Grüne Gruppentherapie
Wie die Partei versucht, die gescheiterten Sondierungsgespräche zu verdauen. Und welche Rolle dabei Hanfpflanzen, Schmetterlinge und der Dalai Lama spielen
Berlin Trost suchen die Grünen jetzt beim Dalai Lama. „Denke daran, dass etwas, was du nicht bekommst, manchmal eine wunderbare Fügung des Schicksals sein kann.“Ob das Sprüchlein des Oberhaupts der tibetischen Buddhisten, mit dem die Berliner Delegierte Catrin Wahlen ihre Parteifreunde begrüßt, diesen jetzt wirklich weiterhilft? In der Arena in Berlin-Treptow, einem ehemaligen Omnibus-Depot aus Backstein und Stahl, herrscht eine seltsam gemischte Stimmung: In Wehmut und Trotz mischt sich demonstrative Zuversicht.
Es ist ein denkwürdiger GrünenParteitag. Der stattfindet, obwohl sein eigentlicher Zweck weggefallen ist, als die FDP die Jamaika-Sondierungen platzen ließ. Der Traum von der Beteiligung an der Regierung ist ausgeträumt. Was die Grünen jetzt nicht bekommen, ist schon eine ganze Menge. Und ob sich das irgendwann als wunderbare Fügung des Schicksals erweisen wird, daran gibt es in der Öko-Partei große Zweifel.
Geplant war ursprünglich, dass beim Parteitag zunächst das grüne Verhandlungsteam die Ergebnisse des vierwöchigen Ringens mit Union und FDP präsentiert. Darüber wäre dann sicher erbittert gestritten worden zwischen dem Realo- und dem Fundi-Flügel. Vor allem über den Kompromiss in der Flüchtlingspolitik, ohne den es wohl nicht gegangen wäre. Am Ende hätte sich wohl doch eine Mehrheit der Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. Zu all dem aber kommt es nicht, stattdessen sind grüne Gruppentherapie, Selbstvergewisserung und Sinnstiftung angesagt.
Zu den eine Woche zuvor geplatzten Gesprächen mit Union und FDP sagt Parteichef Cem Özdemir: „Wir haben uns der Verantwortung gestellt, obwohl klar war, dass der Weg nach Jamaika für die Grünen der weiteste ist.“Kompromisse seien eine „demokratische Tugend“, und FDP-Chef Christian Lindner fehle es „offensichtlich an Demut für Aufgaben, die größer sind als er selbst“. Özdemir bekennt sich zur staatspolitischen Verantwortung: „Für uns kommt zuerst das Land und dann die Partei.“
Grund, die Jamaika-Sondierungen zu verklären, gebe es aber nicht, sagt Özdemir. Statt manchen Mitsondierer hätte er auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft lieber eine Hanfpflanze stehen gehabt. Doch die grüne Delegation habe hart verhandelt, ohne die großen Linien der Partei aufzugeben. Claudia Roth etwa habe um jede Zeile gerungen. Das Ergebnis, so Özdemir, „hätte sich gelohnt für diese Republik“. Im Raum gestanden sei etwa das Angebot, sieben Gigawatt Braunkohle-Strom einzusparen, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben und ein Tierwohlkennzeichen für Nahrungsmittel einzuführen. Ebenso wäre eine Einschränkung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und kostenfreies Mittagessen für alle Schulkinder möglich gewesen, so der Parteivorsitzende. „All das hätten wir haben können“– hätte nicht die FDP die Gespräche beendet.
Für Özdemir steht fest: „Der Ausstieg der FDP war nicht inhaltlich, der war taktisch begründet, da beißt die Maus keinen Faden ab.“Dem „weltoffenen Teil“der FDP mache er deshalb ein Angebot: „Die liberale Partei Deutschlands sind die Grünen.“Egal, was jetzt komme, die Grünen seien „weiterhin bereit, Verantwortung zu übernehmen“. Der Parteitag fasst später den Beschluss, eine grüne Beteiligung an einer Minderheitsregierung nicht auszuschließen. Auch der ParteiLinke Toni Hofreiter spart nicht mit Kritik an der FDP, die „panisch vor der Verantwortung davongelaufen“sei, „sich nur für Steuersenkungen interessiert und dann noch die CSU rechts überholt“habe. Eine kämpferische Claudia Roth sieht ihre Partei gestärkt aus den Sondierungen hervorgehen, „weil wir in aller unserer Vielfalt enger zusammengerückt sind.“
Dass den Grünen nun vermutlich vier weitere Jahre auf der Oppositionsbank drohen, scheint das Spitzenpersonal kaum zu bekümmern. Als einer von wenigen lässt BadenWürttembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewisse Sorgen erkennen: „Ob Große Koalition, Minderheitsregierung oder Neuwahlen: Nichts davon ist besser, als wenn Jamaika zustande gekommen wäre.“
Inhaltlich, so fordert zumindest Spitzenkandidatin Katrin GöringEckardt, sollte sich die Ökopartei in diesen unsicheren Zeiten auf ihr Kernthema Umweltschutz besinnen: „Wir wollen, dass in den kommenden vier Jahren jede Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen.“Das würde ihr sicher auch der Dalai Lama zustimmen.
Die Partei trauert der verpassten Chance nach