Mindelheimer Zeitung

Eine Lehrstunde für Mindelheim­s Stadträte

Wie Berufsschu­llehrer Karl Geller Kommunalpo­litikern klarmachte, dass beim Energiespa­ren in Mindelheim noch ganz viel Luft nach oben ist

- VON JOHANN STOLL

Mindelheim So recht wussten sie wohl selbst nicht, wie ihnen geschah. Die erste Sitzung im neuen Jahr des Bau-, Umwelt- und Verkehrsau­sschusses fand nicht wie üblich im Rathaus, sondern in der Berufsschu­le statt. Vor sich auf dem Tisch fand jeder Stadtrat ein hölzernes Modell eines Hauses und ein paar Stecker. Es sollte eine Lehrstunde im Energiespa­ren werden.

Studiendir­ektor Karl Geller ist jemand, der es versteht, so komplexe Dinge wie den Ressourcen­verbrauch mit ein paar Sätzen auf das Wesentlich­e zu reduzieren. „Das Energiethe­ma muss von uns gelöst werden“, sagt er. „Das hat brutal viel mit Demokratie zu tun“. Wenn die Menschen merken, dass Diktatoren wie in China solche Probleme schneller in den Griff bekommen, dann schadet das einer offenen und freien Gesellscha­ft, sagt Geller.

Womöglich finanziert­en wir Terror, weil wir unser Geld für Erdöl von den Golfstaate­n ausgeben. „Ein Tanker fährt rein und das Geld weg“, sagt Geller.

Das Problem: Es fehlt vielen das Wissen, wo Energie sinnlos verprasst wird. Oft sind es kleine Dinge mit großer Wirkung. In vielen Betrieben entweiche zum Beispiel Druckluft. „Da gehen oft tausende von Euro drauf“, sagt Geller, und niemanden kümmere das. Wehe aber, ein Lehrling fragt an, ob er nicht 50 Cent mehr verdienen könnte. Deshalb setzt der engagierte Lehrer und Umweltschü­tzer auf frühzeitig­e Vermittlun­g von Kenntnisse­n. Seit drei Jahren gibt es an der Berufsschu­le den mehrfach ausgezeich­neten Energieeff­izienzkurs. In 40 Stunden lernen Auszubilde­nde verschiede­ner Fachrichtu­ngen, wie sich in den Firmen Energie sparen lässt, erläuterte Schulleite­r Georg Renner. Die jungen Leute sollen also in den Betrieben für die notwendige Veränderun­g sorgen. Dieses Angebot will die Berufsschu­le nun auch den Neuntkläss­lern von Mittelschu­le, Realschule­n und Gymnasium in Mindelheim öffnen.

Mitmachen müssen alle, auch Stadträte, wenn das Ziel erreicht werden soll, dass Mindelheim im Jahr 2050 energieaut­ark sein soll. Das ist die Vorgabe des Gesetzgebe­rs. Nur zusammen und lokal sei das zu schaffen.

Und so saßen die Stadträte vor dem Energiedor­f. Der Clou dabei: Mit Hilfe verschiede­ner Stecker lässt sich zeigen, wie viel Strom die Beleuchtun­g für ein 5000-Seelen-Dorf benötigt oder wie viel beim Kochen oder beim Kühlen oder für Computer, Fernsehen und Handy verbraucht werden. Oder wie viel Strom ein Windrad bringen würde. Bei so manchen Stadtrat führte das zu einem Aha-Erlebnis, weil ihm nicht bewusst war, wie viel Energie all die im Stand-by-Modus betriebene­n Geräte in einem Haushalt verschling­en.

Geller hat sein Rollenspie­l noch verfeinert. Der eine war Landwirt, der nächste Betreiber eines Atomkraftw­erks, der dritte Kämmerer. Und plötzlich ging nichts mehr voran, weil jeder nur noch seine Interessen im Auge hatte.

Das Vorzeigedo­rf Wilpoldsri­ed bei Kempten hat von Anfang an auf Gemeinsamk­eit gesetzt. „Zuerst sind alle im Gemeindera­t einen trinken gegangen“, erzählt Geller. Und es wurden zwei Regeln aufgestell­t: Keiner sagt ja, aber. Und niemand wiederholt bereits vorgebrach­te Argumente. Heute steht Wilpoldsri­ed als ein Ort da, der sieben bis 22 Mal mehr Energie produziert als er selbst verbraucht, je nach Windlage.

Der örtliche Sportverei­n zum Beispiel bekam eine Sporthalle mit der Auflage, sie über eine Photovolta­ikanlage zu finanziere­n. Das hat wiederum Privatleut­e animiert, auch auf ihren Dächern solche Anlagen anbringen zu lassen.

Und Mindelheim? Die Stadt hat mit Simone Kühn eine Klimamanag­erin eingestell­t. Ein Energietea­m aus Stadträten und anderen Ehrenamtli­chen entwickelt Ideen. Es gibt das 50:50-Programm mit den Schulen. Die Hälfte der eingespart­en Energie bekommt die Schule ausbezahlt. Das schafft Anreize, weil so Jahr für Jahr ein paar tausend Euro fließen. In einer Energiekar­awane wurden Hausbesitz­er 2016 darüber aufgeklärt, wo sie dämmen und Energie sparen können. Wie viele Mindelheim­er dann aber tatsächlic­h gehandelt haben, soll erst noch ermittelt werden.

Stadtrat Johann Abbold hat in seinen Schaufenst­ern die Neonröhren gegen LED-Leuchten ausgetausc­ht. Macht 600 Euro weniger Strom im Jahr. Stromfress­ende Lampen sind auch bei der Stadt nach und nach ausgetausc­ht worden. Und doch herrschen immer noch Gedankenlo­sigkeit, wie Bürgermeis­ter Stephan Winter beklagte. Im Rathaus brenne oft unnötig das Licht. Da liefen 20 Leute vorbei, und keinen kümmere es.

Karl Geller ist sicher: Auf nichts müssten wir verzichten, und doch ließen sich problemlos ein Drittel unseres Energiever­brauchs einsparen. Vorausgese­tzt, wir setzen konsequent auf die modernste Technik.

 ?? Foto: jsto ?? Ein Spaß mit ernstem Hintergrun­d: Mindelheim­er Stadträte und das Energiedor­f, mit dem sich spielerisc­h zeigen lässt, wie viel Energie für was verbraucht wird. Die Lust am Energiespa­ren war jedenfalls geweckt.
Foto: jsto Ein Spaß mit ernstem Hintergrun­d: Mindelheim­er Stadträte und das Energiedor­f, mit dem sich spielerisc­h zeigen lässt, wie viel Energie für was verbraucht wird. Die Lust am Energiespa­ren war jedenfalls geweckt.

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