Zeitreise in die Kriegsjahre
950 Jahre Michael Scharpf hütet einen Bilderschatz, der geradezu sensationell ist. Im Jubiläumsjahr der Stadt gibt er Einblick in längst vergangene Zeiten – und löst damit einen Besucheransturm aus. Was Alteingesessene erzählen
Bad Wörishofen Im Jubiläumsjahr 2017 ist das Interesse an der Historie der Stadt offensichtlich besonders groß. In seiner Vortragsserie über wichtige Epochen Wörishofens hatte Michael Scharpf diesmal einen großen Zeitraum über die beiden Weltkriege bis in die Nachkriegszeit nach dem Einmarsch und speziell bezogen auf die Lazarettstadt und die „Displaced Persons“nach dem Krieg zum Thema genommen. Das Guggerhaus konnte dazu gar nicht alle Besucher fassen, sodass viele die geschichtliche Präsentation leider nur im Stehen, zum Teil sogar nur durch die Eingangstüre verfolgen konnten. Deshalb wurde nun in Zusammenarbeit mit der Kurverwaltung beschlossen, die beiden weiteren Vorträge am 1. und 7. Juni im Kurtheater stattfinden zu lassen.
Es ist aber auch wirklich schon fast sensationell, über welche Schätze an historischen Bildern Michael Scharpf verfügt. Darüber hinaus verstand er es auch bei diesem Vortrag wieder, die Besucher nicht nur damit, sondern auch durch seine ebenfalls gesammelten Textbeiträge aus Biografien und seine angenehme Präsentation zu fesseln.
An diesem Abend begann die Zeitreise bereits mit Bildern von heimischen Soldaten bei ihrer Rekrutierung zum und vom 1. Weltkrieg selbst. Schon damals war Wörishofen Lazarettstadt, beherbergte 1918 noch 500 verwundete Soldaten und hatte insgesamt während dieses Krieges 10 000 Soldaten hier verpflegt. Außerdem wusste Scharpf zu berichten, dass entgegen der bisher landläufigen Meinung in beiden Kriegen das Kurwesen keineswegs ganz zum Erliegen gekommen war. 1918 und 1919 konnten immerhin noch etwa 11 000 Gäste verzeichnet werden. Im weiteren Verlauf berichtete Michael Scharpf eindrucksvoll über das Ende des 2. Weltkrieges, den Einmarsch der Amerikaner, die glücklicherweise friedlich verlaufene Übergabe der Stadt durch Martin Springer und Dr. Paul Baumgarten. Ausführlich wurde dargestellt, wie viele Häuser, aber auch Lazarette, die noch von Verwundeten belegt waren, nun für die amerikanischen Soldaten geräumt werden mussten.
Paul Brandner und Irmgard Corazza, eine geborene Braun, können sich noch gut an diese Zeit erinnern und erzählten unserer Zeitung im Nachgang dazu. Irmgard Corazza, Jahrgang 1939, wohnte damals in der Nähe der damaligen Mädchenschule im Kloster: „Ich weiß noch gut, wie die Panzer und Lkw bei uns vor dem Haus stoppten. Soldaten sprangen heraus und wollten zunächst nur ein Ei haben. Danach aber, als sie merkten, dass es davon noch mehr gab, holten sie auch den übrigen Bestand ab, ließen aber die letzten beiden Eier aus Rücksichtnahme für meine Eltern übrig. Im Nachbarhaus allerdings hatten sie schon etwas mehr gewütet.“
Weiter wusste Irmgard Corazza zu berichten, dass auch in der Mädchenschule amerikanische Soldaten Quartier bezogen hätten und dass der unterirdische Gang, der vom Kloster unter der St.-Anna-Straße hindurch zur damaligen Landwirtschaft führte, von den Einheimischen bei Fliegeralarm als Schutzraum genutzt wurde. „An der schiefen Eiche beim Gambrinus trafen sich übrigens ganz gerne die Mädchen mit den amerikanischen Soldaten“, so Corazza weiter.
Paul Brandner war 1945 zehn Jahre alt. Er erinnert sich an den Einmarsch noch sehr genau: „Wir wohnten damals im Dorschhauser Weg. Für uns Buben war das sehr spannend. Am Abend davor zogen noch deutsche Soldaten durch die Straßen. Als die Amerikaner, aus Mindelheim kommend, am GeigerParkplatz ankamen, stand ich an der kleinen Brücke und hielt eine RotKreuz-Fahne in den Händen. Es war eine lange Kette an Fahrzeugen, die sich nachmittags am Denkmalplatz sammelten. Unser Haus wurde dann sofort beschlagnahmt und wir kamen bis 1952 in der „Parkvilla“beim Kneippianum, wo gerade das neue Glass-Gebäude entsteht, unter. Wir hatten Glück, dass wir gute Beziehungen zum Kneippianum hatten, denn meine Brüder und ich waren dort Ministranten. Wir durften aber nichts mitnehmen, später wenigstens das Klavier, mit dem mein Vater als Klavierlehrer den Lebensunterhalt bestreiten konnte.“Doch zurück zum Vortrag: Michael Scharpf wusste dann noch interessante Geschichten vom schwarzen Markt, aber auch von Saalschlachten im Café Matzberger, von pikanten Mädchenstories oder dem insgesamt aber meist positiven Verhalten der Amerikaner zu erzählen. Bilder vor dem Kurhotel Sproll oder vom Haus Trautwein unterlegten seine Worte.
Schließlich ging er noch auf die Displaced Persons, ehemalige KZInsassen, Zwangsarbeiter oder andere entwurzelte Menschen ein, die nach dem Krieg keine Aufenthaltsmöglichkeit mehr hatten, ein. Sie kamen aus dem Baltikum, Polen oder der Ukraine und gingen zahlenmäßig in den vierstelligen Bereich. Die schlimmen Schicksale, vor allem von früheren KZ-Insassen, die dabei in Erinnerung gerufen wurden, machten schon sehr betroffen. Als positiven Abschluss konnte Michael Scharpf dagegen vermelden, sowie mit Kurkarten und Kurlisten belegen, dass schon 1946 der Kurbetrieb wieder zu florieren begann und der Bahnhofsvorplatz sogar auf einem Bild mit ankommenden Gästen fast überfüllt war.