Niemand kann dem Italiener in den Arm fallen
überschuldeter, vor dem Bankrott stehender Staaten notfalls in unbegrenztem Umfang aufzukaufen und auch die zahlreichen maroden, gleichfalls überschuldeten Großbanken Europas vor dem Untergang zu beraten – alles zu dem Zweck, das drohende Ende des Euro abzuwehren und das System zu stabilisieren.
Mario Draghi, der im Grunde mächtigste Mann Europas, ließ den großen Worten Taten folgen. Zwar hat er von dem gegen den Widerstand der deutschen Bundesbank beschlossenen „OMT“-Programm, das der EZB im Ernstfall Gelddrucken ohne Limit erlaubt, keinen Gebrauch gemacht. Diese „dicke Bertha“hält die Zentralbank, in deren Führungsgremium die Deutschen nicht mehr viel zu melden haben, für den Super-Gau einer neuen Finanzkrise bereit. Aber die EZB hat seit jenen dramatischen Tagen im Sommer 2012 ihr bereits 2010 nach dem Ausbruch der Griechenland-Krise gestartetes Kaufprogramm drastisch ausgeweitet, Billionen frisches, aus der Notenpresse stammendes Geld in das Währungssystem gepumpt und den Leitzins auf null gedrückt. 2,2 Billionen Euro – das sind gigantische 2200 Milliarden! – haben die in Frankfurt residierenden Währungshüter bisher in den Ankauf von Staatsanleihen gesteckt; zur Stunde werden monatlich 60 Milliarden aufgewendet.
Kenner der Materie vermuten, dass die EZB frühestens Ende nächsten Jahres einen sanften Ausstieg aus ihrer Nullzins-Politik in Angriff nimmt. Bis dahin hält Draghi, wie er eben erst bei der Nobelpreisträger-Tagung in Lindau klarmachte, an seinem Kurs fest. Der Mann ist überzeugt davon, das einzig Richtige zu tun – und es gibt niemanden, der ihm und seiner satten Mehrheit im EZB-Rat in den Arm fallen könnte. Keine Regierung, keine Bundeskanzlerin, kein Parlament. Die EZB ist, speziell auf Wunsch der Deutschen, nach dem Vorbild der Bundesbank konstruiert worden und unterliegt keinen Weisungen der Politik.
Draghi dreht unter dem Applaus seiner italienischen und südeuro- päischen Verbündeten ein großes Rad, ohne irgendeiner demokratischen Kontrolle zu unterliegen. Diese Unabhängigkeit war so gewollt, damit sich die EZB frei von politischen Direktiven um die Geldwertstabilität kümmern kann. Sie sollte ausdrücklich keine Wirtschaftsund Finanzpolitik machen und schon gar nicht – das ist auch im Maastricht-Vertrag verankert – Staatsfinanzierung betreiben. Es entbehrt nicht einer gewissen historischen Ironie, dass nun ausgerechnet die Deutschen zusehen müssen, wie die EZB als Instrument der Politik benutzt wird und die alten Grundsätze der Bundesbank nichts mehr gelten. Die meisten Länder der Euro-Zone haben an Draghis Strategie nichts auszusetzen, hält er damit doch Staaten und Banken finanziell über Wasser. Nur in Deutschland, dem Land der Sparer und einer auf möglichst stabile Staatsfinanzen ausgerichteten Politik, stößt die EZB auf anhaltend starken Widerstand – was Mario Draghi allerdings, wie er soeben in Lindau durchblicken ließ, nicht sonderlich beeindruckt. Seine Botschaft lautete: Ungewöhnliche Krisen (und die Euro-Krise ist bei weitem nicht ausgestanden) erfordern ungewöhnliche Maßnahmen – Verträge hin oder her.
Es blieb offen, wann Draghi die Zügel wieder etwas anziehen und die „verrückte Situation“(Wolfgang Schäuble), dass Geld keinen Preis mehr hat und der Zins als Marktsteuerungsinstrument ausfällt, verändern will. So oder so wird es eine schwierige Operation, weil viele Staaten (darunter das große Italien) am Tropf der EZB hängen und bei einem Anstieg der Zinsen umgehend in Probleme geraten würden. Denn die Zeit, die Draghi mit dem Ankauf von Schuldtiteln für Reformen und eine gründliche Sanierung des Bankensektors kaufen wollte, wurde ja nicht wirklich genutzt. Deshalb bleibt auch das Wachstum der Wirtschaft, das die EZB mit dem Gelddrucken ankurbeln wollte, weit hinter den Erwartungen zurück. Hinzu kommt, dass alle Anläufe zu einer Reform der Währungsunion und einer Koordination der nationalen Wirtschaftsund Finanzpolitiken im Sande verlaufen sind. Man sieht nicht, wie sich der „deutsche“Euro-Block und der südeuropäische „Club Med“angesichts ihrer sehr unerschiedlichen Schuldenphilosophien auf ein neues, auch wirklich verbindliches und eingehaltenes Regelwerk verständigen könnten.
Draghis Rechnung ist insofern aufgegangen, als der Euro den