Briten kommen beim Brexit nicht voran
Das britische Unterhaus debattiert über das EU-Austrittsgesetz. Das ist eine Machtprobe zwischen Parlament und Regierung, deren Ausgang noch offen ist
London Die Machtprobe um den EU-Austritt der Briten spitzt sich immer weiter zu und zeigt, in welcher Krise die regierenden Konservativen stecken. Noch bevor das britische Unterhaus am Dienstag und am Mittwoch über wichtige Änderungen am EU-Austrittsgesetz abstimmt, ist der Unterstaatssekretär Philipp Lee aus Protest gegen die Brexit-Politik seiner Regierung zurückgetreten. Er gilt als proeuropäisch und begründete seine Entscheidung damit, dass er so besser für seine Wähler und sein Land sprechen könne. An dem Beispiel zeigt sich gut, vor welcher Machtprobe die britische Premierministerin Theresa May steht.
In der Unterhaus-Debatte geht es um das sogenannte EU-Rückzugsgesetz. Es soll die künftige Beziehung zur Europäischen Union näher beschreiben. Während die Hardliner den klaren Bruch wünschen, fordern etliche proeuropäische Parlamentarier, mit Brüssel über einen Verbleib in der Zollunion zu verhandeln, um den Schaden für die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. Politische Kommentatoren auf der Insel kritisieren seit langem, dass die tief gespaltenen Konservativen wertvolle Zeit damit vergeuden, untereinander über die richtige Austrittsstrategie zu streiten, anstatt mit Brüssel den Weg für die Zukunft zu ebnen.
Die Uhr tickt. Bereits am 29. 2019 treten die Briten offiziell aus der Gemeinschaft aus. Was dann folgt, ist noch immer unklar. May versucht seit Monaten die lautstarken Brexit-Fans in den eigenen Parteireihen zufrieden- und gleichzeitig ihre Autorität wiederherzustellen. Es gelingt ihr nur bedingt. Mit der Abstimmung über das EU-Rückzugsgesetz droht in dieser Woche im Parlament ein Aufstand der anderen Seite, der proeuropäischen Kräfte.
Und sollten sich einige proeuropäische Rebellen in den Reihen der konservativen Torys bei einzelnen Punkten, etwa dem Verbleib in der Zollunion, mit der Opposition zu- sammenschließen, wäre das eine herbe Schlappe für die angeschlagene Premierministerin.
Die Brexit-Fans fordern bislang auf jeden Fall, sowohl die Zollunion als auch den Binnenmarkt zu verlassen. Doch sehr viel konkreter wurden die Brexit-Fanatiker, deren Ideologie zunehmend mit der Realität kollidiert, bislang nicht. So steht etwa noch immer eine Lösung für die künftige Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland aus – genauso wie ein detaillierter Plan für das Verhältnis zwischen der Union und dem Königreich.
In der Wirtschafts- und FinanzMärz welt herrscht mittlerweile nicht mehr nur Verwirrung, sondern Frustration und Ernüchterung über die gespaltene Regierung, die abgetauchte Opposition, über das Chaos und die Ungewissheit. Ursprünglich sollte das Papier, das die britische Vorstellung von der künftigen Beziehung zwischen London und Brüssel skizziert, zur Sitzung des EU-Rats Ende Juni vorliegen. Nun peilen die Briten Oktober an, wenn die Vertreter der Mitgliedstaaten erneut zusammenkommen. Und die Regierung wird sich einfach nicht einig. So stritten Minister wochenlang auf offener Bühne über zwei Ideen für eine Zollunion, die schon vor ihrer endgültigen Veröffentlichung von Brüssel als undurchführbar zurückgewiesen wurden. Beobachter schütteln den Kopf.
Vergangene Woche wollte May offenbar Kompromissbereitschaft signalisieren und schlug vor, Großbritannien könne sich bis Ende 2021 an die Regeln von Zollunion und Binnenmarkt halten, wenn es vorher keine Lösung für die irische Grenze gebe. Die EU lehnte das umgehend ab, die für den nördlichen Landesteil Nordirland entworfene Notfalllösung, die eine harte Grenze samt Grenzkontrollen verhindern soll, könne keineswegs auf das gesamte Königreich ausgedehnt werden, hieß es. May aber will keine Sonderlösungen für die ehemalige Konfliktregion zulassen. Die Briten stehen wieder da, wo sie schon vor Wochen standen: irgendwo im Kreis.