Mindelheimer Zeitung

Lottis Urahnen auf der Spur

An der Hammerschm­iede bergen Paläontolo­gen elf Millionen Jahre alte Reste von Elefanten, Hyänen – und eben auch von Schnappsch­ildkröten

- VON TOBIAS KLÖCK UND MARKUS HEINRICH

Pforzen Bad Wörishofen und seine Umgebung sind reich an Schätzen aus der Vergangenh­eit. Die 138 Hügelgräbe­r aus der Hallstattz­eit bei Schlingen sind ein Zeugnis davon, Steinzeitf­unde am Moosberg, in Hartenthal oder Dorschhaus­en andere. Wie eng verzahnt das Gebiet schon immer war, zeigen die Hügelgräbe­r-Funde auf der unmittelba­r angrenzend­en Pforzener Flur. Wissenscha­ftler haben dort zudem eine ergiebige Fundstelle entdeckt, die sich als eine Art Fenster in die Allgäuer Urzeit entpuppt. So lassen sich manche Antworten auf bisher ungeklärte Forschungs­fragen finden – und die ein oder andere Überraschu­ng. Die Funde von Pforzen sind „sehr bedeutend“, sagt Heimatfors­cher August Filser aus Bad Wörishofen. Zwar war er an dieser Grabung selbst nicht beteiligt. Filser arbeitet derzeit an einem neuen Buch über Bad Wörishofen­s Geschichte. „Da habe ich mich rausgehalt­en“, sagt er schmunzeln­d. Aber was man hier im Boden finden kann, hat er selbst bei Grabungen in Schlingen erlebt. Auf den Spuren der Römer förderte die Gruppe Material zutage, das mittlerwei­le im Kneipp-Museum zu sehen ist. Ans Tageslicht kamen allerdings auch zwei Pferde- skelette aus der Zeit um 2500 vor Christus. „Sie sind uns ein Rätsel“, sagt Filser. Um Tiere geht es auch in der Hammerschm­iede. Unternehme­n wir eine Zeitreise in das Allgäu vor elf Millionen Jahren dort, wo sich heute Pforzen befindet: Es ist subtropisc­h warm. Flüsse und Sümpfe mit dichter Ufervegeta­tion durchziehe­n wie Adern eine weite Waldlandsc­haft. Schleichka­tzen und Antilopen, Hyänen, urzeitlich­e Pferde, Riesensala­mander und Schildkröt­en fühlen sich hier wohl. Zu den mit Abstand größten Tieren zählen aber die Mastodonte­n – Urahnen der heutigen Elefanten.

Zurück in der Gegenwart ist von dieser Landschaft auf den ersten Blick nichts mehr zu sehen. Ihre Reste befinden sich unter meterdicke­n Ablagerung­en aus Kies, Sand und Lehm. Letzterer wird in der Tongrube Hammerschm­iede gewonnen und dient sowohl als Rohstoff für die Ziegeleiin­dustrie als auch zum Abdichten von Deponien. Zur Hammerschm­iede gehörte einst auch das Wertach-Kraftwerk Stockheim. So viel zur engen Verzahnung.

Wissenscha­ftler der Eberhard Karls Universitä­t Tübingen unter der Leitung von Madelaine Böhme, Professori­n für Geologie und Paläontolo­gie, machen sich seit einigen Jahren auf die Suche nach bedeuten- den Fossilien in der Hammerschm­iede. So auch über viele Wochen hinweg im vergangene­n Sommer. „Durch eine recht genaue Altersdati­erung und bemerkensw­erte Funde können wir mittlerwei­le ein sehr detaillier­tes Bild der Landschaft vor elf Millionen Jahren skizzieren“, sagt Böhme jetzt. Für das Grabungste­am in der Grube war es oftmals nicht einfach: „Entweder brannte die Sonne herunter oder Regen verwandelt­e alles in ein großes Schlammloc­h“, erinnert sich Thomas Lechner. Zusammen mit Studenten, freiwillig­en Helfern und anderen Wissenscha­ftlern suchte der Doktorand nach Spuren der Urzeit.

Der Zahnarzt Vitus Stachniss (71) verbrachte mit seiner Frau Sibylle den Urlaub als freiwillig­er Grabungshe­lfer. Für ihn ging es darum, noch einmal etwas zu erleben, „was man sonst im Leben vielleicht nicht mehr machen kann“. Spektakulä­re Funde zu machen „stand nicht ganz oben“, ergänzt seine Frau, „aber man freut sich natürlich, wenn man etwas gefunden hat.“Die unzähligen Knochenstü­ckchen, viele davon nicht größer als eine 1-Euro-Münze gingen zur weiteren Untersuchu­ng nach Tübingen. „Da beginnt die eigentlich­e wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng“, erklärt Böhme. „Wenn die Feldarbeit im Sommer beendet ist, geht es über die Wintermona­te ins Labor.“Hier werden die Fossilien gesäubert, Bruchstück­e zusammenge­setzt und – wo es möglich ist – einem bestimmten Tier zugeordnet.

Zu den spektakulä­ren Funden der vergangene­n Jahre zählen die Reste eines urzeitlich­en Elefanten, der Zahn einer Hyäne oder Knochenres­te von urzeitlich­en Pferden. Aber auch versteiner­te Überbleibs­el von Nagetieren und Kleinsäuge­rn helfen den Wissenscha­ftlern, ein genaueres Bild der Umwelt vor elf Millionen Jahren zu zeichnen. Eine große Anzahl an Süßwasserm­uscheln lässt beispielsw­eise auf ein langsam fließendes Gewässer schließen.

„Einige Knochenbru­chstücke in den Ablagerung­en waren kantengeru­ndet“, sagt Lechner. Ein Hinweis, dass der Knochen über eine längere Strecke vom Fluss mittranspo­rtiert wurde. Sicherlich gab es in direkter Umgebung auch die ein oder anderen Tümpel. „Hier haben sich Weich- und Schnappsch­ildkröten getummelt“, weiß Böhme. Die Knochenpla­tten der Panzer gehörten mit zu den häufigsten Funden.

Moment! Schnappsch­ildkröten? Böhme lacht: „Ja, wir haben Lotti gefunden – oder zumindest deren Vorfahren. Denn diese Tiere bewohnten tatsächlic­h die Gewässer um Pforzen und Irsee.“Nur eben im urzeitlich­en Allgäu.

 ?? Foto: Mathias Wild ?? Immer wieder ist die Kiesgrube bei der Hammerschm­iede Ziel von Paläontolg­en der Universitä­t Tübingen. Dort fanden sie unter anderem Knochen von Elefanten und Hyänen, die dort vor elf Millionen Jahren lebten. Das Foto entstand im vergangene­n Sommer....
Foto: Mathias Wild Immer wieder ist die Kiesgrube bei der Hammerschm­iede Ziel von Paläontolg­en der Universitä­t Tübingen. Dort fanden sie unter anderem Knochen von Elefanten und Hyänen, die dort vor elf Millionen Jahren lebten. Das Foto entstand im vergangene­n Sommer....

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