Die heimlichen Deutschen
Deutschstämmige Amerikaner sind die größte Minderheit der USA. Doch sie waren lange unsichtbar, verleugneten sogar ihre Sprache. Heute läuft in den Kneipen wieder Bundesliga
Minneapolis Jörn Commers war froh, als er Anfang der 60er Jahre in seiner Fußballmannschaft in Minneapolis andere Deutsche kennenlernte. Commers war ein junger Student aus Neumünster, der als Baltikumdeutscher einen Gutteil seiner Jugend in Flüchtlingslagern zugebracht hatte. Jetzt war er wieder alleine in der Fremde. Und blieb es auch, denn die Deutschamerikaner wollten damals unsichtbar bleiben in Amerika. „Die hatten eigentlich gar keine Lust, deutsch zu sprechen“, erinnert sich Commers.
Er lebt noch immer in Minnesota, als Collegeprofessor im Ruhestand und hat Kinder und Enkelkinder. Er liest deutsche Zeitungen und verfolgt die Geschicke seines Lieblingsvereins Borussia Dortmund. Wenn in Minneapolis Filme in deutscher Sprache laufen, geht er mit seinem ältesten Sohn hin.
Lange waren die Deutschamerikaner besorgt, als Deutsche erkannt zu werden. Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, brach sich eine antideutsche Hysterie Bahn. Deutschstämmige Amerikaner standen unter Generalverdacht, Spione oder Saboteure zu sein. Hunderte wurden interniert oder unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet, teils sogar ermordet.
Der Zweite Weltkrieg gab dem Selbstbewusstsein der Deutschamerikaner den Rest. Obwohl Franklin D. Roosevelt sich alle Mühe gab, eine ähnliche Stigmatisierung wie im Ersten Weltkrieg zu verhindern, war das Ansehen der Deutschen in Amerika 1945 an einem absoluten Tiefpunkt. Und das, obwohl tausende vor dem Horrorregime der Nazis nach Amerika geflüchtet waren. Allein im New Yorker Stadtteil Washington Heights lebten damals rund 25000 von ihnen, die alle den
lasen – jene deutsch-jüdische Exilzeitung, die mit Autoren wie Thomas Mann, Oskar Maria Graf oder Albert Einstein zum wichtigsten Sprachrohr der Emigranten in Amerika geworden war. Die amerikanische Journalistin Mimi Sheraton erinnert sich, dass es bis 1943 durchaus ein New Yorker Familienvergnügen war, in die Bäckereien und Restaurants des deutschen Viertels Yorkville zu gehen – auch unter jüdischen Familien wie der ihren. Später, als in den USA immer mehr Details über den Holocaust bekannt wurden, ging man dort nicht mehr hin. Viele Deutsche tauchten aus der öffentlichen Wahrnehmung ab.
Heute leben in den USA 46 Millionen Amerikaner deutscher Abstammung – deutlich mehr als englischer, italienischer oder mexikanischer. Und doch gibt es im amerikanischen Alltag nur noch wenige Spuren deutschen Lebens. Nehmen wir New York. Wenn man durch die Lower East Side streift, wo um 1900 rund 50000 Deutsche lebten, muss man sehr genau hinschauen, um Überreste zu finden. Da ist die Fassadeninschrift an der Nummer 12 St. Marks Place, die an die deutschamerikanische Schützengesellschaft erinnert. Und da ist die Public Library an der Second Avenue, über deren Eingang die Worte „Freie Bibliothek Lesehalle“graviert sind.
Spuren deutschen Lebens in New York findet man heute stattdessen in den Kneipen- und Szenevierteln auf der Lower East Side und in Brooklyn. Deutsche Küche und deutsche Bierseligkeit haben unter den Hipstern New Yorks Konjunktur.
Dennoch ist es verblüffend, wie unterrepräsentiert die Deutschen in der amerikanischen Gesellschaft geblieben sind. Es scheint, als wollten sie von Anfang an nur ihre Ruhe haben. Gleich, ob es die pfälzischen Mennoniten von Pennsylvania im 17. Jahrhundert waren, die politischen Flüchtlinge nach der gescheiterten Revolution von 1848 oder die vielen Hunderttausende, die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Hoffnung auf ein besseres Leben im New Yorker Hafen ankamen und sich mit sprichwörtlicher deutscher Tüchtigkeit als Handwerker und Kaufleute eine Existenz aufbauten.
Im US-Alltag mag das Deutschsein nur eine geringe Rolle gespielt haben, doch auf die Kultur wirkte es sich sehr wohl aus. Exildeutsche von Josef von Sternberg bis Marlene Dietrich bestimmten die große Zeit von Hollywood mit. Das amerikanische Bildungssystem beruht auf dem preußischen. Die amerikanische Nachkriegsarchitektur war stark vom deutschen Bauhaus geprägt, dessen wichtigste Vertreter, Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius, in die USA emigrierten.
Und in Minnesota, der Heimat von Jörn Commers? Die deutsche Community steht dort wieder zu ihrer Herkunft. Die meisten sagen: „Ich bin sowohl Deutscher als auch Amerikaner.“