Die Frage der Woche Vitaminpillen schlucken?
Wäre ich ein Lebertrankind gewesen, wäre ich wohl lebenslang immunisiert gegen den Lockruf der sogenannten „Nahrungsergänzungsmittel“. Weil es aber nur Rotbäckchensaft und die wunderbar schmeckenden Glasampullen wegen Eisenmangels waren, die mein Aufwachsen aufpäppelten, bleibe ich dezent aufnahmebereit. Meine Drogeriebiografie ist übersichtlich, aber nachweisbar (wenn auch wahrscheinlich nicht im Blut, das ist ja der Knackpunkt…). Magnesium: Läufer sagten, das sei gut. Also nahm ich es auch, hielt ein paar Wochen durch, fühlte, dass es vermutlich gut war, schluderte dann in der Regelmäßigkeit, vergaß – und lief weiter, ohne Magnesium, ohne Mangelerscheinung und ganz ohne Wadenkrämpfe.
Ein langer Herbst, neblig, rheumakalt, trüb, der nahtlos übergeht in einen noch längeren dunklen nassen Winter: In dieser Lage habe ich auch schon mit Johanniskrautpillen experimentiert, in der höchsten Not mit der höchsten Dosis. Keine durchschlagende Wirkung, höchstens einmal ein billiger kleiner Placeboeffekt in Form eines verhuschten Lächelns. Große Aufhellung brachte damals erst der März.
Aber auf anderen Feldern geht ja vielleicht was, weshalb in der Erkältungszeit, wenn die Einschläge zu nahe kommen, allerlei VitaminBrausetabletten A B C bzw. Zink & Zeug & Zinnober auf dem Frühstückstisch stehen! Und tatsächlich: funktioniert irgendwie! Ob dieser 4,99 ¤-Abwehrzauber eingebildet ist oder nicht, bleibt zweitrangig. Ich hantiere gelegentlich mit Sachen, die Kopf-Spielzeug sind und halte mich lieber fragil gesund, als am Ende angekränkelt Antibiotika aufzufahren. Fast jeder dritte Erwachsene nimmt Vitaminpillen und Ergänzungskram. Apotheken- und DrogerieVoodoo. Und? Leben und nehmen lassen.
Manchmal hätte ich gerne einen Tricorder, Sie wissen schon, so ein piepsendes Gerät im Handyformat aus den Star-Trek-Filmen. Diese Scanner sehen sofort, was einem fehlt. Beim Sport umgeknickt? Scann, piep, piep – ein Glück, nur verstaucht, nichts gerissen. Kind ist aus dem Bett gefallen? Scann, piep, piep – halleluja, nur eine harmlose Beule. Ein Traum! Und auch in Sachen Nährstoffmangel wäre so ein Gerät ganz hilfreich. Ob Vitamin-D-, Eisen- oder Magnesiummangel – scann, piep, piep, ganz schnell wüsste man mehr, ganz ohne Spritze und Blutbild.
Leider gibt es keine Tricorder und so essen Millionen Menschen einfach auf Verdacht Nahrungsergänzungsmittel, damit sie sich besser fühlen. Ein bisschen schlapp im Winter? Das muss doch ein Vitamin-D-Mangel sein. Haarausfall? Her mit Zink oder Kieselerde! Am Wochenende etwas viel Alkohol gehabt? Gleich mal vorsichtshalber eine Mariendistel-Leberkur machen. Das Geschäft mit der Angst vor dem Krankwerden, vor dem Altwerden, vor dem Zerfall boomt. Rund 165 Millionen Packungen mit Nahrungsergänzungen werden pro Jahr in Deutschland verkauft und damit über eine Milliarde Euro Umsatz gemacht. Fast jeder dritte Erwachsene schluckt solche Präparate, an die man ohne Arzt rankommt. Dabei sind die vermeintlich harmlosen Pillen nicht ohne. Manch einer riskiert Gesundheitsschäden durch Überdosen. Zu viel des Guten ist nämlich auch schlecht. Dabei gibt es eine einfache und günstige Methode, seinem Körper Gutes zu tun: sich ausgewogen ernähren. Gesunde Menschen können alle Nährstoffe über normale Lebensmittel aufnehmen. Das setzt voraus, dass man sich damit befasst, was man isst, und nicht aus Bequemlichkeit oder auf Verdacht einfach Pillen einwirft.