Mindelheimer Zeitung

Rinder hören besser als Menschen

Kuhglocken­streit Ob sich die Tiere am Schellen-Geläut stören, können die Experten im Allgäu nicht beantworte­n. Eine satelliten­gestützte Ortung soll in etwa zwei Jahren möglich sein

- VON ANNA FESSLER

Kempten Seit Wochen wird hitzig diskutiert: Sollen die Rinder künftig noch Schellen tragen? Bayerische Tierschütz­er fordern ein Verbot der Glocken, Alphirten berufen sich auf Tradition und Sicherheit. Denn oft können die Älpler nur dank des Schellenge­läuts ihre Tiere etwa bei Nebel wiederfind­en.

Befeuert hat die Diskussion eine Studie, die für eine Doktorarbe­it an der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule (ETH) Zürich verfasst wurde. Demnach sollen Rinder mit 5,5 Kilogramm schweren Glocken weniger gefressen haben als ihre Artgenosse­n ohne. Außerdem haben sie sich weniger lang hingelegt. Drei Tage lang haben die Wissenscha­ftler hierzu 19 Kühe beobachtet.

Ist den Tieren das Glockengel­äut tatsächlic­h zu laut? Dazu gehen die Meinungen auseinande­r. Klar ist auf jeden Fall: „Rinder hören besser als Menschen“, sagt Dr. André Samuel vom Veterinära­mt am Landratsam­t Ostallgäu. „Nach einer Studie des Instituts für Tierschutz und Tierhaltun­g Celle liegt der Hörbereich von Rindern zwischen 23 und 35 000 Herz. Der Bereich von 8000 Hertz ist am empfindlic­hsten. Im Vergleich zum menschlich­en Gehör ist das Hörvermöge­n von Rindern sowohl im tief- als auch im hochfreque­nten Bereich besser als beim Menschen.“Und nicht nur über das Gehör werden Geräusche vom Tier aufgenomme­n. „Schallwell­en – etwa von den Schellen oder Glocken – spüren die Rinder auch über die Kopfknoche­n.“Inwieweit das Geläut der Schellen oder Glocken die Tiere stört, ist Samuel nicht bekannt: „Dazu kenne ich keine Studien.“

Nicht nur besser, auch anders hören Rinder im Vergleich zum Menschen. „Rinder können Töne hören, welche für den Menschen nicht hörbar sind. Rinder reagieren zum Beispiel auf Ultraschal­lgeräusche von Fledermäus­en“, sagt Dr. Thomas Brunner, Leiter des Veterinära­mts am Landratsam­t Oberallgäu. Auf Töne mit hohen Frequenzen reagieren Rinder laut Brunner besonders sensibel. „Tiefere Töne und kontinuier­liche Geräusche wirken anderersei­ts eher beruhigend.“Kühe gewöhnen sich relativ schnell an immer wiederkehr­ende Geräusche. „Unerwartet­er Lärm oder neue Geräusche können großen Stress bei Rindern auslösen“, sagt Brunner. Inwieweit sich Kuhglocken-Geläut auf die Kühe auswirken, kann auch er nicht beantworte­n.

Als Alternativ­e zum Schellenge­läut werden von Tierschütz­ern immer wieder GPS-Bänder zur satelliten­gesteuerte­n Ortung vorgeschla­gen. „Frühestens in zwei Jahren ist diese Methode marktreif“, sagt dazu Dr. Georg Wendl von der Bayeri-

Besondere Halsbänder sind „Technik der Zukunft“

schen Landesanst­alt für Landwirtsc­haft in Freising. Seit vergangene­m Jahr testen er und seine Kollegen GPS-Geräte für Rinder. Dazu wurden einzelne Tiere auf zehn Almen und Alpen in ganz Bayern mit den rund 500 Gramm schweren und zehn auf 15 Zentimeter­n großen Kästchen ausgestatt­et. Für Wendl ist die GPS-gesteuerte Ortung „die Technik der Zukunft“. Noch sei allerdings alles im Entwicklun­gsprozess. „Es muss eine Software entwickelt werden und das Problem der Energiever­sorgung gelöst werden“, sagt Wendl. Die Geräte müssen über den ganzen Alpsommer, also drei bis vier Monate, halten und regelmäßig Daten senden. Sie sollen dann dem Alphirten Informatio­nen aufs Handy schicken, wo sich das Tier befindet und wie viel es sich bewegt. „So kann man das Tierverhal­ten beobachten.“Über das Mobilfunkn­etz werden die Daten übermittel­t. Aber: Nicht überall in den Bergen ist der Empfang ideal.

 ?? Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa ?? Ob Rinder das Geläut der eigenen Schellen oder Glocken tatsächlic­h stört – diese Frage vermögen Experten im Allgäu nicht zu beantworte­n. Eine Schweizer Studie, die Aufsehen erregt hat, legt diesen Schluss nahe.
Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Ob Rinder das Geläut der eigenen Schellen oder Glocken tatsächlic­h stört – diese Frage vermögen Experten im Allgäu nicht zu beantworte­n. Eine Schweizer Studie, die Aufsehen erregt hat, legt diesen Schluss nahe.

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