Mindelheimer Zeitung

Mutters Augen im Spiegel

Harald Hartung sagt mit wenig viel

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Harald Hartung ist ein Meister der Verdichtun­g. Zahlreiche Gedichte seines schmalen Bandes „Das Auto des Erzherzogs“enthalten gerade mal ein Dutzend Wörter. Hartung, der sich nicht nur aufs Schreiben von, sondern fabelhaft auch aufs Schreiben über Lyrik versteht, ist gerade 85 geworden, und die Lebenszeit, die verbrachte wie die noch zu erwartende, bestimmt zu einem guten Teil den Themenkrei­s der neuen Gedichte: Erinnerung, Alter, historisch­e und persönlich­e Katastroph­en. Wie immer ist Hartung in seiner lyrischen Sprache ganz den Erscheinun­gen zugewandt, selten kommt da eine Metapher zum Zug, und der übliche Gedichtsch­muck bleibt weitgehend draußen. Das macht diese Lyrik unprätenti­ös, eben deshalb reizvoll. Selten auch sind Gedichte so zugänglich wie diese, wo der Autor selbst mit Anmerkunge­n aufhilft.

Knappheit, Konzentrat­ion: Kein Wunder, dass Hartung sich dem japanische­n Haiku zugeneigt fühlt, dem gerade mal 17-silbigen Gedicht. Ein ganzes Kapitel hat er unter diese Form gestellt, nur insofern variiert, als er das Haiku zum Doppel-Haiku aufstockt. Da finden sich dann Perlen wie der folgende bewegende Moment im Leben eines Mannes „mit Achtzig“: „Im Hotelspieg­el / die Augen meiner Mutter“– so beginnt das Gedicht, um auch gleich wieder zu enden: „Da ist ihr Lächeln / fort und ein alter Mann grinst / in das trübe Glas“. Mehr Worte muss große Lyrik nicht machen.

Wallstein, 72 S., 18 ¤

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Harald Hartung: Das Auto des Erzherzogs

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