Lottis Urahnen auf der Spur
An der Hammerschmiede bergen Paläontologen elf Millionen Jahre alte Reste von Elefanten, Hyänen – und eben auch von Schnappschildkröten
Pforzen Bad Wörishofen und seine Umgebung sind reich an Schätzen aus der Vergangenheit. Die 138 Hügelgräber aus der Hallstattzeit bei Schlingen sind ein Zeugnis davon, Steinzeitfunde am Moosberg, in Hartenthal oder Dorschhausen andere. Wie eng verzahnt das Gebiet schon immer war, zeigen die Hügelgräber-Funde auf der unmittelbar angrenzenden Pforzener Flur. Wissenschaftler haben dort zudem eine ergiebige Fundstelle entdeckt, die sich als eine Art Fenster in die Allgäuer Urzeit entpuppt. So lassen sich manche Antworten auf bisher ungeklärte Forschungsfragen finden – und die ein oder andere Überraschung. Die Funde von Pforzen sind „sehr bedeutend“, sagt Heimatforscher August Filser aus Bad Wörishofen. Zwar war er an dieser Grabung selbst nicht beteiligt. Filser arbeitet derzeit an einem neuen Buch über Bad Wörishofens Geschichte. „Da habe ich mich rausgehalten“, sagt er schmunzelnd. Aber was man hier im Boden finden kann, hat er selbst bei Grabungen in Schlingen erlebt. Auf den Spuren der Römer förderte die Gruppe Material zutage, das mittlerweile im Kneipp-Museum zu sehen ist. Ans Tageslicht kamen allerdings auch zwei Pferde- skelette aus der Zeit um 2500 vor Christus. „Sie sind uns ein Rätsel“, sagt Filser. Um Tiere geht es auch in der Hammerschmiede. Unternehmen wir eine Zeitreise in das Allgäu vor elf Millionen Jahren dort, wo sich heute Pforzen befindet: Es ist subtropisch warm. Flüsse und Sümpfe mit dichter Ufervegetation durchziehen wie Adern eine weite Waldlandschaft. Schleichkatzen und Antilopen, Hyänen, urzeitliche Pferde, Riesensalamander und Schildkröten fühlen sich hier wohl. Zu den mit Abstand größten Tieren zählen aber die Mastodonten – Urahnen der heutigen Elefanten.
Zurück in der Gegenwart ist von dieser Landschaft auf den ersten Blick nichts mehr zu sehen. Ihre Reste befinden sich unter meterdicken Ablagerungen aus Kies, Sand und Lehm. Letzterer wird in der Tongrube Hammerschmiede gewonnen und dient sowohl als Rohstoff für die Ziegeleiindustrie als auch zum Abdichten von Deponien. Zur Hammerschmiede gehörte einst auch das Wertach-Kraftwerk Stockheim. So viel zur engen Verzahnung.
Wissenschaftler der Eberhard Karls Universität Tübingen unter der Leitung von Madelaine Böhme, Professorin für Geologie und Paläontologie, machen sich seit einigen Jahren auf die Suche nach bedeuten- den Fossilien in der Hammerschmiede. So auch über viele Wochen hinweg im vergangenen Sommer. „Durch eine recht genaue Altersdatierung und bemerkenswerte Funde können wir mittlerweile ein sehr detailliertes Bild der Landschaft vor elf Millionen Jahren skizzieren“, sagt Böhme jetzt. Für das Grabungsteam in der Grube war es oftmals nicht einfach: „Entweder brannte die Sonne herunter oder Regen verwandelte alles in ein großes Schlammloch“, erinnert sich Thomas Lechner. Zusammen mit Studenten, freiwilligen Helfern und anderen Wissenschaftlern suchte der Doktorand nach Spuren der Urzeit.
Der Zahnarzt Vitus Stachniss (71) verbrachte mit seiner Frau Sibylle den Urlaub als freiwilliger Grabungshelfer. Für ihn ging es darum, noch einmal etwas zu erleben, „was man sonst im Leben vielleicht nicht mehr machen kann“. Spektakuläre Funde zu machen „stand nicht ganz oben“, ergänzt seine Frau, „aber man freut sich natürlich, wenn man etwas gefunden hat.“Die unzähligen Knochenstückchen, viele davon nicht größer als eine 1-Euro-Münze gingen zur weiteren Untersuchung nach Tübingen. „Da beginnt die eigentliche wissenschaftliche Aufarbeitung“, erklärt Böhme. „Wenn die Feldarbeit im Sommer beendet ist, geht es über die Wintermonate ins Labor.“Hier werden die Fossilien gesäubert, Bruchstücke zusammengesetzt und – wo es möglich ist – einem bestimmten Tier zugeordnet.
Zu den spektakulären Funden der vergangenen Jahre zählen die Reste eines urzeitlichen Elefanten, der Zahn einer Hyäne oder Knochenreste von urzeitlichen Pferden. Aber auch versteinerte Überbleibsel von Nagetieren und Kleinsäugern helfen den Wissenschaftlern, ein genaueres Bild der Umwelt vor elf Millionen Jahren zu zeichnen. Eine große Anzahl an Süßwassermuscheln lässt beispielsweise auf ein langsam fließendes Gewässer schließen.
„Einige Knochenbruchstücke in den Ablagerungen waren kantengerundet“, sagt Lechner. Ein Hinweis, dass der Knochen über eine längere Strecke vom Fluss mittransportiert wurde. Sicherlich gab es in direkter Umgebung auch die ein oder anderen Tümpel. „Hier haben sich Weich- und Schnappschildkröten getummelt“, weiß Böhme. Die Knochenplatten der Panzer gehörten mit zu den häufigsten Funden.
Moment! Schnappschildkröten? Böhme lacht: „Ja, wir haben Lotti gefunden – oder zumindest deren Vorfahren. Denn diese Tiere bewohnten tatsächlich die Gewässer um Pforzen und Irsee.“Nur eben im urzeitlichen Allgäu.