Patient Allgemeinarzt
Schon jetzt gibt es im Unterallgäu zu wenig Hausärzte und die Situation wird sich weiter zuspitzen. Fünf Allgemeinärzte sprechen über die Gründe dafür – und darüber, was die Notlage lindern könnte
Unterallgäu Glaubt man den Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, gibt es im Unterallgäu mehr als genug Ärzte: Im Versorgungsraum Mindelheim sind es 24, das entspricht einem Versorgungsgrad von 105,6 Prozent, im etwas kleineren Versorgungsraum Bad Wörishofen liegt dieser mit 23 Ärzten sogar bei 113,6 Prozent. Doch die Realität – das wissen Dr. Ulrich Klus aus Kammlach, Dr. Helmut Vosdellen aus Dirlewang und ihre Mindelheimer Kollegen Dr. Manfred Möllinger, Dr. Sigrid Horn und Dr. Stefanie Schnackenburg aus der täglichen Praxis – sieht anders aus: Statt einer Überversorgung sehen sie einen Ärztemangel, der sich in den kommenden Jahren weiter zuspitzen wird.
Tatsächlich ist der Landkreis auf einer Karte, die anzeigt, wie gut eine Region mit Ärzten versorgt ist, schon jetzt rot eingefärbt: Im Raum Mindelheim kommen 1563,2 Patienten auf einen Arzt, in Bad Wörishofen sind es 1310,4 – in den Augen von Vosdellen und seiner Kollegen deutlich zu viel. Sie rechnen jedoch damit, dass sie sich künftig um noch mehr Patienten werden kümmern müssen: Die Zahl der Älteren und der Schwerstkranken nimmt schließlich auch im Unterallgäu immer weiter zu. Während etwa Krebspatienten bis vor wenigen Jahren im Krankenhaus behandelt wurden, übernehmen heute in vielen Fällen die Hausärzte die Betreuung. Hinzu kommt, dass die Leute –
Die Ärzteversorgung
● Zum Versorgungsraum Mindelheim gehören neben der Stadt selbst die Gemeinden Apfeltrach, Breitenbrunn, Dirlewang, Eppishausen, Kirch heim, Markt Wald, Oberrieden, Pfaf fenhausen, Salgen, Stetten, Tus senhausen und Unteregg. In Mindel heim gibt es laut Kassenärztlicher Vereinigung 13 Ärzte, in Dirlewang zwei, in Kirchheim drei, in Markt Wald einen, in Pfaffenhausen vier und in Tussenhausen einen. Das Durch schnittsalter liegt bei 57,6 Jahren und damit leicht über dem bayernweiten das ist zumindest die Erfahrung der fünf Ärzte – unsicherer werden, deshalb schneller in die Praxis kommen als früher und insgesamt anspruchsvoller sind. „Die Leute stehen einfach bei mir vor der Tür. Wir akzeptieren das, die Jungen nicht mehr“, sagt Vosdellen.
Einige der Ärzte, die die Kassenärztliche Vereinigung aufführt, behandeln außerdem nur Privatpatienten, stehen also nicht allen Bürgern zur Verfügung. Das größte Problem jedoch ist das Alter der Ärzte selbst: Im Raum Mindelheim sind mehr als die Hälfte von ihnen, nämlich 54,2 Prozent, bereits 60 Jahre oder älter – und keine Nachfolger in Sicht.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Da ist die Politik, die nach Ansicht von Möllinger „alles gemacht hat, um den Beruf unattraktiv zu machen“. Die Allgemeinärzte seien heute Befehlsempfänger der Krankenkassen und ihre Kompetenzen immer weiter eingeschränkt worden. Wer Palliativmedizin anbieten will, muss beispielsweise zwei Wochen auf einer Palliativstation hospitieren – auch wenn er zuvor schon jahrelang Todkranke begleitet hat. „Ich bin seit 29 Jahren niedergelassen. Das ist ein Witz“, sagt Klus.
Da ist außerdem das Image, das in Schnitt von 54,9 Jahren. 54,2 Prozent der Ärzte sind 60 Jahre und älter.
● Der Versorgungsraum Bad Wöris hofen umfasst neben der Kneipp stadt die Gemeinden Amberg, Ettrin gen, Rammingen, Türkheim und Wiedergeltingen. In Bad Wörishofen praktizieren 13 Ärzte, in Ettringen zwei und in Türkheim fünf. Im Durch schnitt sind sie 53,1 Jahre alt, 34,8 Prozent von ihnen sind über 60 Jahre.
● Im übrigen Unterallgäu sieht es nicht besser aus: Auch in den Ver sorgungsgebieten Memmingen Süd den vergangenen Jahren gelitten hat. Es fehle an Wertschätzung – auch weil vielen nicht klar sei, dass auch Hausärzte Fachärzte sind, nämlich Fachärzte für Allgemeinmedizin. „Wir sind allumfassend ausgebildet“, so Klus. Trotzdem arbeiten junge Mediziner heute nach ihrer Zulassung zwar bei Spezialisten, bisher aber nicht verpflichtend in einer Hausarztpraxis. Dabei könnte so ein Einblick den Mangel an Allgemeinärzten durchaus mildern, glaubt Schnackenburg: „Da würden viele hängenbleiben, weil’s einfach Freude macht.“
Da sind die Zulassungsbeschränkungen fürs Medizinstudium, die manchen abschrecken, der nicht den erforderlichen Notendurchschnitt hat, aber trotzdem ein hervorragender Arzt wäre, sagt Vosdellen. Da sind die Angebote aus der Pharmaindustrie und aus Nachbarländern wie der Schweiz und Skandinavien, die mit höherem Verdienst und besseren Rahmenbedingungen locken.
Vor allem aber sind da die Gegebenheiten vor Ort: „So 60 Stunden pro Woche schaffen wir alle“, schätzt Klus. Kein Wunder, dass Schnackenburgs Sohn sagt: „So wie du, 14, 16 Stunden am Tag, das mach ich nicht.“Auch Horn glaubt, dass der Zeitaufwand, der sich aus der Behandlung der Patienten, Hausbesuchen, Bereitschaftsdiensten und einer stetig zunehmenden Bürokratie ergibt, das „Hauptabschreckungsmerkmal“ist. Früher sei die sogenannte Work-Life-Balance, also das Verhältnis zwischen und Nord kommen mehr als 1400 Einwohner auf einen Arzt.
● Laut dem bayerischen Hausärzte präsident Dieter Geis schließt im Schnitt in Bayern jede Woche eine Hausarztpraxis. Er geht davon aus, dass es künftig Hausarztzentren geben wird, die mehrere Orte im Umkreis von zehn Kilometern versorgen.
● Um dem Ärztemangel entgegenzu wirken, müsste schnell etwas pas sieren. Denn vom Studium bis zur Facharztprüfung vergehen laut Geis mindestens elf Jahre. (baus) Arbeit und Freizeit, kein Thema gewesen, doch heute ist sie es durchaus. „Die Generation vorher war fleißiger, leidensfähiger und belastbarer“, glaubt Vosdellen und auch Schnackenburg sagt: „Die Lebensentwürfe haben sich geändert.“Die jungen Mediziner wünschen sich geregelte Arbeitszeiten und Zeit für die Familie – und sehen nicht, wie sie das als Einzelkämpfer in einer Praxis mit ihrer Arbeit in Einklang bringen könnten.
Der bayerische Hausärztepräsident Dieter Geis geht davon aus, dass zwei Ärzte, die in den Ruhestand gehen, drei Nachfolger brauchen, die sich die Arbeit in einer Gemeinschaftspraxis teilen. Das liegt auch daran, dass aufgrund der besseren Noten viele der Nachwuchsärzte Frauen sind, die – wenn sie einmal Familie haben – anschließend häufig Teilzeit arbeiten wollen. Möchte eine Gemeinde ihren Arztsitz halten, rät Vosdellen deshalb zu einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ). Die Aussicht, dort als Angestellter nach einem festen Dienstplan arbeiten zu können, sei für die jungen Mediziner ein größerer Anreiz als Geld oder ein günstiger Bauplatz, mit dem manche Gemeinden in der Vergangenheit um sie geworben haben. „Der Zug ist abgefahren, dass die Leute allein eine Praxis machen, wie wir das gemacht haben“, glaubt er.
Er und seine Kollegen wollen nicht jammern. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass sie ihren Beruf nicht als Job, sondern als Berufung verstehen und ihn – allen Widrigkeiten zum Trotz – wirklich gerne ausüben. „Das ist einer der schönsten Berufe überhaupt“, sagt Vosdellen und Klus ergänzt: „Es wird nie langweilig, man lernt immer dazu. Es ist einfach erfüllend.“Deshalb wollen sie junge Kollegen ermutigen, Allgemeinarzt zu werden.
Unterstützung erhoffen sie sich von der Politik, die mehr Studienplätze schaffen, die Zugangsvoraussetzungen ändern und auch deutlich machen sollte, was ihr die hausärztliche Versorgung wert ist. Derzeit sind 60 Prozent der zugelassenen Ärzte Spezialisten und die übrigen 40 Prozent Allgemeinmediziner. Ginge es nach den fünf Ärzten und etlichen Kollegen, sollte es umgekehrt sein. Sie sind sich sicher, dass sich etwas ändern muss. Andernfalls müssten sich die Patienten darauf einstellen, dass die Betreuung leidet und sie weitere Wege sowie längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Die Zeit drängt: „In Mindelheim fängt es schon an zu brennen. Das wird heftig“, sagt Möllinger. Er behandelt schon jetzt Patienten aus Memmingen, die dort nirgends mehr aufgenommen wurden. Vielleicht gibt es deshalb bald häufiger Anzeigen wie diese: „Mein langjähriger Arzt ist verstorben. Ich suche deshalb auf diesem Weg einen Arzt.
„Da würden viele hängenbleiben, weil’s einfach Freude macht.“Dr. Stefanie Schnackenburg
„In Mindelheim fängt es schon an zu brennen. Das wird heftig.“Dr. Manfred Möllinger