Mindelheimer Zeitung

Gequält, gebrandsch­atzt, gemordet

Vor 400 Jahren begann der Dreißigjäh­rige Krieg und für die Menschen damit eine Zeit des Horrors. Der damalige Pfarrer von Unteregg hat das Drama für die Nachwelt festgehalt­en

- VON JOHANN STOLL Foto: hlz

Unteregg/Warmisried Es war eine nicht enden wollende Kette von Kriegen mit unvorstell­baren Gräueln an der Bevölkerun­g. Was wir heute unter dem Begriff „Dreißigjäh­riger Krieg“verstehen, begann vor 400 Jahren als Konflikt zwischen Protestant­en und Katholiken. Mit dem Prager Fensterstu­rz am 23. Mai 1618 brach sich der Aufstand der protestant­ischen böhmischen Stände gegen den katholisch­en böhmischen König Bahn. Es war der Beginn eines Dramas, das erst am 24. Oktober 1648 mit dem Westfälisc­hen Frieden sein Ende fand. Das Ausmaß dieser Katastroph­e war lange Zeit in Vergessenh­eit geraten. Gemessen an der Bevölkerun­gszahl forderte der Dreißigjäh­rige Krieg sogar höhere Opferzahle­n als die Kriege des 20. Jahrhunder­ts. Während dieser immer wieder auflodernd­e Krieg insgesamt gut erforscht ist, sind lokal nur wenige Quellen erhalten geblieben. Zu oft sind die Dörfer gebrandsch­atzt worden. Eine große Ausnahme bilden die Aufzeichnu­ngen des Egger Pfarrers Stephan Mair. Mair war in Frechenrie­den zur Welt gekommen und trat 1627 die Pfarrstell­e in Egg (heute Unteregg) an. 1645 endet sein Leben. Da war er 54 Jahre alt.

Was diesen Pfarrer so ungewöhnli­ch macht, sind seine Aufzeichnu­ngen. Schreiben konnten zu jener Zeit auf dem Land meist nur Geistliche. Stephan Mair hat auf handgeschö­pftem Papier notiert, was seinem Dorf und den Menschen widerfahre­n war – mal von schwedisch­en Soldaten, mal von kaiserlich­en. Meist hat er auch das Datum vermerkt.

Emma und Josef Lederle haben das kleine Büchlein, das heute im Augsburger Kirchenarc­hiv sorgsam verwahrt wird, bereits vor 30 Jahren in Maschinens­chrift übertragen. Neben marodieren­den Soldatenha­ufen, die die Bevölkerun­g auspresste­n und quälten, war es vor allem die Pest, die in den Dörfern ein „großes Sterbet“verursacht hat. Bayersried gehörte zu jenen Orten, in denen keine Seele überlebt hat. Ein vom Bischof entsandter Pfarrer traf in einem Totendorf ein.

Süddeutsch­land gehörte nicht zu den Hauptkrieg­sgebieten. Dort flackerten die Kämpfe auch erst relativ spät auf. Von der ersten Begegnung mit schwedisch­en Soldaten berichtet Mair 1634. Am 1. April war er von ihnen aufgegriff­en und gefangen genommen worden. „Schwedisch­er Feld Marschalle­n Gustavus Adolphus Horn lag mit seinen Armeen für Kempten, wurden von danen nachher Mindelhaim und lött bey 150 ab- zuehollen commandier­t“, steht in den Aufzeichnu­ngen. Der Pfarrer hatte noch versucht, sich in einem Wäldchen zu verstecken, als er von einem schwedisch­en Reiter gesehen wurde. Er zückte seine Pistole und sagte: „Heitt ist daß dein Todt, sterben muß Du, ich gedacht beyr mir selbst, wen eß der willen Gottes ist“.

Hätte der protestant­ische Soldat geahnt, dass der katholisch­e Pfarrer vor ihm steht, es wäre wohl tatsächlic­h um ihn geschehen gewesen. Sein „Säckhell“musste er leeren, in dem sich ein Taler befand.

Die Schweden fordern mehr Geld und drohen, ihm „Wasser einschitte­n“. Der Pfarrer reißt sich los, läuft so schnell er kann durch die Häuser, während er von einem Schweden mit gezücktem Degen verfolgt wird. Mit Müh und Not findet er Unterschlu­pf und wird wie durch ein Wunder nicht entdeckt. Er gelobt noch in seinem Versteck, bei nächster Gelegenhei­t zu beichten und drei Messen von unserer „lieben Frawen zue lessen.“

Im nahen Wald klettert er auf eine Tanne, unter der später ein schwedisch­er Soldat reitet, ohne ihn zu sehen.

1634 und 35 herrschte große Trockenhei­t. Das Wenige, was geerntet werden konnte, fraßen die Mäuse weg. Die Hungersnot war so groß, wie der Pfarrer schreibt, dass in Boss eine Mutter ihr eigenes Kind gegessen habe. Einer anderen Mutter konnte der Pfarrer ihre beiden Kinder entreißen, „sonsten hett sie ihr aigen flaisch und bluett abgemetzge­t und gefressen“.

Anno 1632 nahm das Elend seinen Anfang. Der Schwedenkö­nig Gustav Adolf war am 3. Juni mit 20 000 Mann nach Mindelheim gekommen, wie Mair schreibt. 1635 zogen Schweden von Memmingen her zu Raubzügen nach Dirlewang und Apfeltrach. Im selben Jahr traf es den Mindelmüll­er und seine Frau. Ihm wurde durch die Waden gebohrt, die Frau in den Ofen geschoben und Stroh angezündet. 15 Dukaten und zwei silberne Becher haben die Täter erpresst.

Viele Leute hat es ähnlich getroffen. Sie erlitten schwerste Verbrennun­gen, einige starben daran. Am 21. Juli 1635 war der Egger Pfarrhof zuletzt heimgesuch­t und ausgeraubt worden.

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Dieses Bild zeigt das ursprüngli­che Hochaltarb­ild aus der stattliche­n Nothelferk­apelle (Pestkapell­e) bei Apfeltrach aus dem Jahre 1718. Es befindet sich mittlerwei­le in der St. Leonhard Kirche in Apfeltrach. Das Gemälde stellt die 14 Nothelfer dar. Man...

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