Wie sicher sind Klettersteige?
Fast jedes zweite Alpenvereinsmitglied ist zumindest manchmal auf Eisenwegen unterwegs. Der Boom ist seit über zehn Jahren ungebrochen. Jetzt gab es wieder einen tödlichen Unfall. Was Experten raten
Kempten Vergangene Woche ist am Hindelanger Klettersteig eine 22 Jahre alte Studentin aus dem Raum Augsburg in den Tod gestürzt, am Sonntag verunglückte im Tiroler Außerfern ein 26-Jähriger aus Deutschland am Klettersteig „Tajakante“bei Ehrwald. Er wurde mit einer schweren Schulterverletzung ins Krankenhaus geflogen. Seit über zehn Jahren zählt Klettersteiggehen zu den beliebtesten Bergsport-Disziplinen. In Anbetracht der vielen Bergsportler auf Klettersteigen sei die Unfallgefahr auf den gesicherten Steigen trotzdem nicht besonders groß, sagt Bernd Zehetleitner, staatlich geprüfter Bergführer und Bereitschaftsleiter der Bergwacht in Sonthofen.
Alpenvereins-Sprecher Thomas Bucher bemüht die Statistik: Demnach haben bei einer Mitgliederbefragung 45 Prozent angegeben, zumindest manchmal einen gesicherten Eisenweg zu begehen. Dafür gibt es einige Gründe: Anders als richtiges Klettern kann es relativ schnell erlernt werden und die benötigte Ausrüstung kostet nicht viel. Zudem kann der Begeher einer Via ferrata („Eisenweg“) bei vielen Routen die Atmosphäre nachvollziehen, die ein richtiger Kletterer in einer großen Wand erlebt.
Generell unterschieden wird zwischen den modernen Sportklettersteigen und klassischen gesicherten Touren wie Hindelanger oder Mindelheimer Klettersteig. Bei modernen Anlagen gibt es ein durchgehendes Sicherungsseil, der Kletterer eines solchen Steiges ist also jederzeit selbst gesichert – vorausgesetzt, er hängt sich ein.
Anders bei vielen klassischen Touren: Beispielsweise sind am Hindelanger Klettersteig viele, oft längere Passagen zu begehen, an denen kein Sicherungsseil angebracht ist. Bergführer Zehetleitner ist dort ungezählte Male mit Gästen unterwegs gewesen. „An nicht gesicherten Stellen nehmen unsere Bergführer unsichere Geher ans kurze Seil“, berichtet Zehetleitner. Das heißt: Die Gäste seien auch dort sicher, wo es keine Sicherungen gibt. Man könne und wolle aber wohl nicht alle Schwierigkeiten entschärfen.
Der Alpinexperte hat auch schon Klettersteiggeher beobachtet, die hoffnungslos überfordert waren. Diese hätten nicht einmal gewusst, wie sie ihren geliehenen Klettergurt anziehen und sich vernünftig sichern. Der Bergführer sagt: „Da muss man sich manchmal wundern, dass nicht mehr passiert.“Beim Deutschen Alpenverein registriert man seit Jahren eine Zunahme sogenannter Blockaden. Die Leute seien überfordert und kämen nicht mehr vor noch zurück, schildert Pressesprecher Bucher. Sie seien physisch oder psychisch am Ende – oder beides. Oft hilft dann nur noch der Notruf und der Bergwacht-Einsatz.
Der ungebrochene Bergboom führt häufig auch dazu, dass alpin zu wenig versierte Wanderer und Bergsteiger von gut erschlossenem Gelände in die „alpine Wildnis“gelangen. „Der Übergang ist eben fließend“, erzählt Bucher. Und die Erwartungshaltung, dass alles von Anfang bis Ende gesichert sein soll, hänge vielleicht auch mit der Vollkasko-Mentalität vieler Menschen zusammen: „Dieser Anspruchshaltung begegnen wir ja auch in vielen anderen Bereichen.“
Wer das Gehen auf Klettersteigen von der Pike auf erlernen will, kann dies bei einer Bergschule tun. Auch viele Alpenvereins-Sektionen bieten Kurse an. Alpine Erfahrung könne letztlich aber nur derjenige sammeln, der häufig im wechselnden Gelände unterwegs ist, sagt Thomas Bucher.