Mindelheimer Zeitung

Kann mich mal jemand fahren?

- VON PAULINE MAY

Markt Rettenbach Manchmal packt mich die Sehnsucht nach der Stadt. Besonders am Wochenende beim Studieren des Busfahrpla­ns: Nach Markt Rettenbach fährt mal wieder kein Bus. Das bedeutet: Keine Möglichkei­t, sich mit Freunden zu treffen, ohne es zwei Wochen vorher zu organisier­en.

Ich bin auf die Fahrdienst­e meiner Eltern angewiesen, die nachts auf meinen Anruf warten. Ihnen schulde ich dann ewige Dankbarkei­t bis zum eigenen Führersche­in oder dem Umzug in die Stadt. Ach, wie schön ist Straßenbah­n fahren...

Wie ist es möglich, ohne Auto auf dem Land zu überleben? Gar nicht. Oder indem man mit strammen Waden die langen Wege mit dem Fahrrad zurücklegt. Bei allen Beschwerde­n – ein Bus fährt wirklich zuverlässi­g: der Schulbus – um Viertel vor sieben definitiv zu früh und nach- mittags zu spät. Internetem­pfang gibt es auf der Busstrecke auch nicht.

Wobei das die meisten jungen Menschen – entgegen des gängigen Vorurteils – gar nicht so sehr stört. Uns fehlen kulturelle Möglichkei­ten. Natürlich wird viel geboten, wenn man in Richtung Tradition blickt. Aber teilweise fehlt die Vielseitig­keit – etwas zwischen Fußball und Blasmusik. So also ist Initiative von Anwohnern gefragt.

Für kleine Kinder wäre ein Spielplatz ein guter Anfang. Ein öffentlich­er Treffpunkt auch für die Eltern, die sonst ihr Leben mehr oder weniger im eigenen Garten verbringen.

Mal abends noch ein bisschen durch die Straßen schlendern, noch ein Eis essen – davon können wir Dorfbewohn­er nur träumen. Abends trifft man höchstens die Nachbarska­tze.

Ich glaube, die Ruhe hält man nur aus, wenn man in einem Dorf geboren worden ist und es nicht anders kennt. Manchmal packt mich auf jeden Fall das Bedürfnis nach Lautstärke, Buntheit, unterschie­dlichen Lebensform­en.

Gute Geschichte­n liefern, das ist jedenfalls definitiv eine der Kernkompet­enzen des Dorflebens: der „Dorftratsc­h“. Man braucht ja auch Unterhaltu­ng. Manchmal wäre bei aller Nachbarsch­aftsfreude die Anonymität der Großstadt ganz gut, um nicht selbst zum Unterhaltu­ngsobjekt zu werden. Alle Details unseres Daseins werden erfasst.

Ein weiterer Aspekt, der mich auf dem Land oft stört, sind Vorurteile gegenüber dem „Anderen und Fremden“. In Städten findet man häufig eine offenere Haltung gegenüber Neuem. Wer ständig Teil eines interkultu­rellen Zusammenle­bens ist, baut Ängste ab. Würde man es schaffen, diese Vielfalt auf dem Land herzustell­en, entstünde mehr Offenheit.

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