Genug war ihm nie genug
Porträt In seiner Poesie träumt er von einer grenzenlosen Welt. Im Leben Konstantin Weckers wechselten sich Höhenflüge und Abstürze ab. Bayerns bekanntester Liedermacher wird heute 70
München Wenn man seinen Liedtexten immer trauen dürfte, sehnte er sich danach, das Leben am Strand zu verbringen. So weit die Poesie. In Wirklichkeit aber war und ist die Bühne sein Strand und das Publikum sein Meer. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Logik, dass der noch immer bekannteste Liedermacher Bayerns, Konstantin Wecker, nach einem Konzert im Münchner Circus Krone in seinen 70. Geburtstag reinfeiert, um sich die Huldigungen von Fans und Freunden abzuholen.
Der sanfte Revoluzzer und Dichter der Zärtlichkeit ist in die Jahre gekommen. Das ist nicht ganz selbstverständlich bei einem wie ihm. Denn Wecker verkörpert den Typ „Herdplattenanfasser“, einer, der sich selbst verbrennen muss, bis er erkennt, dass etwas zu heiß ist. Letztendlich muss man ihm aber attestieren, dass er die Kurve ins Alter gut hingekriegt hat – wenn gut heißt, dass er wieder mitten im Schoß der von ihm heftig kritisierten Gesellschaft gelandet ist.
Das war nicht immer so. Lange Jahre war der Künstler kokainabhängig und im Jahr 2000 wurde er nach mehreren Prozessen zu 20 Monaten auf Bewährung verurteilt. Man hatte ihm den Kauf von 1,77 Kilogramm Kokain nachweisen können, so viel, dass die Staatsanwaltschaft Eigenverbrauch für unmöglich und ihn für einen Dealer hielt. Auf viele künstlerische Höhenflüge war der Absturz gefolgt. Doch das ist Vergangenheit. Ein deutliches Indiz dafür: Im Mai wurde Wecker von Kulturminister Ludwig Spaenle mit dem Bayerischen Staatspreis ausgezeichnet.
Es ist für Wecker typisch: Diejenigen, gegen die der politische Linksaußen ansingt, ehren ihn. In seiner Rede sagte der Münchner denn auch augenzwinkernd: „Die traun sich was, dem alten Anarcho und bekennenden Freund der Willkommenskultur einen Staatspreis zu verleihen – Donnerwetter.“
Wecker ist ein Multitalent und bis heute eminent fleißig. Er hat 600 Lieder geschrieben, dazu Filmmusiken, Musicals, Gedichte und Bücher. Er war als Schauspieler tätig, in seriösen Produktionen und zu Beginn seiner Karriere in den 70er Jahren auch in billigen Sexfilmchen. Als Wirt hatte er sich letztendlich ohne Fortune mit dem „Kaffee Giesing“in München versucht.
Der Mann, der von seinen Eltern mit Nachdruck gefördert wurde, war in vielerlei Hinsicht ein Frühreifer. Klavier hat er mit fünf gelernt, Geige mit acht, mit 13 kam ihm nach eigener Aussage erstmals der Gedanke, ein Genie zu sein. Das Ausbrechen und Grenzenüberschreiten waren ihm offenbar in die Wiege gelegt: „Schon mit zwölf Jah- ren lief ich in der Schule herum und gab damit an, dass ich Anarchist sei“, sagte er in einem Interview.
Bis die Karriere in Schwung kam, dauerte es aber noch einige Jahre. Dazwischen war er, als Gymnasiast, von zu Hause ausgerissen. Mit 18 Jahren hat der romantische, wohlbehütete Sohn aus München-Lehel dann in seinem Drang nach der großen Freiheit die Kasse der Rennbahn Riem mit 30000 D-Mark geknackt, ist dafür vier Wochen in den Knast gegangen.
„Für mich war das ein Abenteuer. Es war mir gar nicht so bewusst, dass das strafbar war. Wir sind danach mit dem Taxi nach Augsburg in eine Pension, haben das Geld auf dem Bett ausgebreitet – und uns gefreut. Drei Wochen später war es ausgegeben“, erinnert er sich heute.
Wecker war und ist einer, der nach Niederlagen auch immer wieder aufgestanden ist. Als Liedermacher startete er mit Auftritten in Kneipen, bekannt wurde er Ende der 70er Jahre mit Alben wie „Genug ist nicht genug“oder „Weckerleuchten“. Ersteres diente ihm auch als Lebensmotto. Sein erstes bekanntes Lied war die Ballade vom Willi, einem Freund, der sich in einer Kneipe mit Neonazis anlegt, nicht bemerkt, wie die Situation eskaliert, und mit einem Maßkrug erschlagen wird.
Konstantin Wecker verdiente mit seiner Musik Millionen und gab sie teilweise leichtfertig wieder aus, insbesondere in seiner Drogenzeit. Seinem Schwiegervater hatte er danach zu verdanken, dass ihn sein Schuldenberg nicht erdrückte.
Inzwischen scheint mehr Ruhe in Weckers Leben eingekehrt zu sein, zumindest hört man nichts Negatives mehr. Der zweifache Vater, der von seiner zweiten Frau getrennt lebt, und seine menschlichen Schwächen selbst nie ausblendete, sitzt wie eh und je am Klavier, verschmilzt mit Instrument und Mikrofon und reißt sein Publikum schwitzend zu Begeisterungsstürmen hin.
Die Utopie einer gewaltfreien Gesellschaft hat sich der Friedensaktivist bis heute nicht nehmen lassen. Politisch ist er nach wie vor aktiv. Er scheint aber gelassener, gereifter, wenngleich die Wut auf Rassisten und Faschisten („Sag nein!“) in ihm immer noch brodelt.
Für Wecker selbst ist die künstlerische Karriere auch mit 70 Jahren hoffentlich noch lange nicht vorbei. Gerade erst hat er ein neues Album („Poesie und Widerstand“) und ein neues Buch auf den Markt gebracht. „Ich bin nicht am Anfang und auch nicht am Ende. Ich bin hoffentlich immer noch mittendrin. Weiterhin fehlerhaft und lernend, närrisch und zornig, liebevoll und verzweifelt“, schreibt er in seiner Biografie mit dem Titel „Das ganze schrecklich schöne Leben“. So ist er, der Wecker!