Das perfekte Verbrechen gibt es nicht
Straftaten Guido Limmer, stellvertretender Chef des Polizeipräsidiums in Kempten, hat ein Buch über spektakuläre Kriminalfälle veröffentlicht. Wie Profis Tätern zu Leibe rücken und wieso manche Erlebnisse die Ermittler verfolgen
Kempten Ob rätselhafte Briefbombenserie oder Morde ohne ein erkennbares Motiv: Das Kriminaltechnische Institut in München geht auf der Suche nach den Tätern jährlich 60 000 Spuren nach. Sieben Jahre lang leitete Guido Limmer, seit kurzem Vizechef des Polizeipräsidiums in Kempten, die Ermittlertruppe. Über die spektakulärsten Fälle hat Limmer jetzt ein Buch geschrieben.
Unter Ihrer Leitung hat das Kriminaltechnische Institut etwa 200 000 Fälle bearbeitet. Was glauben Sie: Gibt es das perfekte Verbrechen?
Limmer: Das gibt es definitiv nicht. Jeder Täter macht Fehler, sei es weil er ein Anfänger ist oder weil er als Einzeltäter handelt. Ihm gegenüber steht ein Heer von Spezialisten, um Täter zu entlarven und Verbrecher zu bekämpfen. Dennoch gelingt es leider nie, alle Taten aufzuklären. Die Erfolgsquote in Bayern liegt aber immerhin bei etwa 70 Prozent.
In amerikanischen Krimis liefern meist kauzige Experten den entscheidenden Hinweis. Wie sieht die Realität aus?
Limmer: Bei der Kriminaltechnik arbeiten Spezialisten der unterschiedlichsten Disziplinen zusammen. Ihre Waffen sind modernste Geräte und eine hoch technisierte Wissenschaft, von den Bereichen Medizin, Physik und Chemie bis zur Sprengstoffund Handschriftenanalyse.
Also doch ein Hauch Fernsehkrimi?
Limmer: Nein, da liegen Realität und Fiktion weit auseinander. Am meisten ärgert es mich, wenn auf dem Bildschirm ein Kriminaltechniker auch gleich die Festnahme des Verdächtigen übernimmt. Deshalb schaue ich beispielsweise keinen Tatort an, mit Ausnahme der Folgen aus Münster. Die sind bewusst überdreht – so wie die österreichische Kultserie „Kottan ermittelt“. Die finde ich auch klasse.
Welche Spuren haben für Ermittler die größte Bedeutung?
Limmer: Unentbehrlich ist in der Regel das älteste Mittel der Kriminaltechnik, der Fingerabdruck. Auch Schuhspuren sind in vielen Fällen ergiebig, schließlich fliegt kein Täter zum Tatort. Wichtig können für uns zudem winzige Spuren wie Haare, Hautschuppen oder Teppichfasern
oder der Lacksplitter, der bei einer Unfallflucht zurückbleibt.
Welche Rolle spielt die DNA, der genetische Fingerabdruck?
Limmer: Eine sehr wichtige. Theoretisch können wir dank DNA extrem viel über den Täter erfahren. Ein aus diesen Daten erstelltes dreidimensionales Abbild des Kopfes besitzt eine Treffsicherheit von etwa 80 Prozent und damit mehr als ein Phantombild. Dieser Weg wird in den USA oft beschritten, bei uns dagegen ist dies zum Schutz der Per-
sönlichkeitsrechte verboten. Wobei diese Form der Datennutzung in der Tat eine heikle Sache ist.
Und die Zukunft – was kann die Kriminaltechnik von morgen?
Limmer: Viel passieren wird ganz sicher im IT-Bereich. Früher hinterließen Autoknacker oder Einbrecher automatisch echte Spuren am Tatort. Heute verschaffen sich Täter immer öfter mit einer Fernbedienung Zugang. Da gilt es für unsere Kryptologen, digitale Spuren zu finden oder den Datensalat auf Rechsein
nern und Mobiltelefonen schnell zu entschlüsseln. Faszinierend finde ich persönlich außerdem die dreidimensionale Vermessung eines Tatorts. Das ist ein großer Aufwand, bringt uns aber einen großen Schritt weiter. Denn damit erhalten wir ein komplettes Abbild der Realität, das an jedem Ort und zu jeder Zeit einsetzbar ist, etwa bei der Rekonstruktion des Tathergangs vor Gericht.
Sie haben eine Vielzahl von Fällen erlebt. Welche haben sie besonders bewegt?
Limmer: Gewaltverbrechen gehen einem als Ermittler natürlich immer besonders nahe, vor allem wenn junge Menschen beteiligt sind. Aus der jüngsten Zeit gehört da mit Sicherheit der Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum in München dazu, bei dem neun Menschen getötet wurden. Die Überwachungsvideos zeigen Bilder, die einem lange Zeit nicht aus dem Kopf gehen. Wenn man die anschaut, möchte man den Jugendlichen am liebsten zurufen: Lauft weg. Und natürlich denkt man bei so einem Vorfall unweigerlich an die eigenen Kinder.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch besonders ungewöhnliche Fälle.
Limmer: Dazu gehört etwa eine Briefbomben-Serie, die von Passau aus immer weitere Kreise zog. Ein Unbekannter verschickte zehn Briefbomben an Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens. Zum Glück explodierten nur zwei. Eine Haarschuppe in einem Brief brachte bei den Ermittlungen den Durchbruch: Die DNA war identisch mit einer Spur, die beim Einbruch in einen Einödshof gefunden wurde. Wir haben dann einen Speicheltest für 2000 Männer aus der Umgebung angeordnet. Bevor dieser beendet war, sprengte sich der Täter auf einem Feld selbst in die Luft. Er war 17 Jahre alt. Warum er das alles tat, wissen wir nicht.
Wie gehen Ermittler damit um, wenn ein Täter selbst mit großem Aufwand nicht ermittelt werden kann?
Limmer: Bei Standardfällen, etwa im Straßenverkehr, geht man irgendwann zum nächsten über. Bei ungeklärten Kapitalverbrechen ist das etwas anderes. Auch wenn da alles versucht wurde, überlegt man ständig, wo man neu ansetzen könnte. So ein Fall kommt nie zu den Akten – so wie der Tod der zehnjährigen Ursula Herrmann, die 1981 entführt wurde und in einer Holzkiste erstickte. Nach fast 30 Jahren gab es ein Urteil, weil die moderne Technik den damaligen Erpresseranruf einem Täter zuordnen konnte.
Sie sind von München ins Allgäu gewechselt – geht es dort ruhiger und gesetzestreuer zu?
Limmer: Ich sehe keinen grundlegenden Unterschied zwischen dem Allgäu und anderen Regionen in Bayern. Das Verbrechen ist immer und überall.