Ein Tanz durchs ganze Leben
„Wechselt die Musik, ändert sich auch der Tanz“– dieses Sprichwort, das am Beginn des Romans „Swing Time“steht, verdeutlicht sehr gut, was im Buch näher beschrieben wird: Die Kunst, im Takt zu bleiben, auch wenn sich immer wieder neue Herausforderungen ergeben. In diesem Fall Herausforderungen, die auf zwei kleine Mädchen aus dem Londoner Norden warten. Am Anfang steht deren Begegnung vor einer Ballettstunde, bei der sie sich direkt voneinander angezogen fühlen.
Die beiden Afroamerikanerinnen verbindet die Liebe zur Musik, die Hautfarbe, der Geburtsort. Beide wollen Tänzerinnen werden. Jedoch hat nur die eine Talent: Tracey, Tochter einer alleinerziehenden Mutter, deren einzige Ambition ihre Tochter ist. Die namenlose Erzählerin erkennt das, vergleicht sich oft mit Tracey. Es entwickelt sich eine Freundschaft, auch wenn die Mutter der Erzählerin dagegen ist. Diese, eine Intellektuelle und Feministin, will den Vorort verändern und kann wenig mit der herrschenden Realität anfangen. Sie sagt kluge Sätze wie: „Die Leute sind nicht arm, weil sie schlechte Entscheidungen getroffen haben. Sie treffen schlechte Entscheidungen, weil sie arm sind.“Und erwartet von Kind und Partner Revolutionen, denen Freundinnen, die angeblich schlechter Einfluss sind, natürlich im Weg stehen würden.
Es geht in „Swing Time“um den Wunsch, sich aufzulehnen, und darum, wie dieser durch unsere Herkunft geprägt wird, wie die Art der Revolution oft nicht mit unserer Umgebung konform geht. Das lernt auch die Erzählerin, die sich im Erwachsenenalter als Assistentin einer berühmten Sängerin wiederfindet. Diese will in Westafrika eine Schule gründen und beide reisen dorthin. Voller Ideen, voller Visionen – dennoch bringt das Land, in dem ihre Wurzeln liegen, sie zunächst aus dem Rhythmus.
Traceys Weg führt hingegen an einen Ort, an dem Rhythmus notwendig ist, um zu überleben: in die Musicalwelt. Tracey wird Tänzerin. Sie muss allerdings schnell feststellen, dass eine Tanzkarriere nicht von Dauer ist. Sie verlässt die Bühne, bekommt Kinder und kehrt zurück in die Armut.
Auch mit Sängerin Aimee kommt es zu Konflikten, sodass auch die andere Hauptperson sich am Ende dort befindet, wo alles begonnen hat. Die Freundschaft zerbricht an unterschiedlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit und einem „guten“Leben. Was bleibt, ist die Leidenschaft für Musik und Tanz. Und viele Fragen: Haben Hautfarben im 21. Jahrhundert noch eine Bedeutung? Wie beeinflusst uns unsere Herkunft? Welche Chancen bietet das Ausbrechen aus einem Milieu? Findet man Glück nur durch den Ausbruch? Was ist Armut?
Zadie Smith schafft es, dass man darüber nachdenkt, ohne einen zu erdrücken. Sie schenkt dem Leser Charaktere, die man nicht immer versteht. Charaktere, die Fehler machen, die man aber trotzdem nicht hassen kann, weil man ein Stück weit begreift, wieso sie sind wie sie sind. Smith schafft Orte, die man sich lebhaft vorstellen kann: egal, ob die kühle, oberflächliche Welt eines Popstars in New York, das westafrikanische Dorf oder der Norden Londons, aus dem die Autorin selbst stammt – und den sie deswegen wohl auch am lebendigsten beschreiben kann. Smith erzählt vom Leben, dessen Melodie sich immer wieder ändert, ob durch Scheitern oder Erfolg. Aber auch davon, dass es zu jeder Melodie die passenden Bewegungen gibt, also Veränderungen keine Angst folgen muss.
Selbst wenn einem das Buch nicht gefällt, war der Kauf nicht umsonst – die vielen Tanzfilme, die erwähnt werden, sind eine passable Alternative zu High School Musical. Außerdem hat man während des Lesens immer einige Melodien im Ohr, zumindest, wenn man sich die Mühe macht, die erwähnten Lieder und Musicals zu suchen und anzuhören. Und man lernt, wie befreiend es sein kann, einfach loszutanzen. Auch wenn man dafür einige verwirrte Blicke erntet.
Der Liebling