Vom Wir Gefühl und Alltagsfragen
Vor 40 Jahren bekamen einige Gemeinden neue Ortsteile. Und auch die Gründung der Verwaltungsgemeinschaft fällt auf das Jahr 1978. Wie es dazu kam – eine Spurensuche
Babenhausen Wer im Saal des Babenhauser Rathauses sitzt, dessen Blick bleibt gewiss an der Rückwand hängen. Dort sind die Mitglieder der Verwaltungsgemeinschaft bildlich festgehalten: Babenhausen, Kettershausen, Kirchhaslach, Oberschönegg, Egg an der Günz und Winterrieden. Gestaltet wurde die Wand in den 1970er-Jahren – in einer Zeit, in der die Gebietsreform den Freistaat veränderte.
Die meisten der Gemeinden gehörten bis dahin zum Landkreis Illertissen, nur Egg zum Kreis Memmingen. 1972 wurde auf Beschluss der Bayerischen Staatsregierung der Landkreis Mindelheim formiert und später in „Unterallgäu“umbenannt. 1978 – also vor genau 40 Jahren – folgten weitere Veränderungen: Klosterbeuren gab seine Eigenständigkeit auf und wurde zum Babenhauser Ortsteil. Ebenso eingemeindet wurde Unterschönegg, das bis dahin Teil der Gemeinde Oberroth war. Aber auch andere Gemeinden erhielten neue Ortsteile: So gehörte Bebenhausen etwa fortan zu Kettershausen; Greimeltshofen und Olgishofen dagegen zu Kirchhaslach. Und noch ein Ereignis jährt sich heuer: Vor 40 Jahren wurde die VG Babenhausen gegründet.
Wie haben die Bürger diesen Wandel erlebt, der viel mit Zugehörigkeitsgefühl zu tun hat, mit Identität und auch mit rein pragmatischen Gedanken? Fügte sich damals zusammen, was zusammen gehörte? Oder handelte es sich nur um erzwungene Veränderungen?
Die Spurensuche führt zu Dieter Spindler. Der Heimatforscher aus Babenhausen hat Unterlagen aus diesen Jahren gesammelt, er besitzt Ordner voller Zeitungsartikel. „Landkreis wird größer“lautet eine Überschrift, eine andere „Reform geht in die letzte Runde: Nur 52 Gemeinden bleiben übrig“– was verdeutlicht, wie sehr sich die kommunale Landschaft wandelte.
Ein Bericht aus dem Jahr 1975 ist betitelt mit dem Satz „Gemeindereform ist für den Babenhausener Raum gut gelaufen“. Anlass der Berichterstattung: Die Unterschönegger hatten über die Eingemeindung in den Markt Babenhausen abgestimmt. Das Votum fiel eindeutig: Rund 70 Prozent stimmten dafür – und damit auch für eine „Umkreisung“. Denn bis dato endete das Unterallgäu dort, wo sich heute das Gewerbegebiet am Schöneggweg befindet. Die Entscheidung „trägt auch den überwiegend soziökonomischen Beziehungen Rechnung“, ist im Artikel zu lesen. Spindler beschreibt, was das bedeutet.
Die Einwohner des Weilers fühlten sich schon allein deswegen Babenhausen näher, weil sie in wenigen Minuten dorthin zum Einkaufen fuhren. Auch die Größe der Marktgemeinde und deren Verwaltung seien Argumente gewesen. Hinzugekommen seien bei manchen wohl Erinnerungen an die Schulzeit, vermutet Spindler: Wer unten am Berg gewohnt habe, sei eher in Babenhausen zur Schule gegangen, wer oben wohnte, in Oberroth. Außerdem gab es in Babenhausen ein Krankenhaus. „Das war teils eine ganz logistische Entscheidung“, fasst Spindler zusammen. Ein Relikt der vergangenen Zeit sei geblieben: Noch immer werden Unterschönegger auf dem Oberrother Friedhof bestattet, weil sich dort Familiengräber befinden.
Auch Andreas Graf erinnert sich noch an diese Zeit. Der heute 87-Jährige saß im letzten Klosterbeurer Gemeinderat. Damals stand zur Debatte, ob sich das Dorf Winterrieden oder Babenhausen anschließen wird. Die Bürger sollten abstimmen. „Damit dann nachher keiner sagen kann, das wollte nur der Gemeinderat so“, wie Graf sagt. Das Votum fiel ähnlich hoch aus wie in Unterschönegg: Rund drei Viertel der Einwohner stimmten dafür, ein Babenhauser Ortsteil zu werden. Das habe ebenfalls an Einkaufsmöglichkeiten, Krankenhaus und Schule gelegen.
Jedoch sagt Graf auch: „Wir wären wahrscheinlich auch mit der Eigenständigkeit ganz gut gefahren.“Dabei denkt er etwa an ortsansässige Unternehmen wie das Ziegelwerk, die Steuern eingebracht hätten. Dass sich die Klosterbeurer ein Wir-Gefühl erhalten haben, zeigt sich derzeit am Wunsch eines eigenen Bürgerhauses.
Gemeinden wuchsen zusammen, Grenzen wurden neu gezogen: Das hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, sagt Spindler. Er erzählt von einem „Fleckerlteppich“, der sich einst über Schwaben gespannt hatte – bis zur Säkularisation
im frühen 19. Jahrhundert. Einige Landstriche lagen lange Zeit unter Fuggerscher Herrschaft, etwa das Greuth, Kettershausen und Bebenhausen. Dietershofen und Engishausen dagegen gehörten zeitweise zum Hochstift Augsburg.
Spindler ist zudem davon überzeugt, dass auch landschaftliche Gegebenheiten früher ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gestiftet haben – oder eben nicht. Das konnte ein Wald sein, der zwei Gemeinden trennte. Oder ein Hügel wie der Kohlberg. Sein Eindruck: „Man orientiert sich hier eher nach Memmingen, als nach Mindelheim“. Und das, obwohl die Kreisstadt Luftlinie nicht viel weiter entfernt liegt als Memmingen.
Die VG hat sich letztlich emotional wie historisch zu dem entwickelt, was sie heute ist – mit Sitz in Babenhausen. „Man hat nicht gesagt: Da müsst ihr jetzt hin“, sagt Spindler. „Die historisch-gewachsene Anziehungskraft hat sich darin ausgedrückt – ohne das jetzt patriotisch übersteigern zu wollen.“Jedoch ergänzt er, dass es gewiss Menschen gab, welche lieber die Eigenständigkeit ihrer Gemeinde erhalten hätten.
Dass sich nicht jeder mit der Gebietsreform anfreunden konnte, belegt auch eine Schlagzeile aus dem Jahr 1971: „Protestkorso und Demonstration auf dem Illertisser Marktplatz gegen die Dreiteilung des Landkreises“.
Vorne mit dabei: eine Handvoll Günztalgemeinden, darunter etwa Kettershausen und Bebenhausen. Eines der Argumente: bestehende Schulverbände.
In den Jahren nach der Gebietsreform änderte sich im und um den Fuggermarkt schließlich einiges. Die Realschule wurde gebaut; der Beschluss dazu wurde laut Spindler noch im Landkreis Illertissen gefällt. Die Debatte um das Kreiskrankenhaus kochte auf – letztlich wurde die Einrichtung geschlossen, dafür aber das Kreisseniorenwohnheim St. Andreas eingerichtet. Die Bahnlinie wurde stillgelegt. Gleichzeitig wurde das Gewerbegebiet am Schöneggweg ausgewiesen und damit die Wirtschaft gestärkt. „Man wollte zeigen: Man war was“, so Spindler. Ein weiteres Relikt der Gebietsreform ist übrigens die Illertisser Zeitung. Das Verbreitungsgebiet orientiert sich an den alten Landkreisgrenzen – und die schließen Babenhausen und Umgebung im Unterallgäu ein.