Frauen mit Yogamatten
Kurz nach 19 Uhr, ein Werktagabend vor einer alten Volksschule in der Innenstadt. Aus allen Himmelsrichtungen treten auf: Frauen mit Yogamatten. Zwei sind schon auf der Schultreppe, eine schließt gerade ihr Fahrrad ab, eine weitere steigt aus dem Auto und noch eine Frau nähert sich auf dem Gehsteig. Keine ohne zusammengerollte Yogamatte. Die lugt hier aus einer Tasche, baumelt dort an einem Band über der Schulter oder wird unterm Arm getragen. Jede gerollte Matte, die vor der Schule auftaucht, hat eine andere, leuchtende Farbe. Dunkelblau, hellblau, violett, giftgrün, gelb …
Manchmal bringt uns die Straße Bilder, die sehr beiläufig anrühren und auf unerklärliche Weise beruhigen. Das Leben geht weiter, und man weiß die Welt im Lot und Mitmenschen gut aufgehoben. Niemand spricht, die Frauen, die vermutlich einen Volkshochschulkurs in der Schule besuchen, wirken auf sich konzentriert und entschlossen. Man selbst ist nur Passant, dies alles im Vorbeigehen registrierend – auch, dass wohl kein Mann mit Yogamatte auftauchen wird. Kein Blick zurück, die Szenerie vor der alten Schule hat sich auch schon aufgelöst, noch eine Frau auf dem Fahrrad begegnet einem an der nächsten Straßenkreuzung, eine giftgrüne Yogamatte auf dem Gepäckträger, Ballettschuhe an den Füßen.
Und? Was sagt uns das jetzt? Manchmal haben Beobachtungen eine Wellenlänge, die weiter trägt als bis zur nächsten Straßenecke. Im Kopf das Weiterspinnen: Wie nach der Yogastunde die Frauen mit ihren zusammengerollten dünnen Matten, jede in einer anderen Farbe, aus der Schule in den Abend treten und in alle Himmelsrichtungen sich auf den Heimweg machen. Das Gefühl, etwas nur für sich getan, sich gegen Müdigkeit und Trägheit noch einmal aufgerafft zu haben, das kleine Geschenk von Abendzufriedenheit …