Jan Böhmermann und die Macht der Ironie
Er ist Deutschlands einflussreichster Komiker. Warum, das zeigte sich jetzt auch bei seinem ersten Konzert
München Ausverkauft, natürlich. Alle vier Termine der Tour. Seit Monaten. Und am Donnerstag feierte Jan Böhmermann in München nun tatsächlich Premiere: Der einflussreichste Komiker des Landes tritt als Sänger in Konzerten auf. Mit dem Orchester aus seinem „Neo Magazin Royale“in einer alten Industriehalle für Popkonzerte, aber klassisch bestuhlt, vor ebenso klassisch rotem Vorhang: So wird hier sein Mittel, die Ironie, zwar sehr tanzbar, aber für ein Sitzpublikum. Wer fragt, kann von einem Ordner erfahren: „Nein, der Herr Böhmermann will nicht, dass man aufsteht.“Willkommen auf dem beliebtesten Glatteis Deutschlands …
Mag der Comedian Mario Barth auch ganze Fußballstadien füllen – an die Wirkmacht des Jan Böhmermann kommt seit einiger Zeit jedenfalls keiner heran. Und man muss ja nun längst nicht mehr vom Fall Erdogan erzählen, bei dem durch sein Schmähgedicht sogar eine Änderung des Strafgesetzbuchs angeregt wurde. Es reicht auch ein Blick auf die letzten beiden Wochen. Da setzte sich der 37-jährige, aus Bremen stammende Moderator mit Sturmmaske und Stahlhelm vor die Kamera, das Grundgesetz in Händen, und forderte, „den Wichsern, die uns den Spaß am Internet verderben, den Spaß am Internet zu verderben“. Und zehntausende Nutzer versammelten sich tatsächlich in einer Debatte gegen Hass und Populismus auf der Plattform „Reconquista Internet“. Hat hier ein Komiker also, wie er selbst dann sagte, „aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen“?
Mit der Eindeutigkeit eines Ja oder Nein ist im Fall Böhmermann ja ohnehin fast nichts zu beantworten. Dazu muss man auch das vor allem hierzulande so verbreitete Verständnis von Ironie revidieren. Denn in der üblichen Formel, dass man das Gegenteil von dem sage, was man meine, geht hier kaum etwas auf. Dazu zwei Momente aus der samt Pause zweistündigen Show in München, einem Best-of der Songs aus Böhmermanns Show samt Orchester. Seine harsche Abrechnung mit dem rechtslastigen Oberpolizisten Rainer Wendt kommt ja selbst als passend volkstümliche Bierzelt-Polka daher, lädt also geradezu zum Tanzen und Schunkeln ein. Aber damit in der Form nicht das Gemeinte verkehrt wird, muss das hier eben ein sitzendes Kabarett-Publikum bleiben. Klar, oder?
Und als Böhmermann seine Verhöhnung des deutschen hymnischen Lebensfreude-Pops der letzten Jahre in „Menschen. Leben. Tanzen. Welt“anstimmt, kommt (nach aus der Show bekannten Gästen wie Giulia Becker mit ihrem MeTooSong über ihre Scheide, unter der sie leide) als Münchner Gaststar auf die Bühne: einer der gemeinten Lebensfreude-Popper, Max Giesinger. So wird der Song endgültig selbst zum Schlager, und Giesinger singt mit Böhmermann auch noch sein „80 Millionen“, fordert das Publikum auf, endlich aufzustehen, das sei doch schließlich ein Konzert. München singt mit und tanzt – und Böhmermann kommentiert: „Hier wächst endlich zusammen, was nicht zusammengehört.“Solche Volten auch zu ernsteren Themen haben ihn zu Recht zum Star gemacht. Auf der anderen Seite stehen immer wieder Blödigkeiten wie jene an diesem Abend, als der Satiriker seinen berühmt geworden PolizeiGangsta-Rap um aktuelle Verse ergänzt: „Du bist Markus Söder – Isch hab Polizei / Fick dein Kruzifix – Isch hab Polizei.“Ja, auweia…
Am gründlichsten scheitert Böhmermann aber an einer durch seinen Erfolg und dieses Konzertformat für ihn neuen Herausforderung. Einst auf Kleinkunstbühnen unterwegs, über den Bildschirm groß geworden, tritt er jetzt in einer ehemaligen Industriehalle auf, dem „Zenith“, vor 2500 Menschen, ohne vergrößernde Videowände. Das Versprechen eines Liveerlebnisses wird dadurch für die Fans in den hinteren Reihen in Ton und Bild weit weniger eingelöst als im Internet. Fast schon ironisch – im Sinne der üblichen Formel. Um seiner Lesart gerecht zu werden, müsste der Satiriker dazu eine Direktübertragung auf alle Smartphones in der Halle anbieten.