Ein Haus des Lebens für Todkranke
Um sterbende Menschen besser umsorgen zu können, wird in Kempten im Allgäu ab Juli neu gebaut. Die Kartei der Not unterstützt das Leuchtturm-Projekt
Kempten Umsorgt sein. Zuwendung spüren und menschliche Wärme. Das ist es, wonach sich todkranke Menschen in der letzten Phase ihres Lebens sehnen. Das gilt auch für die 67-jährige Gabriele C. Die zierliche Frau mit den feinen Gesichtszügen leidet an einer unheilbaren Lungenerkrankung und weiß, dass ihre Kräfte von Tag zu Tag weiter schwinden werden. Sie ist auf künstlichen Sauerstoff angewiesen, kann sich nur noch mühsam fortbewegen. Und doch empfindet die Mutter von zwei erwachsenen Kindern ein „Gefühl von Happy End, bevor der Vorhang fällt“. Maßgeblichen Anteil daran hat das Allgäu Hospiz in Kempten, in dem Gabriele C. seit einiger Zeit intensiv betreut wird. Das Hospiz ist für die 67-Jährige das exakte Gegenteil eines Sterbehauses: Es ist ein Haus des Lebens.
Dabei steht die 2003 eröffnete Einrichtung, die einzige ihrer Art in Südschwaben, vor großen Veränderungen: Ende 2019 wird ein Neubau das überalterte und bereits abgerissene Vorgängergebäude ersetzen. Derzeit sind die Patienten in einem provisorisch eingerichteten Trakt im nahen Margaretha- und Josefinenstift untergebracht. Ihre Zahl kann ab Ende 2019 von acht auf zwölf wachsen. In einer späteren Ausbaustufe sollen dann 16 Menschen aus der Region von 45 Ärzten und Pflegekräften betreut werden. „Der Bedarf wäre noch größer“, sagt Alexander Schwägerl, der ehrenamtliche Geschäftsführer des verantwortlichen Hospizvereins, und verweist auf eine Warteliste mit über 20 Menschen.
Bereits im Juli werden die ersten Bagger anrollen. Auf 6,9 Millionen Euro veranschlagt Schwägerl die Gesamtkosten. Doch nur etwa ein Drittel davon übernehmen Städte, Bezirk und Freistaat. Umso mehr ist der Verein auf Spender wie die Kartei der Not angewiesen. Das Leserhilfswerk unserer Zeitung wird das Leuchtturm-Projekt in besonderem Maß unterstützen: Es beteiligt sich mit 214 000 Euro und ermöglicht so die Verwirklichung eines wesentlichen Bausteins des Neubaus: Die Anlage zweier Atriumgärten, die sich als grüner Riegel zwischen die Gebäudeflügel schieben – zwei Oasen, die Lebendigkeit vermitteln, indem sie die Patienten Luft, Sonne, Wind und Regen hautnah spüren lassen.
Die Gäste, wie Geschäftsführer Schwägerl die Bewohner respektvoll nennt, sollen sich aber nicht nur an Bäumen, Gräsern, Blumen und Wasserspielen erfreuen. „Wir wollen dort auch Kontakte stärken und Berührungspunkte untereinander schaffen.“Alles zusammen mache die Gärten zu einem in Bayern einmaligen Hospiz-Element. Dafür sei man dem Hilfswerk sehr dankbar.
Das Engagement der Kartei der Not zeigt aber noch weitere Wirkung. Es hilft bei der Anschaffung teurer medizinischer Pflegemittel wie Sauerstoffkonzentratoren. Dank der Großspende kann das Hospiz zudem einen Begegnungsraum ausstatten, in dem Kranke und ihre Angehörigen gemeinsam spielen oder kochen. „Diese entspannte Zeit miteinander tut unseren Gästen unheimlich gut“, freut sich Schwägerl.
Das Kuratorium der Kartei der Not sei sofort begeistert gewesen von dem Projekt, erläutert Arnd Hansen, der Geschäftsführer des Hilfswerks. Schließlich sehe die Satzung neben der breit gefächerten Einzelfallhilfe auch die Unterstützung von Einrichtungen vor, die unverschuldet in Not geratenen Menschen beistehen. Die Kuratoriumsvorsitzende Ellinor Scherer und ihre Stellvertreterin Alexandra Holland sehen im Hospiz ein Musterbeispiel für gelebte Mitmenschlichkeit. „Menschen einen friedlichen Abschied in Würde zu ermöglichen, ist uns ein großes Anliegen in einer Zeit, in der der FamilienzusammenLandkreise, halt immer mehr schwindet“, betont Ellinor Scherer.
Wobei das Hospiz nicht nur betagte Menschen beherbergt. „Der Tod schaut nicht aufs Alter“, sagt Alexander Schwägerl und verweist darauf, dass mancher Gast erst 20 oder 30 Jahre alt ist. Zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten bewegt sich die Aufenthaltsdauer der Bewohner. Eine zeitliche Befristung gibt es nicht. Das gilt auch für Gabriele C. Sie hat dem Tod deutlich mehr Zeit abgetrotzt, als die Ärzte prognostiziert hatten. Wie viele Tage bis zu ihrem „Happy End“noch bleiben, weiß die 67-Jährige nicht. Sie weiß nur eines: „Ich genieße hier jeden Tag.“