Union und SPD steuern auf Koalition zu
Nach einer turbulenten Nachtsitzung steht die Blaupause für ein neues Bündnis. Die Zuwanderung soll begrenzt werden, der Soli sinken und das Kindergeld steigen. Nun ist die sozialdemokratische Basis am Zug
Augsburg/Berlin Höhere Renten für Mütter und Geringverdiener, niedrigere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, mehr Kindergeld, weniger Solidaritätszuschlag, 15000 zusätzliche Polizisten und eine Begrenzung der Zuwanderung auf 220 000 Flüchtlinge im Jahr: Die Blaupause für eine Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit, auf die Union und SPD sich nach einer turbulenten Nachtsitzung geeinigt haben, ist 28 Seiten lang – und liest sich schon wie ein Koalitionsvertrag. Ob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch die nächsten Jahre mit einer Großen Koalition regieren kann, ist allerdings noch nicht ausgemacht. In der SPD regt sich noch Widerstand gegen die Übereinkunft. Formelle Koalitionsverhandlungen darf Parteichef Martin Schulz erst führen, wenn der Parteitag am nächsten Wochenende zugestimmt hat.
So zufrieden wie Schulz, der das Ergebnis der Sondierung für „hervorragend“hält und das unter anderem mit hohen Investitionen in die Bildung und die Infrastruktur be- gründet, sind allerdings längst nicht alle Sozialdemokraten, nachdem ihre Unterhändler weder eine Bürgerversicherung noch einen höheren Spitzensteuersatz durchgesetzt haben. Juso-Chef Kevin Kühnert kritisiert überdies den Kompromiss zur Flüchtlingspolitik: „Hier steht eine Obergrenze drin.“Auch die strikte Begrenzung des Familiennachzuges sei „weit von dem entfernt, was die SPD festgelegt hat“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht dagegen von einem „Papier des Gebens und Nehmens“. Entwicklungsminister Gerd Müller, der für die CSU mit verhandelt hat, würdigt im Gespräch mit unserer Zeitung vor allem die Kompromissbereitschaft der SPD in der Asylpolitik: „Da haben wir uns durchgesetzt.“Am Ende profitierten allerdings auch die Sozialdemokraten davon, wenn Deutschland wieder eine stabile Regierung bekomme. Sollte die SPD sich gegen eine Koalition aussprechen, so Müller weiter, müsse sie auch die Folgen bedenken: „Dann müssen sie bei einer vorgezogenen Neuwahl den Wählern erklären, warum sie aus der Verantwortung geflohen sind.“
Grüne und Linke kritisieren vor allem die geplanten Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung (siehe Kasten). „Ohne uns greift die Unmenschlichkeit in der Flüchtlingspolitik weiter um sich“, sagt die Vizepräsidentin des Bundestags, Claudia Roth. In der Sondierung habe sich am Ende die CSU mit ihrer Politik der „Kasernierung von Schutzsuchenden“durchgesetzt.
Unter anderem haben sich Union und SPD darauf geeinigt, den Solidaritätszuschlag für kleine und mittlere Einkommen abzuschaffen und das Kindergeld vom 1. Juli 2019 an in zwei Schritten um insgesamt 25 Euro pro Kind und Monat zu erhöhen. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sollen wieder je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden. Wer mindestens 35 Jahre Beiträge gezahlt hat und trotzdem nur eine Rente auf Sozialhilfeniveau erwarten kann, soll künftig eine sogenannte Grundrente erhalten, die um 10 Prozent über der sogenannten Grundsicherung liegt.
Kommentar Die Rente – auch diesmal ein Politikum
Leitartikel Walter Roller über das Ergebnis der Sondierungsgespräche
Politik Was Union und SPD im Detail vereinbart haben – und was die Nacht der Entscheidung den Unterhändlern alles abverlangt hat