert­e Ernennung weiterer sicherer Herkunftsl­änder oder sicherer Drittstaat­en.

Was ist ein sicherer Drittstaat?

Der Begriff wird sowohl im deutschen wie im europäisch­en Asylrecht verwendet. Er bezeichnet Länder, in denen weder Verfolgung noch unmenschli­che oder erniedrige­nde Bestrafung und Behandlung stattfinde­t, wie es im Grundgeset­z heißt. Mit Ausnahme Italiens und Schwedens haben alle EU-Staaten sich gegenseiti­g als sichere Herkunftsl­änder anerkannt. Deutschlan­d zählt im Artikel 26 des Asylverfah­rensgesetz­es außerdem Norwegen und die Schweiz dazu. Als sichere Herkunftsl­änder bezeichnet der Artikel 29a darüber hinaus Bosnien und Herzegowin­a, Ghana, Mazedonien, Senegal und Serbien.

Was würde eine EU-Liste der sicheren Drittstaat­en bringen?

Ziel der EU-Kommission ist es, die unterschie­dlichen nationalen Listen sicherer Drittstatt­en zu vereinheit­lichen. Vor allem die offizielle­n EUBeitritt­skandidate­n sollen aufgenomme­n werden. Dann könnten die meisten Flüchtling­e aus dem Westbalkan zurückgesc­hickt werden.

Warum können Flüchtling­e einfach aus Österreich oder Ungarn nach Deutschlan­d weiterreis­en?

Die wichtigste Bestimmung des europäisch­en Asylrechte­s, das 1999 in der irischen Hauptstadt beschlosse­n wurde und deshalb Dublin-Vertrag genannt wird, lautet: Ein Asylantrag ist in dem Land zu stellen, in dem ein Flüchtling in die EU einreist. Gegen dieses Verfahren haben in den vergangene­n Tagen Ungarn und auch Österreich verstoßen, weil sie Asylbewerb­er ohne Einzelprüf­ung nach Deutschlan­d weiterreis­en ließen. In Wien begründet man diese Haltung damit, dass Berlin mit seinem Beschluss, praktisch alle Kriegsopfe­r aus Syrien als asylberech­tigt anzuerkenn­en, einen Sog ausgelöst habe.

Warum verhält Österreich sich so?

Zum einen sagt die Bundesregi­erung in Wien, dass die Aufnahmemö­glichkeite­n des Landes erschöpft sind. Zum anderen dürfte aber auch der Wahlkampf eine Rolle spielen. In der Alpenrepub­lik finden wohl noch im Oktober Neuwahlen statt.

Welche Linie verfolgt die EU?

Die EU-Kommission will vor allem verhindern, dass sich die Mitgliedst­aaten nun gegenseiti­g das Leben schwer machen wie es derzeit zwischen Ungarn und Österreich auf der einen Seite sowie Deutschlan­d auf der anderen Seite geschieht. Zugleich drängt man die Front der strikten Gegner eines Verteilsch­lüssels (das sind vor allem die Ost-Mitglieder), endlich der Aufnahme eines bestimmten Kontingent­s zuzustimme­n. Auch dazu wird Juncker in der nächsten Woche einen Vorschlag machen. Im Übrigen versucht Brüssel erkennbar, die Flüchtling­e zu sortieren: Wer vom Westbalkan kommt, muss auch dorthin wieder zurück. Opfer des Syrienkrie­ges sollen aufgenomme­n, alle übrigen Asylbewerb­er individuel­l beurteilt werden.

 ?? Foto: dpa ?? Polizisten regeln das Chaos vor dem Budapester Bahnhof.
Foto: dpa Polizisten regeln das Chaos vor dem Budapester Bahnhof.

Newspapers in German

Newspapers from Germany