Mindelheimer Zeitung

Zwei Kriege prägten ihr hundertjäh­riges Leben

Was der Erste Weltkrieg mit Frieda Voglers Namen zu tun hat

- (lekkü, jd)

Mussenhaus­en Es ist der 7. November 1918. Vier Jahre dauert der Erste Weltkrieg nun schon. Während in München Menschen für den Friedenssc­hluss demonstrie­ren, wird in Hertingen bei Nesselwang ein kleines Mädchen geboren. Eigentlich hätte sie Rosa Hindelang heißen sollen, doch am 11. November, geschieht das, was sich 2018 zum hundertste­n Mal jährt: Der Erste Weltkrieg ist vorbei. „Und weil dann Frieden war, haben meine Eltern mich Frieda genannt.“

Frieda Hindelang heißt heute Vogler und lebt im Marienheim in Mussenhaus­en. Während der Rest Deutschlan­ds sich in diesen Tagen an 100 Jahren Kriegsende erinnert, feiert sie ihren 100. Geburtstag.

Der Erste Weltkrieg prägte nicht nur ihren Namen, sondern auch ihr Leben: Frieda Voglers Vater bekam zur Geburt seines dritten Kindes Fronturlau­b – dass Friedas Geburt mit dem Kriegsende zusammenfi­el, brachte ihr beim Vater eine Sonderstel­lung ein: „Ich war immer sein Liebling“, erzählt die 100-Jährige.

Sechs Kinder gehören zur Familie Hindelang – bis Friedas Mutter plötzlich noch einmal schwanger wird: Um mit dem Nachzügler nicht allein zu sein, bittet sie Frieda, ihr zur Hand zu gehen. „Bei der Geburt hat die Hebamme dann gesehen, dass ich das gut kann, und meinte: Frieda, das wär’ doch was für dich!“

Die junge Allgäuerin findet tatsächlic­h Gefallen an der Arbeit und geht nach Burgau ins „Schulungsl­ager“. „Das war schon im Dritten Reich, da hieß das so“, erzählt Frieda Vogler. Sie wird zur NSV-Haushaltsh­ilfe ausgebilde­t. NSV steht für Nationalso­zialistisc­he Volkswohlf­ahrt.

Als Frieda Vogler im Jahr 1940 – Hitler hat bereits den Zweiten Weltkrieg ausgelöst – auf einem Bauernhof eine Wöchnerin betreut, erleidet der Bauer im Stall nebenan einen Schlaganfa­ll. Er liegt im Sterben und hat einen Wunsch: Dass „Nein, absolut nicht. Ich bin überhaupt kein Faschingsm­ensch und habe mir noch nie etwas daraus gemacht. Jetzt, wo meine Tochter auf der Welt ist, erst recht nicht. Allerdings werde ich später, wenn es sich ergibt, ihr zuliebe zum Kinderfasc­hing gehen.“ die junge Hebamme, die seit Wochen in der Gegend arbeitet, seinen Sohn heiratet. „Der Funke war schon vorher übergespru­ngen und 1942 haben wir geheiratet“, erzählt die 100-Jährige. Im November 1943 kam der gemeinsame Sohn auf die Welt.

Da ist Frieda Voglers Mann Josef schon nicht mehr im Allgäu. Als Mitarbeite­r einer Baufirma aus Immenstadt wurde er nach Polen versetzt: „Die mussten dort zerstörte Brücken und Bahnhöfe wiederaufb­auen.“Erst im April 1944 wird er eingezogen. „Aber er hat immer fleißig Briefe geschriebe­n“, betont Frieda Vogler. Josef Vogler schreibt, wie sie 1944 an der Front Weihnachte­n und Silvester gefeiert haben. „Dann kam nichts mehr“, sagt Frieda Vogler. Sie macht sich Sorgen, bis ein Brief aus einem Lazarett in Polen kommt: „Da hat der Bettnachba­r meines Mannes geschriebe­n, dass er einen Lungenstec­kschuss abgekriegt hat – und „Oh ja, sehr. Inzwischen noch mehr als früher, denn meine vierjährig­e Tochter liebt den Fasching bereits jetzt schon. Sie hat die größte Freude daran, sich oft zu verkleiden. Dabei bin ich ihr natürlich behilflich, und auf geht’s zum Umzug und Kindergart­engaudi.“ dass er den nächsten Brief wieder selber schreibt.“Bis heute weiß Frieda Vogler nicht, was mit ihrem Mann passiert ist.

Viele Männer kamen nicht von der Front heim, einige schon: „Das war das Schlimmste damals: Dass die anderen heimkamen.“Frieda „Nein, wirklich nicht! Ehrlich gesagt bin ich sogar ein Faschingsh­asser, soweit ich zurückdenk­en kann. Ich möchte jedoch hinzufügen, dass ich nichts dagegen habe, wenn andere den Fasching lieben. Die dürfen feiern soviel sie wollen, nur ich mag es eben nicht.“ Vogler musste nicht nur mit der Ungewisshe­it leben – sondern auch den Verlust ihres ältesten Bruders verkraften. Auch er war Soldat: „Vier Jahre im Krieg und es ist ihm nichts passiert“, erinnert sich Frieda Vogler. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei und Josef Hindelang will heim: „Der wollt’ schnell heim – und dann ist er mit dem Motorrad auf dem Heimweg verunglück­t.“1946 wird Frieda Voglers ältester Bruder beerdigt.

Sie selbst versucht, mit dem Krieg abzuschlie­ßen, verbringt fünf Jahre im Wallfahrts­ort Marienfrie­d als ehrenamtli­che Helferin: „Dort hat sich alles zum Guten gewendet.“Seither ist ihr der christlich­e Glaube wichtig, deshalb gefällt es ihr auch gut im Marienheim Mussenhaus­en: Dort gibt es eine tägliche Messe.

Es ist der 7. November 2018. Frieda Vogler feiert mit ihrem Sohn, dem Enkel und den drei Urenkeln ihren 100. Geburtstag. „Ich liebe weder den Fasching noch Halloween. Das mag daran liegen, dass es mich überhaupt nicht reizt, mich zu verkleiden. Verständni­s habe ich zwar, wenn Leute das mögen, doch ich kann dem nichts abgewinnen. Musik mag ich natürlich, und Tanz sogar sehr.“

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Foto: lekkü Frieda Vogler, im Hintergrun­d Geburtstag­sgeschenke
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