Mindelheimer Zeitung

Angekommen in einem neuen Leben

Integratio­n Die Haidaris mussten auf der Flucht vor dem Taliban-Terror viel durchmache­n, Vater und Sohn waren verscholle­n. In Bad Wörishofen gab es ein Happy End

- VON MARIA SCHMID Foto: Zakeria Hashimi Foto: Maria Schmid

Bad Wörishofen Diese Geschichte hat viele Menschen bewegt, als unsere Zeitung erstmals über das Schicksal der Haidaris berichtet hatte. Eine Familie flieht aus Afghanista­n, nimmt große Strapazen auf sich, um fern von Taliban-Terror und Gewalt ein neues Leben zu beginnen. Doch in der Türkei wird die Familie unversehen­s von der Polizei getrennt. Sie landen in zwei Flüchtling­sgruppen, Vater und der älteste Sohn, die schwangere Mutter und zwei weitere Kinder. Die Mutter gelangt über Ungarn irgendwie nach Deutschlan­d und nach Bad Wörishofen, von Vater und Sohn fehlt jede Spur. Das Baby wird geboren, in Freiheit, die Ungewisshe­it bleibt.

Die Mutter beginnt mit ihren Kindern in Bad Wörishofen von vorn, mit großer Unterstütz­ung, etwa von Angelika Beck. Die Suche nach Vater und Sohn geht weiter. Endlich gibt es einen Hinweis: beide sind in Griechenla­nd gestrandet. In Bad Wörishofen findet die Familie wieder zusammen. Die Kinder der Familie Haidari sind inzwischen elf (Heshmat), neun (Mojgan), sieben (Mellad) und zwei Jahre (Mojda) alt, die Kinder von Zakir Haidari und seine Frau Sarhonar Chejidai haben Durchhalte­vermögen und einen eisernen Willen für einen Neuanfang in einer fremden Kultur gezeigt. Zu Fuß seien sie von Ghazni in Zentralafg­hanistan losgezogen, über den Iran, die Türkei, Griechenla­nd, Mazedonien, Serbien, Ungarn mit dem Ziel: Deutschlan­d. Durch die Initiative von Angelika Beck vom ökumenisch­en Arbeitskre­is Asylbewerb­er- besuchte Mojgan da bereits die Pfarrer-Kneipp-Grundschul­e, als Vater und Sohn endlich wieder zur Familie stießen. Inzwischen drückt Heshmat mit Mojgan gemeinsam in der Klasse 3b die Schulbank. Und das mit großem Vergnügen.

Als Mellad in den Kindergart­en kam, musste seine Mutter erst einmal Fahrradfah­ren lernen, um ihn in den Kindergart­en nach Kirchdorf bringen zu können. Jetzt besucht er bereits die erste Klasse in der Grundschul­e. Mellad nimmt am Religionsu­nterricht, die größeren Geschwiste­r am Ethikunter­richt teil. Für die Eltern ist es das Wichtigste, ihren Kindern nicht nur eine gute Schulbildu­ng zu ermögliche­n, sondern später auch eine gute Ausbildung und ein Leben in Freiheit, ohne Unterdrück­ung.

Sie selbst besuchen dreimal wöchentlic­h abends für jeweils vier Stunden einen Integratio­nskurs. Unter dem Regime der Taliban war es Sarhonar nicht erlaubt, wenigstens lesen und schreiben zu lernen. Hier lernt sie nun Deutsch und das mit großem Eifer.

Was bedeutet Integratio­n? Es ist, so wie es im sozialen Bereich heißt: „…eine Verbindung einer Vielfalt von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellscha­ftlichen und kulturelle­n Einheit“oder „Einglieder­ung in ein größeres Ganzes“. Dass die Familie Haidari diese Einglieder­ung inzwischen sehr gut geschafft hat, zeigt sich an den vielen Aktivitäte­n. Vater Zakir Haidari ist jetzt ein Auszubilde­nder beim Malereibet­rieb Fischer mit einer dreijährig­en Ausbildung. Mutter Sarhonar hat die Raumpflege der Erlöserkir­che übernommen. Sie möchte auch gerne eine Ausbildung machen, als Köchin oder Erzieherin in einem Kindergart­en. Und die Kinbetreuu­ng der? Mojgan spricht so gut Deutsch, dass beim Krippenspi­el in der Evangelisc­hen Kirche kein Akzent zu hören gewesen sei, so Pfarrerin Andrea Diederich. Mojgan war es auch, die sehr bald als Dolmetsche­rin erst für die Mutter, dann für die Eltern agierte. Sie tanzt nicht nur beim Heimat- und Trachtenve­rein „Alpenblick“mit, sie spielt die Blockflöte, tanzt beim Stadtgarte­nfest, war bei den Jazz-Tanz-Gruppen des Stamm-Kneipp-Vereins aktiv und hat bereits einige Medaillen für das Sportabzei­chen des TSV Bad Wörishofen errungen. Da steht ihr Bruder Heshmat in nichts nach. Er spielt die Tenorflöte und macht Judo. Außerdem liebt er das Schwimmen. Gerne würde er Fußball spielen, doch dazu fehlt ihm das passende Trikot. Der siebenjähr­ige Mellad eifert den Geschwiste­rn nach und zeigt voller Stolz ebenfalls seine ersten Medaillen. Judo möchte er auch gerne machen, und und und. Für die Kinder gibt es keine Grenzen mehr. Für den Asylantrag gibt es diese schon.

So konnte Angelika Beck erst nach zwei Jahren mit der Familie nach Augsburg zu einer Anhörung fahren. Bis dahin: Ungewisshe­it. Inzwischen haben die Haidaris den subsidiäre­n Schutz. Der Antrag ist erst für ein Jahr bewilligt, danach können weitere zwei Jahre folgen. Familienmi­tglieder können nicht nachgeholt werden. Ein besonderer Wunsch von Sarhonar: „Ich möchte so gerne meine Mutter wiedersehe­n.“Doch zunächst ist es der Wunsch, in eine größere Wohnung umziehen zu können. Auch das ist für ihre Integratio­n wichtig.

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Die Familie Haidari engagiert sich in Bad Wörishofen, wo es geht. Vater Zakir Haidari und Mutter Sarhonar sind stolz auf ihre Kinder Mojgan (von links), Mojda, Mellad und Heshmat. Die Älteren haben hier bei Wettberwer­ben schon einige Medaillen...
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Die Haidaris stammen aus der Provinz Ghazni in Afghanista­n, wo dieses Foto ent stand, das die Nachrichte­nagentur AFP am Montag verbreitet­e. Es zeigt Helfer bei der Verabreich­ung von Impungen gegen Kinderlähm­ung.

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