Kinderärzte weisen Patienten ab
Medizin In Bayern gibt es wieder mehr Geburten. Viele Praxen sind überlastet. Die Folge: Eltern tun sich schwer, überhaupt einen Arzt zu finden. Dabei gibt es auf dem Papier gar kein Problem
Augsburg „Wir können leider keine neuen Patienten mehr aufnehmen.“Diesen Satz bekommen immer mehr Eltern zu hören, wenn sie auf der Suche nach einem Kinderarzt für ihren Nachwuchs sind. Denn die Kinderärzte in Bayern arbeiten am Limit und weisen deswegen vielerorts Patienten ab. Martin Lang, Vorsitzender des bayerischen Kinder- und Jugendärzteverbands, sagt: „Die Situation hat sich in den letzten zwei Jahren drastisch verschärft. Die Belastungsgrenze ist erreicht.“
Seit anderthalb Jahren nimmt Lang in seiner Praxis in der Augsburger Innenstadt keine Patienten mehr auf, die älter als sechs Monate sind. Für Neugeborene gilt dieser Aufnahmestopp nicht. So handhaben das viele Kollegen, sagt der 55-Jährige. In einer bayernweiten Umfrage gaben zuletzt 87 von 95 Praxen an, dass sie keine Patienten mehr aufnehmen. Lang spricht von einer „durchgehenden Überlastung“der Kinderärzte – ob in der Stadt oder auf dem Land.
Für Eltern und Kinder ist die Situation ärgerlich, weil sie in der Regel eine Reihe von Praxen abtelefonieren oder lange Wege in Kauf nehmen müssen, um einen Kinderarzt zu finden. Lang, der in Schwabmünchen eine Filialpraxis betreut, kennt das Problem. Dort entbinden er und seine Kollegen im Schnitt 420 Kinder im Jahr. „Wir können aber nur 50 bis 60 Prozent in unserer Praxis behandeln. Die anderen müssen wir weiterschicken.“Und wer für seinen Nachwuchs einen behandelnden Kinderarzt gefunden hat, bekommt zu spüren, dass die Praxen am Limit arbeiten. „Viele kommen am Telefon nicht durch. Und in der Praxis warten sie schon mal anderthalb, zwei Stunden, bis sie drankommen“, berichtet Lang. „So kann eine vernünftige ambulante Versorgung nicht aussehen.“
In der Theorie sieht die Lage dagegen deutlich besser aus. Wie aus den Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) hervorgeht, sind alle Planungsbereiche in Schwaben überversorgt, was die Zahl der Kinderärzte betrifft. In der Stadt Augsburg etwa kommen 57 Kinderärzte auf 43317 Einwohner unter 18 Jahren – das entspricht einem Versorgungsgrad von 144 Prozent. Noch höher sind die Quoten im Kreis Aichach-Friedberg (152), im Kreis Augsburg (163), im Planungsbereich Oberallgäu und Kempten (152) sowie Ostallgäu und Kaufbeuren (160) und im Kreis Lindau (169). Der ideale Versorgungsgrad liegt bei 100 Prozent.
Lang hält von dieser Statistik wenig. Denn die Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendärzte basiere auf Zahlen aus dem Jahr 1992. Seither aber seien die Aufgaben in der Pädiatrie drastisch gestiegen, betont Lang. Wurden bei Kindern früher sechs bis neun Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt, sind es heute zwischen 12 und 14. Auch die Zahl der Impfungen ist gestiegen. Hinzu kommt: Immer mehr Kinder mit Entwicklungs- und Schulleistungsstörungen wie ADHS werden zum Kinderarzt geschickt. Und nicht zuletzt werden wieder deutlich mehr Kinder geboren.
Das Problem ist: Es dürfen sich keine neuen Kinderärzte in Bayern niederlassen. Das hat wiederum mit der Bedarfsplanung zu tun. Sie legt fest, wie viele Mediziner in welcher Region nötig sind. Und weil auf dem Papier keinen Bedarf besteht, werden keine neuen Stellen genehmigt. Im Gesundheitsministerium hat man von den Klagen der Eltern gehört. Ministerin Melanie Huml (CSU) sieht Bayern im kinderärztlichen Bereich jedoch „gut versorgt, vor allem in den Städten“. Eltern, die ein Problem haben sollten, eine Praxis zu finden, könnten sich Unterstützung bei der KVB holen.
Lang aber reicht das nicht. Er fordert, den Bedarf an Kinderärzten neu zu berechnen. Birgit Grain, Sprecherin der KVB, betont zwar, dass die Vorgaben 2012 überarbeitet wurden. Damals wurde allerdings vor allem bei den Hausärzten nachgebessert. Die Politik aber hat das Problem inzwischen erkannt und im Jahr 2015 ein „Versorgungsstärkungsgesetz“verabschiedet. Ein wissenschaftliches Gutachten soll helfen, den tatsächlichen Bedarf an Kinderärzten zu ermitteln. Passiert aber ist seither wenig. Am Angebot jedenfalls mangelt es nicht, ist Lang überzeugt. „Es gibt genug Ärzte, die sich niederlassen würden. Das Problem ist nur, dass wir sie nicht einstellen dürfen.“»Kommentar