Mindelheimer Zeitung

Darauf kann die Schule Dich nicht vorbereite­n

Welche Herausford­erungen man beim FSJ im Rettungsdi­enst meistern muss und wie man die Schicksale der Patienten nicht an sich ranlässt, erzählt K!ar.texterin Maria Lehner aus Mindelheim

- VON MARIA LEHNER

Mindelheim Leuchtend rote Uniform, Autos mit blauem Blinklicht, den Piepser am Gürtel hängen – das ist das Bild, das wohl jeder vom Rettungsdi­enst im Kopf hat. Wie genau der Alltag im Rettungsdi­enst und Krankentra­nsport wirklich aussieht, davon haben aber die wenigsten eine konkrete Vorstellun­g. Die vielen Facetten dieser Arbeit – oft auch fernab von Drama und filmreifer Action – sind Vielen unbekannt, ebenso wie die Möglichkei­ten, im Rettungsdi­enst mitzuarbei­ten. Eine dieser Möglichkei­ten ist ein Freiwillig­es Soziales Jahr (FSJ) wie ich es gerade ableiste.

Auf die Idee, ein FSJ im Rettungsdi­enst zu machen, kommt man natürlich nicht von heute auf morgen. Da ich aber schon länger als Sanitäteri­n beim Roten Kreuz bin, stand die Entscheidu­ng bei mir recht schnell fest: Der Krankentra­nsport sollte es werden.

Da der Krankentra­nsport zum Rettungsdi­enst gehört, wurde ich in meinen ersten vier Wochen erst mal zum sogenannte­n Rettungsdi­ensthelfer ausgebilde­t. In dieser Zeit ich so Einiges über den menschlich­en Körper und seine akuten Erkrankung­en gelernt, eine Menge mögliche Notfälle geprobt und ganz viel praktisch geübt.

Nach bestandene­r Prüfung ging es dann gleich auf die Rettungswa­che und erst einmal noch als Praktikant­in auf den Krankentra­nsportwage­n. Die ersten zwei Wochen hatte ich also noch Zeit, mich komplett einzugewöh­nen und mit den ganzen Abläufen vertraut zu machen. Danach bin ich dann schon als „zweiter Mann“– oder in meinem Fall Frau – im Auto gesessen.

Wie sieht also jetzt mein typischer Arbeitstag aus? In der Früh geht es natürlich erst einmal zum Umziehen, rein in die leuchtend rote Schutzklei­dung und raus zum Auto. Dort wird dann das Material gecheckt und auch das Fahrzeug selber, denn als Fahrerin bin ich ja dafür verantwort­lich.

Wenn dann der erste Einsatz als normaler Krankentra­nsport – also kein Notfall – reinkommt, steigen wir ins Auto und fahren zum Patienten an die Wohnung oder zum Krankenhau­s, um ihn abzuholen.

Dort angelangt kommen wir zu- nächst mit dem Patienten ins Gespräch, damit er sich bei uns sicher und möglichst wohl fühlt. Während der Fahrt betreut ihn dann mein Kollege und ich sorge dafür, dass wir sicher ans Ziel kommen und übernehme das Funken mit der Leitstelle.

Bereits nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass ich ganz anders an die Menschen rangehe und kaum mehr Berührungs­ängste habe. Genauso war es aber auch eine ordentlich­e Umstellung, täglich acht Stunden zu arbeiten, bis zu 350 Kilometer mit dem Krankenwag­en zu fahren und immer wieder körperlich gefordert zu sein. Außerdem muss ich darauf achten, die Bedürfniss­e meiner Patienten ernst zu nehmen, ihre persönlich­en Schicksale aber nicht „mit nach Hause zu nehmen“.

Besonders eindrucksv­oll und manchmal auch schockiere­nd finde ich die unterschie­dlichen Situatione­n, in denen wir mit unseren Patienten in Kontakt kommen. Die Lebens- und Leidensges­chichten zu hören und zu sehen, wie isoliert manche Menschen von ihren Mitmensche­n leben oder aber, wie rührend sich Familienmi­tglieder umeihabe nander kümmern. Auf diese Erfahrunge­n kann einen keine Schule vorbereite­n!

Und wenn mir doch mal ein Einsatz nah geht, kann ich immer auf das offene Ohr meiner Kollegen auf der Rettungswa­che vertrauen. Bei uns herrscht eine tolle Kameradsch­aft, bei der man auch als FSJler als vollwertig­es Mitglied aufgenomme­n wird.

Trotz der Umgewöhnun­g und der Anstrengun­gen ist es doch ein sehr schönes Gefühl, die Dankbarkei­t der oftmals älteren Menschen zu spüren. Sie sind froh, dass wir uns die Zeit für sie nehmen, ihnen zuhören und beispielsw­eise auch die Anmeldung im Krankenhau­s für sie übernehmen.

Neben der eigentlich­en Arbeit fahren wir FSJler mehrmals im Jahr zusammen auf Seminare. Dort werden wir von erfahrenen Sozialpäda­gogen betreut, die uns für verschiede­ne soziale Themen zum Beispiel Leben mit Behinderun­g, Organspend­e oder kulturelle Verschiede­nheiten sensibilis­ieren. Mal kommen Referenten vorbei, mal versuchen wir uns in der Selbsterfa­hrung im Rollstuhl. Bei den Treffen tauschen wir auch untereinan­der unsere Erfahrunge­n aus, denn wir absolviere­n unser FSJ in den unterschie­dlichsten Bereichen. Die vielen Einblicke und Erfahrunge­n, die ich bis jetzt schon gesammelt habe, hätte ich sicher vermisst, wenn ich gleich zum Studieren gegangen wäre.

Auf freiwillig­er Basis werde ich dann auch noch die Ausbildung zur Rettungssa­nitäterin abschließe­n. Ich habe bereits Praktika im Krankenhau­s absolviert und fahre immer wieder als Praktikant­in im Rettungswa­gen zu den Notfällen mit, um Erfahrung zu sammeln. Dabei lerne ich, auch in stressigen Situatione­n zu funktionie­ren, was mir auch in vielen anderen Momenten im Leben hilft. Noch dazu habe ich dadurch gleich ein erstes berufliche­s Standbein und kann zum Beispiel neben dem Studium weiterhin ehrenamtli­ch Rettungsdi­enst fahren.

Ein FSJ kann ich also jedem empfehlen, der nach der Schulzeit erst einmal unzählige wichtige Erfahrunge­n fürs Leben sammeln möchte.

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Krankenwag­en fahren, Puls messen, Patienten beistehen: Maria Lehner ist als FSJlerin fest in die Arbeitsabl­äufe beim Rettungsdi­enst eingebunde­n.
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Fotos: Lehner
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