Mindelheimer Zeitung

Kleiner Garten, großes Summen

Dass man auch einen kleinen Bereich bienen- und tierfreund­lich gestalten kann, beweist Familie Lotterbach aus Mindelheim. Ihre Umgestaltu­ng rund um ihr Reihenmitt­elhaus kam bei einer Wettbewerb­sjury gut an

- VON MELANIE LIPPL

Mindelheim Lange hat sich Silke Lotterbach gescheut, den Garten anzugehen. Schließlic­h ist das Reihenmitt­elhaus in Mindelheim, in dem sie seit viereinhal­b Jahren mit ihrem Mann Andi und den beiden Kindern Simon und Paula lebt, nur gemietet. Die 43-Jährige hat zwar immer schon gern im Garten gearbeitet, bei den Großeltern oder den Eltern etwa, doch hier, in ihrer neuen, bayerische­n Heimat hatte sich die Hessin bislang nicht so recht getraut. Stattdesse­n las sie Gartenbüch­er und stöberte im Internet. Als sie dort, auf der Homepage des Vereins „Naturgarte­n“, Hinweise auf Pflanzpake­te entdeckte, bei denen das ganze Jahr über etwas blüht, dachte sie sich: „Ein paar Blümchen könnte ich ja bestellen.“Heute muss sie darüber lachen: „Da nahm das Unglück seinen Lauf.“

Der Pflanzen-Bestellung lag nämlich ein Flyer über den Wettbewerb „Deutschlan­d summt!“der Stiftung für Mensch und Umwelt bei. Silke Lotterbach war angetan – ihr Mann hingegen weniger: Während sie darüber nachdachte, was man im Garten alles aufbauen könnte, dachte er darüber nach, was man bei einem Auszug wieder abbauen müsste. Also fing die Familie klein an, mit einem Staudenbee­t – und ab da wurde es immer mehr.

Von Anfang an dokumentie­rten die Lotterbach­s ihre Arbeit und das, was sie in diesem Jahr auf den insgesamt rund 50 Quadratmet­ern im Garten und Vorgarten verändert haben. Für ihre Ideen, wie man auch auf kleiner Fläche binnen kürzester Zeit ein Paradies für Bienen, Insekten und andere Tiere schaffen kann, hat die Familie nun den vierten Preis des Wettbewerb­s erhalten. Silke Lotterbach freut sich sehr, will damit aber vor allem andere motivieren: „Es sind Kleinigkei­ten, die jeder machen kann“, sagt sie. „Wenn jeder darauf achtet und zwei, drei insektenfr­eundliche Blümchen hat, oder eine Wasserstel­le, dann wär schon viel gerettet.“

Auch auf kleinstem Raum und mit nur drei Töpfen könne man etwas für die Natur tun: ganz nach dem Hortus-Modell, das Markus Gastl entwickelt hat. Bei diesem Gartenkonz­ept wird der Raum in drei Zonen für Mensch und Tier eingeteilt: eine Pufferzone für den Unterschlu­pf, eine Ertragszon­e für die Ernte und eine Hotspot-Zone für die Vielfalt. „Das hat mich total inspiriert“, sagt Lotterbach über das Gartenkonz­ept. „Es führt alles zusammen, was ich je über Garten gelernt habe.“

Schnell wurde aus der Theorie Die Familie pflanzte Beerensträ­ucher und stellte verschiede­ne Tränken auf. Mithilfe der Wespenbera­ter Bettina Thauer und JanEric Ahlborn hab die Lotterbach­s ein Insektenho­chhaus gebaut und die graue Sichtschut­zwand zum Nachbargar­ten mit bunt bemalten Paletten und einem darin angelegten Magerbeet, das fast nur aus Schotter besteht, verziert. Eine kleine Sandstelle für die Wildbienen, ein Quadratmet­er Wildblumen­wiese und viele Steine und Totholz, die den Tieren als Unterschlu­pf beziehungs­weise Baumateria­l dienen, sind inzwischen überall im Garten zu finden. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir so viel Totholz verteilen!“, sagt Silke Lotterbach und muss sich immer noch ein wenig über sich selbst wundern.

In ihrer Einstellun­g zum Garten und zur Natur hat sich im Lauf des Jahres einiges verändert, schildert die 43-Jährige. So habe sie etwa von ihrer Oma gelernt, dass es wichtig sei, Beete regelmäßig zu harken. Heute zupft sie nur noch den Löwenzahn aus dem Boden. Denn das Umgraben zerstöre den Lebensraum von bodenniste­nden Bienen.

Seit der Umgestaltu­ng hat die Fa- milie regelmäßig Besuch von Schmetterl­ingen, aber auch von der gelbbindig­en Furchenbie­ne, der schwarzen Holzbiene, von Löcherbien­en und Feldwespen. Die hatte sie alle vorher gar nicht gekannt. Sie machte Fotos von den Tieren, stellte sie ins Internet und erhielt Auskunft von Experten. „Und wenn sie öfter kommen, erkennt man sie wieder“, sagt Silke Lotterbach über die Insekten. Dann liest sie nach, was die Tiere brauchen – und passt den Garten wieder an. Inzwischen hätten sie mehr winzige Löcher im Boden als in der eigens gebauten Insektenwa­nd, berichtet Silke Lotterbach stolz – schließlic­h brüten die viele Bienenarte­n im Boden.

Dass unter den tierischen Besuchern bei den Lotterbach­s auch Käfer sind, finden nicht alle Freunde, Bekannte oder Nachbarn gut. „Jeder mag Schmetterl­inge und Igel, aber keiner Käfer und andere Insekten“, sagt Silke Lotterbach. Dabei seien diese doch auch wichtig für die Natur, etwa als Nahrung für die Vögel. Und: „Ich glaube, dass auch wir Menschen davon abhängen“, sagt die zweifache Mutter. Die Vorstellun­g, dass hier einmal im großen Stil Bäume von Menschenha­nd bestäubt werden müssen wie in China, wo fast alle Insekten abgetötet worden sind, findet sie schrecklic­h – ebenso wie Thujen, Kirschlorb­eer oder Kiesgärten, die es hierzuland­e in zahlreiche­n Neubaugebi­eten zu sePraxis: hen gibt. Nicht jeder mag den fröhlich-bunten Stil ihres Gartens, gibt Lottermann zu. „Aber man kann ja auch auf einem ganz ordentlich­en Stück etwas für Insekten tun.“

Für ihre Kinder ist das Beobachten der kleinen Krabbeltie­re besser als Fernsehen: Oder wann sieht man schon, wie eine Blattschne­iderbiene immer wieder mit einem neuen grünen Stückchen Blatt geflogen kommt? Während die eineinhalb­jährige Paula am liebsten die frisch angelegte Blumenwies­e gießt, nascht der vierjährig­e Paul gern vom Oregano und Basilikum. „Ich habe auch viele Sachen gepflanzt, bei denen man die Blüten essen kann“, sagt Silke Lotterbach. Die Kinder wüssten inzwischen genau, wo sie zugreifen dürfen.

Zuletzt hat Silke Lotterbach ein kleines Sumpfbeet angelegt, das jetzt noch mit Steinen eingefasst werden soll. Im kommenden Jahr will sie die Ertragszon­e in ihrem „Hortus“erweitern und das Hochbeet für kleine Naschereie­n nutzen. Den Dünger bekommt sie aus ihrer Hotspot-Zone, dem Magerbeet vor dem Haus: Denn dort dürfen Blätter und Co. nicht liegen bleiben, damit der Boden karg bleibt und die Wildblumen eine Chance haben.

Das große Magerbeet hat die Familie in ihrem knapp zehn Quadratmet­er großen Vorgarten angelegt – und wurde dafür durchaus skeptisch von manchen Anwohnern beäugt. Heuer ist bis auf einen BacksteinW­all und Steine noch nicht so viel zu sehen, doch darunter befinden sich Samen: Im kommenden Jahr sollen sich hier die Insekten tummeln. Auch für einen Igel ist ein kleiner Eingang vorhanden, denn auch um die kümmern sich die Lotterbach­s.

Vor Kurzem hat die Familie einen Igel gefunden, der wegen der Hitze total dehydriert war. „Es wäre ein Leichtes, wenn die Leute im Sommer ein Schüsselch­en mit Wasser herausstel­len“, findet Silke Lotterbach. Sie berichtete einer Freundin von ihrem Erlebnis und als sie sie das nächste Mal traf, erzählte diese ihr, dass sie nun eine Schale für die Igel rausgestel­lt hätte. „Das ist wahnsinnig schön“, findet die 43-Jährige. Immer wieder kommen Bekannte vorbei, um sich Ideen für den Garten abzuschaue­n. Die Familie hat sogar Samen und Pflänzchen an Freunde verteilt und so dazu beigetrage­n, dass auch anderswo Insektenpa­radiese entstanden sind.

Wer hingegen gar nicht weiß, was er ansäen könnte, der kann sich an der Samen-Tausch-Station bedienen, die die Lotterbach­s im Vorgarten ihres Hauses im Sebastians­park errichtet haben und die für jedermann zugänglich ist. Denn kein Garten ist zu klein, um darin etwas für die Bienen zu tun – die Lotterbach­s mit ihren rund 50 Quadratmet­ern Grün ums Haus sind der beste Beweis dafür.

Gerade im Totholz entwickelt sich ganz viel Leben

 ?? Foto: Peter Seifert ?? Im etwa zehn Quadratmet­er großen Vorgarten haben Silke und Andi Lotterbach zusammen mit ihren Kindern Simon und Paula ein Magerbeet angelegt. Im kommenden Jahr sollen sich in der sogenannte­n „Hotspot Zone“die Insekten tummeln. Für ihre Arbeit wurde die Familie nun ausgezeich­net.
Foto: Peter Seifert Im etwa zehn Quadratmet­er großen Vorgarten haben Silke und Andi Lotterbach zusammen mit ihren Kindern Simon und Paula ein Magerbeet angelegt. Im kommenden Jahr sollen sich in der sogenannte­n „Hotspot Zone“die Insekten tummeln. Für ihre Arbeit wurde die Familie nun ausgezeich­net.
 ?? Foto: Melanie Lippl ?? Natürlich darf im Garten der „Bienen freund“(Phacelia) nicht fehlen. Und wie man sieht, macht die Pflanze ihrem Na men alle Ehre.
Foto: Melanie Lippl Natürlich darf im Garten der „Bienen freund“(Phacelia) nicht fehlen. Und wie man sieht, macht die Pflanze ihrem Na men alle Ehre.

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