Arbeitstempo setzt Deutschen zu
Zwar haben zur Zeit so viele Menschen eine Stelle wie nie, aber zufrieden sind sie trotzdem nicht. Stress, Arbeitszeiten und Befristungen setzen sie unter Druck
Berlin Auf den ersten Blick läuft es am deutschen Arbeitsmarkt wie geschmiert: Die Erwerbstätigenquote erreichte im Juli 2017 mit 44,2 Millionen Menschen einen neuen Höchststand; die Arbeitslosenquote wiederum ist die zweitniedrigste in Europa. Nur in Tschechien ist der Anteil der Erwerbslosen noch geringer. Jubelstimmung also bei den Beschäftigten? Wohl kaum. Viele Überstunden, ein hohes Arbeitstempo und eine zunehmende Zahl an befristeten Verträgen belasten die Arbeitnehmer erheblich, zeigt ein neuer Bericht des Statistischen Bundesamts. „Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie Ihre Arbeit gerne machen, würden Sie sicherlich nicht nur an Ihr Geld denken“, sagt Georg Thiel, Vizepräsident des Statistischen Bundesamts. Der Bericht zur „Qualität der Arbeit“nimmt deshalb auch Faktoren wie Arbeitszeit, Qualifikationen, Zusammenarbeit und Motivation in den Blick. Dabei fällt zunächst auf: Bei vielen dieser Punkte hat sich kaum etwas geändert.
Etwa bei der Arbeitszeit: 41,3 Stunden arbeitete ein Vollzeitbeschäftigter im vergangenen Jahr in Deutschland pro Woche – ähnlich viel wie vor 25 Jahren, schreiben die Statistiker. Das gilt auch für die überlange Arbeitszeit. Rund elf Prozent der Beschäftigten arbeiteten dem Bericht zufolge 2016 mehr als 48 Stunden in der Woche. Zwar schwankt diese Zahl immer wieder, Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkschaftsbund sieht darin dennoch ein Problem. „Überlange Arbeitszeiten sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagt er. „Das Problem ist vor allem, dass mehr als die Hälfte aller Beschäftigten teilweise deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet und damit länger als vertraglich vereinbart.“961 Millionen Überstunden seien so im vergangenen Jahr zusammengekommen. Und klar sei: „Wer länger arbeitet, hat auch mehr Stress.“Das zeigen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamts.
Termindruck und ein hohes Arbeitstempo belasten rund 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Das Problem ist dem Bundesamt zufolge unabhängig von Stellung und Branche: Angestellte in der Anlagen- und Maschinenbedienung leiden ähnlich stark unter einer zu hohen Termindichte wie Handwerker. Arbeitgeber erklären das vor allem mit der guten Auftragslage. Fachkräftemangel und eine starke Nachfrage führen demnach automatisch zu einer höheren Arbeitsintensität.
Die Auswertung zeigt zudem, dass der Anteil der befristet Beschäftigten in Deutschland 2016 knapp unter dem EU-Durchschnitt lag. 8,5 Prozent der Erwerbstätigen hätten einen befristeten Arbeitsvertrag, schreibt das Statistische Bundesamt – EU weit sind es 11,3 Prozent. In den vergangenen zehn Jahren sei ihre Zahl von 2,4 auf 2,8 Millionen geklettert. „Allerdings hat auch die Gesamtzahl der Erwerbstätigen zugenommen, sodass in diesem Zeitraum die Befristungsquote relativ konstant blieb“, heißt es. Gleichzeitig lässt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke herauslesen, dass gerade bei Neueinstellungen die Befristungsquote sehr hoch liegt. 3,4 Millionen Neueinstellungen gab es im vergangenen Jahr. 45 Prozent waren befristet. Waren 2015 noch vor allem jüngere Beschäftigte betroffen, ist 2016 die Quote in allen Altersgruppen gestiegen. 2015 wurden etwa noch 38 Prozent der 30- bis 39-Jährigen befristet angestellt, 2016 waren es 49 Prozent. Bei den über 50-Jährigen wurden 41 Prozent befristet eingestellt; 2015 waren es 39 Prozent.