Wer ohne Sünde ist…
„Sie hat es gemacht“, flüstert meine Tochter Maria mit gehetzter Stimme in den Hörer. „Nein!“, sage ich, „Wann?“„Gerade eben“, sagt Maria. Lena hat sich entschieden. Sie hat es gemacht.
Ich kannte Lena, die 17-jährige Klassenkameradin meiner Tochter, gar nicht. Vor einigen Wochen erzählt mir Maria von ihr. „Mama, Lena ist schwanger.“Ich bin traurig. Das arme, dumme Mädchen. „Und der Freund?“, frage ich. „Der ist ein A….!“, ruft Maria und erklärt, dass der werdende Vater keinen „Bock auf ein Baby hat“. „Ich lasse sie nicht im Stich!“, sagt sie und geht mit Lena zum Frauenarzt, zur Beratung, sie sind ständig per WhatsApp verbunden. Ich bin stolz auf sie.
Dann vergesse ich Lena. Familienfest: Es wird gelacht, geplaudert, Zukunftspläne werden gemacht. Meine Töchter suchen spaßhalber nach Namen für ihre zukünftigen Kinder. „Ich wüsste nicht, ob ich den Mut hätte, ein behindertes Baby wirklich anzunehmen“, überlegt Maria. Sie war schon immer ehrlich und geradeheraus. „Aber wenn es doch deines wäre“, wendet ihr Mann ein, „dein Baby, aus deinem Bauch!“
Wieder vergeht eine Zeit. Maria ruft an. „Erinnerst du dich an Lena?“Ja, klar, jetzt fällt mir die schwangere Lena ein. Ich wollte ihr helfen. Ich schreibe ihr einen kurzen Brief: „Ich helfe Dir, Lena, auch finanziell.“Ich rufe eine Bekannte an, die in einer Lebensrechtsgruppe arbeitet. Ich gebe Lena ihre Nummer. „Sie kann dir helfen, Lena.“
Drei Tage später kommt dieser Anruf von meiner Tochter. Sie wartet mit Lena beim Gynäkologen. Lena hat es gemacht und bereits die Tabletten genommen. In zwei Tagen wird sie weitere nehmen, wird bluten und nach vier Stunden nach Hause gehen …
Ich sitze zusammen mit meiner Tochter schweigend im Café. In Deutschland werden jährlich 100 000 Babys abgetrieben“, sage ich tonlos. Maria antwortet: „Lenas Kind ist Nummer 100001.“Wir haben doch Lena begleitet. Haben wir sie wirklich begleitet?