Eine Lehrstunde für Mindelheims Stadträte
Wie Berufsschullehrer Karl Geller Kommunalpolitikern klarmachte, dass beim Energiesparen in Mindelheim noch ganz viel Luft nach oben ist
Mindelheim So recht wussten sie wohl selbst nicht, wie ihnen geschah. Die erste Sitzung im neuen Jahr des Bau-, Umwelt- und Verkehrsausschusses fand nicht wie üblich im Rathaus, sondern in der Berufsschule statt. Vor sich auf dem Tisch fand jeder Stadtrat ein hölzernes Modell eines Hauses und ein paar Stecker. Es sollte eine Lehrstunde im Energiesparen werden.
Studiendirektor Karl Geller ist jemand, der es versteht, so komplexe Dinge wie den Ressourcenverbrauch mit ein paar Sätzen auf das Wesentliche zu reduzieren. „Das Energiethema muss von uns gelöst werden“, sagt er. „Das hat brutal viel mit Demokratie zu tun“. Wenn die Menschen merken, dass Diktatoren wie in China solche Probleme schneller in den Griff bekommen, dann schadet das einer offenen und freien Gesellschaft, sagt Geller.
Womöglich finanzierten wir Terror, weil wir unser Geld für Erdöl von den Golfstaaten ausgeben. „Ein Tanker fährt rein und das Geld weg“, sagt Geller.
Das Problem: Es fehlt vielen das Wissen, wo Energie sinnlos verprasst wird. Oft sind es kleine Dinge mit großer Wirkung. In vielen Betrieben entweiche zum Beispiel Druckluft. „Da gehen oft tausende von Euro drauf“, sagt Geller, und niemanden kümmere das. Wehe aber, ein Lehrling fragt an, ob er nicht 50 Cent mehr verdienen könnte. Deshalb setzt der engagierte Lehrer und Umweltschützer auf frühzeitige Vermittlung von Kenntnissen. Seit drei Jahren gibt es an der Berufsschule den mehrfach ausgezeichneten Energieeffizienzkurs. In 40 Stunden lernen Auszubildende verschiedener Fachrichtungen, wie sich in den Firmen Energie sparen lässt, erläuterte Schulleiter Georg Renner. Die jungen Leute sollen also in den Betrieben für die notwendige Veränderung sorgen. Dieses Angebot will die Berufsschule nun auch den Neuntklässlern von Mittelschule, Realschulen und Gymnasium in Mindelheim öffnen.
Mitmachen müssen alle, auch Stadträte, wenn das Ziel erreicht werden soll, dass Mindelheim im Jahr 2050 energieautark sein soll. Das ist die Vorgabe des Gesetzgebers. Nur zusammen und lokal sei das zu schaffen.
Und so saßen die Stadträte vor dem Energiedorf. Der Clou dabei: Mit Hilfe verschiedener Stecker lässt sich zeigen, wie viel Strom die Beleuchtung für ein 5000-Seelen-Dorf benötigt oder wie viel beim Kochen oder beim Kühlen oder für Computer, Fernsehen und Handy verbraucht werden. Oder wie viel Strom ein Windrad bringen würde. Bei so manchen Stadtrat führte das zu einem Aha-Erlebnis, weil ihm nicht bewusst war, wie viel Energie all die im Stand-by-Modus betriebenen Geräte in einem Haushalt verschlingen.
Geller hat sein Rollenspiel noch verfeinert. Der eine war Landwirt, der nächste Betreiber eines Atomkraftwerks, der dritte Kämmerer. Und plötzlich ging nichts mehr voran, weil jeder nur noch seine Interessen im Auge hatte.
Das Vorzeigedorf Wilpoldsried bei Kempten hat von Anfang an auf Gemeinsamkeit gesetzt. „Zuerst sind alle im Gemeinderat einen trinken gegangen“, erzählt Geller. Und es wurden zwei Regeln aufgestellt: Keiner sagt ja, aber. Und niemand wiederholt bereits vorgebrachte Argumente. Heute steht Wilpoldsried als ein Ort da, der sieben bis 22 Mal mehr Energie produziert als er selbst verbraucht, je nach Windlage.
Der örtliche Sportverein zum Beispiel bekam eine Sporthalle mit der Auflage, sie über eine Photovoltaikanlage zu finanzieren. Das hat wiederum Privatleute animiert, auch auf ihren Dächern solche Anlagen anbringen zu lassen.
Und Mindelheim? Die Stadt hat mit Simone Kühn eine Klimamanagerin eingestellt. Ein Energieteam aus Stadträten und anderen Ehrenamtlichen entwickelt Ideen. Es gibt das 50:50-Programm mit den Schulen. Die Hälfte der eingesparten Energie bekommt die Schule ausbezahlt. Das schafft Anreize, weil so Jahr für Jahr ein paar tausend Euro fließen. In einer Energiekarawane wurden Hausbesitzer 2016 darüber aufgeklärt, wo sie dämmen und Energie sparen können. Wie viele Mindelheimer dann aber tatsächlich gehandelt haben, soll erst noch ermittelt werden.
Stadtrat Johann Abbold hat in seinen Schaufenstern die Neonröhren gegen LED-Leuchten ausgetauscht. Macht 600 Euro weniger Strom im Jahr. Stromfressende Lampen sind auch bei der Stadt nach und nach ausgetauscht worden. Und doch herrschen immer noch Gedankenlosigkeit, wie Bürgermeister Stephan Winter beklagte. Im Rathaus brenne oft unnötig das Licht. Da liefen 20 Leute vorbei, und keinen kümmere es.
Karl Geller ist sicher: Auf nichts müssten wir verzichten, und doch ließen sich problemlos ein Drittel unseres Energieverbrauchs einsparen. Vorausgesetzt, wir setzen konsequent auf die modernste Technik.