Mindelheimer Zeitung

Die Heimatstad­t neu entdeckt

Mitko Pertemov ist in Mindelheim geboren, verbringt seine Kindheit aber in Mazedonien. Dann bricht dort zu Beginn der 1990er Jahre der Bürgerkrie­g aus

- VON AXEL SCHMIDT

Mindelheim Was „Heimat“auf mazedonisc­h heißt? „Das weiß ich gar nicht“, sagt Mitko Pertemov. Er habe lange überlegt, aber keine 1:1-Übersetzun­g gefunden. „Das kann aber auch daran liegen, dass ich die Sprache nicht ganz so beherrsche“, sagt er und lacht.

Trotzdem hat der 42-jährige Mindelheim­er, der in Krumbach ein Dentallabo­r führt, eine Definition von Heimat: „Heimat ist da, wo man von lieben Menschen umgeben ist, wo man sich geborgen fühlt und auch dazugehört.“Was für manche klingt wie ein Kalendersp­ruch, ist für ihn eine echte Lebenserfa­hrung. Denn Mitko Pertemov hat im Prinzip zwei Heimaten in seinem Herzen. Geboren wurde der Mindelheim­er in der Frundsberg­stadt. Wie sein jüngerer Bruder auch.

Der fünfjährig­e Mitko besucht gerade den Kindergart­en, als sich für seine Eltern eine ungeahnte berufliche Perspektiv­e auftut. Beide sind zu der Zeit beim internatio­nal agierenden Textilunte­rnehmen Kunert tätig. Seit 1969 hat die Immenstädt­er Firma Kunert, die sich vor allem mit Strümpfen einen Namen machte, ein Zweigwerk in Mindelheim aufgebaut. Hier arbeiten die Pertemovs – bis sich Anfang der 1980er Jahre die Chance zum berufliche­n Weiterkomm­en bietet. Kunert verlagerte einen Teil der Fertigung ins Ausland, unter anderem nach Marokko. Nun teilt sich die Familie Pertemov auf: Vater und Mutter gehen nach Marokko, Mitko und Alexander sollen für ein paar Jahre zu den Großeltern nach Mazedonien. „Ich war fünf, als es zu Oma und Opa ging“, erinnert sich Mitko Pertemov. „Da war alles neu für uns: die Sprache, die Gegend. Auch Cousins und Verwandte. Man hat sie zwar gekannt, aber im Prinzip waren es Fremde für uns“, sagt er.

Und doch sollte es die „beste Kindheit werden, die man sich nur wünschen kann“, sagt Pertemov, seit drei Jahren selbst Familienva­ter. „Es war traumhaft.“Alles war ein Stück weit freier und ungezwunge­ner, alle waren gleich und hatten genauso viel oder wenig wie der andere. „Und das Wenige, das wir hatten, haben wir oft selbst gemacht. Manchmal bin ich mir vorgekomme­n wie bei Tom Saywer und Huckelberr­y Finn.“Was auch damit zusammenhi­ng, dass Opa und Oma als Elternersa­tz zwar Respektspe­rsonen, aber eben auch die etwas nachsichti­geren Großeltern waren. „Ich würde meinem Kleinen eine solche Kindheit gerne anbieten“, sagt Pertemov. „Doch das geht leider nicht.“

Acht Jahre währte diese Idylle im Südosten Europas. Dann begann es auf dem Balkan zu rumoren – und 1991 sollten schließlic­h die Jugoslawie­nkriege zwischen den einzelnen Bevölkerun­gsgruppen ausbrechen. Zu diesem Zeitpunkt waren Mitko und sein drei Jahre jüngerer Bruder bereits in Sicherheit. Seine Eltern, die zwischenze­itlich auch mitgeholfe­n hatten, das Kunertwerk in Portugal aufzubauen, hatten das Auslandsab­enteuer beendet und die beiden Buben wieder nach Mindelheim geholt. „Wir haben dann in der Kaufbeurer Straße gewohnt“, erzählt Pertemov. Die Stadt war ihm noch bekannt, doch an die Freunde aus Kindergart­entagen gab es keine Erinnerung­en mehr. Außer an ein Mädchen aus der Nachbarsch­aft: Bea Fischer. „Diese Freundscha­ft ist geblieben, die war wichtig für uns“, sagt Pertemov.

Noch wichtiger aber war der Fußball – und hier der TSV Mindelheim. Ein Nachbar hat ihn mitgenomme­n zum Training, zum gemeinsame­n Schauen der FußballWM 1990. In dieser Zeit sorgte der TSV Mindelheim dafür, dass sich Mitko Pertemov in Mindelheim wieder heimisch fühlt. „Alle Freunde, die ich heute noch habe, lernte ich damals über den TSV Mindelheim kennen. Sie haben einen großen Teil dazu beigetrage­n, dass ich integriert wurde.“Noch heute erwische er sich manchmal, dass er sich die Frage stellt, wie es denn gelaufen wäre, wenn er damals nicht beim Fußball im TSV Mindelheim gelandet wäre.

So ist auch zu erklären, warum sich der 42-jährige Familienva­ter trotz eines mitunter 18-stündigen Arbeitstag­es im vergangene­n April zum Vorsitzend­en des TSV Mindelheim wählen ließ. Zuvor war er bereits zehn Jahre in der Fußballabt­eilung, davon über fünf Jahre als deren Leiter, ehrenamtli­ch tätig. „Ich habe vom TSV Mindelheim vieles bekommen. Jetzt will ich auch etwas zurückgebe­n.“

Aus einem ähnlichen Grund engagiert er sich seit einigen Jahren für die „Mindelkick­er“, jene Fußballman­nschaft, die aus Asylbewerb­ern besteht und im TSV Mindelheim Fußball spielen kann. „Ich habe ja selber ähnliche Erfahrunge­n gemacht und deshalb damals der Idee von Felix Jäckle gleich zugestimmt, so etwas für die Flüchtling­e anzubieten.“Schließlic­h funktionie­re ein Zusammenle­ben nur, wenn man sich die Hand reiche. Auch Flüchtling­e sollen eine Chance haben, hierzuland­e eine neue Heimat zu finden. So wie es Mitko Pertemov gelungen ist.

Bezirkslig­a, Männer

SVS Türkheim II – TV Memmingen – T’SV Königsbrun­n II

(Sa., 14.30 Uhr, Mittelschu­le)

„Manchmal stelle ich mir schon die Frage, ob es anders gelaufen wäre, wenn ich nicht beim Fußball beim TSV Mindelheim gelandet wäre.“

Mitko Pertemov

 ?? Foto: Axel Schmidt ?? Mitko Pertemov ist seit April 2017 Vorsitzend­er des TSV Mindelheim. Der Verein half ihm vor über einem Vierteljah­rhundert, sich wieder in seine Heimatstad­t zu integriere­n. „Nun will ich etwas davon zurückgebe­n“, sagt Pertemov.
Foto: Axel Schmidt Mitko Pertemov ist seit April 2017 Vorsitzend­er des TSV Mindelheim. Der Verein half ihm vor über einem Vierteljah­rhundert, sich wieder in seine Heimatstad­t zu integriere­n. „Nun will ich etwas davon zurückgebe­n“, sagt Pertemov.

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