„Wir sind keine Schädlingsbekämpfer“
Bayerns Jägerpräsident Jürgen Vocke lehnt bei der Jagd auf Wildschweine Methoden ab, die dem Tierschutzgedanken widersprechen. Welche Haltung vertritt er bei den Wölfen?
Herr Vocke, die Angst vor der Afrikanischen Schweinepest geht um. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes hat gefordert, 70 Prozent der Wildschweine abzuschießen. Was sagen Sie dazu?
Vocke: Eines vorweg: Wir hatten und haben in Deutschland zum Glück noch keinen Fall der tödlich verlaufenden Tierseuche. Ich vertrete deshalb nach wie vor die Meinung, dass auch bei der Jagd auf Sauen der Tierschutz, das Waffenrecht und Jagdgesetz stringent einzuhalten sind. Erst wenn die Afrikanische Schweinepest auch bei uns ausbrechen sollte, muss das Jagdrecht zugunsten der Seuchenbekämpfung zurücktreten.
Sie haben sich entschieden gegen die Forderung des Bayerischen Bauernverbandes ausgesprochen, zur Wildschwein-Reduktion sogenannte Saufallen aufzustellen.
Vocke: Dabei bleibe ich. Saufallen, in die die Tiere ahnungslos hineinlaufen und in denen sie dann getötet werden, haben mit Jagd nichts mehr zu tun. Das ist ein reines Abschlachten. Auch Wildschweine sind schützenswerte Kreaturen.
Wie sollen denn dann Abschusszahlen von 70 Prozent erreicht werden? Vocke: Der Bauernverband soll uns mal erklären, wie wir das machen sollen. Gerade die Landwirtschaft muss Flächen so bewirtschaften, dass wir das Wild auch sehen können. Das ist doch heute bei den riesigen Mais- und Rapsschlägen gar nicht möglich.
Unbestritten ist aber, dass die Wildschweinpopulation trotz der intensiven Jagd weiter rasant wächst.
Vocke: Das ist nicht nur ein deutsches, sondern ein europaweites Problem. Die wachsenden Bestände liegen am veränderten Klima mit milden Wintern ebenso wie an einer großräumigen Landwirtschaftsproduktion oder dem Waldumbau.
Das müssen Sie näher erklären. Vocke: Die Sauen leben heute im Schlaraffenland. Sie finden in den Mais- und Rapsfeldern ausreichend Nahrung und Deckung oder bleiben einfach im Wald. Dort durchwühlen sie in den dichten Laubbeständen den Boden und haben genügend zu fressen. Sie müssen also gar nicht mehr raus auf das freie Feld. Die Jagd wird dadurch erheblich erschwert. Wir Jäger versuchen, die Schäden einzugrenzen, was jedoch häufig schwierig ist.
Sie haben Unterstützung durch die Politik eingefordert. Wie kann das aussehen?
Vocke: Jedes erlegte Wildschwein muss heute auf Trichinen oder Cäsium untersucht werden. Diese Proben kosten Geld, das die Jäger bezahlen müssen. Außerdem müssen die Revierpächter etwa bei Drückjagden an Straßen für die Verkehrssicherheit sorgen. Auch dies kann teuer werden und ist demotivierend. Hier wäre eine finanzielle Entlastung nötig. Die Bayerische Staatsregierung zahlt inzwischen einen Ausgleich für jeden erlegten Frischling in Höhe von 20 Euro. Das ist ein Anfang, ein erster Schritt.
Eine weitere Herausforderung könnte die Rückkehr des Wolfes bedeuten. Wie stehen Sie dazu?
Vocke: Wir haben 150 Jahre lang sehr gut ohne den Wolf gelebt. Auch wenn seine Rückkehr von den Naturschützern begrüßt wird, müssen wir doch eines festhalten: Wir leben hier in Bayern nicht mehr in einer großräumigen Naturlandschaft, sondern in einer dicht besiedelten Kulturlandschaft.
Konkret. Welche Folgen hätte eine Rückkehr des Wolfes?
Vocke: Um etwa Nutztiere wie Kühe oder Schafe zu schützen, müssten tausende Kilometer an hohen Zäu- nen errichtet werden. Das würde enorm hohe Summen verschlingen und gleichzeitig den Lebensraum anderer Wildtiere einengen. Über die Auswirkungen für Tourismuszentren, wenn das Großraubtier wieder in unseren Wäldern umherstreift, will ich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Die Populationsrate von Wölfen nimmt jährlich um bis zu 30 Prozent zu. Es ist absehbar, dass wir schnell an die Schwelle von 1500 bis 1800 Tiere kommen.
Der Wolf ist heute streng geschützt. Würden Sie einen Abschuss akzeptieren?
Vocke: Nur, wenn vorab ein gesamtgesellschaftlicher Konsens für diese Maßnahme erzielt würde. Wir Jäger sind nicht die nützlichen Idioten für andere, um dann am Pranger zu stehen. Als Braunbär Bruno in Bayern erlegt wurde, erhielt ich Morddrohungen.
Herr Vocke, Sie kandidieren im März wieder als Präsident des Bayerischen Jagdverbandes. Was treibt Sie an? Vocke: Wir stehen in einer Zeit des massiven Umbruchs mit gewaltigen Herausforderungen und in einer hochbrisanten politischen Phase. Wir bekommen eine neue Bundesregierung, im Herbst wird der Bayerische Landtag gewählt und auch die Europawahl 2019 wird für die Belange der Jagd und des Naturschutzes unglaublich wichtig. Ich möchte das Amt des Präsidenten, der für vier Jahre gewählt wird, für eine gewisse Übergangszeit wahrnehmen, meine Erfahrungen und meinen Sachverstand, aber auch meine engen Kontakte quer durch alle Parteien einbringen. Und wir brauchen bei all den aktuellen Problemen die Unterstützung durch die Politik.
Die Jagd wird in der Öffentlichkeit ja durchaus auch kritisch betrachtet. Vocke: Die Jagd hat nur dann eine Zukunft, wenn sie auch quer durch alle Gesellschaftsschichten Akzeptanz findet. Und ich hoffe, dass die tierschutzgerechte Jagd als wesentli- cher Kulturträger eine Zukunft hat und nicht dem Zeitgeist geopfert wird.
Wo machen Sie denn diese Akzeptanz in der Gesellschaft fest?
Vocke: Ich erkenne zum Beispiel, dass gerade Wildbret ganzjährig als hochwertiges Nahrungsmittel in der Bevölkerung immer mehr Zuspruch erfährt. Und ich bin mir sicher, dass die Messe Jagen und Fischen am Wochenende in Augsburg, die ich besuchen werde, wieder auf großes Interesse – nicht nur unter Jägern – stößt. Zukunftsgerichtet haben wir die Akademie für Jagd und Naturschutz im oberfränkischen Wunsiedel gegründet, in der wissenschaftlich, fachlich und neutral gearbeitet wird. Die Frage stellt sich doch: Wie können wir Wald, Feld und Wild konfliktfrei zusammenführen.
Sie haben sich in der Vergangenheit immer wieder mit den Bayerischen Staatsforsten angelegt, was etwa die teils hohen Abschusszahlen von Rehwild betrifft.
Vocke: Ich bleibe dabei: Der Staatsforst muss beim Rehwildabschuss Rücksicht auf die angrenzenden privaten Revierpächter nehmen. Der Verbiss in den Wäldern nimmt permanent ab und der Umbau des Forstes zu naturnahen Laubwäldern ist auf einem guten Weg. Das Reh ist kein Feind der Wälder, sondern ein Stück Heimat. Wir sind Jäger und Naturschützer, aber keine Schädlingsbekämpfer. Dazu lassen wir uns nicht degradieren. Deshalb müssen wir vereint die Zukunft gestalten und die Jagd sichern.
„Auch Wildschweine sind schützenswerte Kreaturen.“
Professor Jürgen Vocke, 74, ist seit 1994 Präsi dent des Baye rischen Jagdver bandes. Der Ju rist wohnt in Ebersberg.